-‡Johannas Sicht‡-
Ich fühlte mich unglaublich. Entspannt. Schwerelos. Ja. Mein ganzer Körper wurde von einer wundervollen Wärme umhüllt. Himmlisch. Gleich einem Traum. Passend dazu tauchte Zerians Gesicht vor mir auf. Er lächelte liebevoll. Wollte mich küssen – doch plötzlich zerriss Reznick dieses idyllische Bild. Erschrocken zuckte ich zusammen und schlug die Augen auf. Das Geräusch von schwappendem Wasser drang an meine Ohren. Ein extremer Geruch von Vanille stach in meiner Nase. Wo bin ich?!
Mit wild rasendem Herzen huschten meine Augen hin und her. Verwirrt richtete ich mich auf. Ich war – im Wasser? In einem Badezimmer? Tatsächlich! Man hatte mich in einer dieser edlen weißen Becken gebettet, die eigentlich nur den Adligen vorbehalten war. Bestehend aus einem Material, welches sich weder wie Holz noch wie Metall anfühlte. Ausgelegt mit mehreren lagen feinsten Stoffes und anschließend mit warmen, schaumigen Wasser befüllt. Gerade soviel, dass man zwar gut darin versank, aber nicht ertrinken konnte. Man nutzte diese Wannen meist mehr zur Entspannung als wirklich zum Säubern des Körpers.
Früher hatte ich mich immer darüber gewundert, wie das Wasser beständig die Temperatur halten konnte, ohne kalt zu werden. Natürlich vermutete ich Adelstechnik dahinter. Manche hielten es auch schlicht für Magie. Jetzt wusste ich es besser. Dank Heka war mir klar, dass Strom durch feine Drähte floss und somit Wärme erzeugte. Zudem wurde mir in diesem Moment noch etwas anderes schlagartig bewusst. Mein neuer Status.
Ich war kein Sklave mehr. Weder gefesselt noch in einer kahlen Zelle eingesperrt worden. Nein. Stattdessen befand ich mich in diesem luxuriösen und angenehm beheizten Badezimmer. Warmweißes Licht erhellte den Raum, während große Rundbogenfenster einen Blick nach draußen in die dunkle Nacht ermöglichten. Man behandelte mich wie eine richtig Adlige. Ganz so, wie es sich bei dem hohen Rang meines Namens gehörte.
Ich drehte leicht den Kopf. Sah eine zierliche Frau, deren Gesicht und Hals einige tiefe Narben zierten. Charlotte. Ihr Blick war starr zu Boden gerichtet. Auf ihrer Wange sah ich einen roten streifenförmigen Abdruck. Sie ist wohl erst vor kurzem geschlagen worden und stand verschüchtert in der Ecke, wo auch ich schon oft gestanden hatte. Stundenlang wartend, falls der aktuelle Herr bei seinem Bad etwas brauchte. Nun war sie jetzt meine Bedienstete. Verrückt.
“Charlotte? Wie lange habe ich geschlafen?”, fragte ich und bemühte mich träge, aus der Wanne zu steigen. Sofort eilte sie herbei und reichte mir einen flauschigen gelben Mantel. Definitiv nicht die Hausfarben der Aschengards. Wie auch das Badezimmer an sich, deutete alles auf ein unpersönliches Gästezimmer des Grafen hin. Das beruhigte mich. Keinesfalls wollte ich bei meinem alten Meister – bei Richard sein.
“Nicht allzu lange. Vielleicht eine halbe Stunde ... bitte verzeiht mir, ich habe die genaue Uhrzeit nicht im Auge behalten”, krächzte sie und half mir beim Anziehen. Ihre Wortwahl empfand ich als äußerst befremdlich. Noch nie hatte sie derart förmlich mit mir gesprochen oder – jemals jemand.
“Mag sein, dass ich jetzt irgendwie adlig bin, aber bitte sprich normal mit mir. Weißt du, wo genau Zerian ist? Wurde er in einem der Folterräume gesperrt? Geht es ihm gut?” Sie schüttelte den Kopf und zückte anschließend einen Glühkamm aus ihrer Tasche. “Ich weiß nicht, wer dieser Zerian ist. Bitte entschuldigt mein Unwissen. Ich würde dann jetzt gern Eure Haare trocknen, wenn ich darf.” Das dachte ich mir schon, dass sie vorsichtshalber ihr erzogenes Verhalten beibehielt. Ich nahm es ihr nicht übel. Wir kannten uns dafür nicht lange genug. Ich könnte, wie alle anderen Adligen auch, ein Spiel mit ihr treiben – für jeden Fehler hart bestrafen lassen. Ich seufzte. Wie man sich am Leid anderer erfreuen konnte, war mir ein Rätsel.
“Nun, Zerian ist ... ein junger Mann. Er hat blaue Augen, weiße Haare und auch sehr helle Haut. Er muss bei mir gewesen sein, als man uns hierher brachte.” Sie schüttelte erneut den Kopf. “Bedaure. Ich weiß nur, dass man den ehemaligen Sarach zum Grafen bringen ließ. In sein persönliches Folterzimmer. Dürfte ich Euch jetzt vielleicht die Haare kämmen?” “Was? Er wird jetzt gerade vom Grafen gequält?” Wieder ein kurzes nicken. O nein! Ich hatte zwar selbst noch ein Hühnchen mit Reznick zu rupfen – ich mein, was hat er sich nur dabei gedacht, mich und Zerian bewusstlos zu schlagen? – aber das wollte ich definitiv nicht für ihn.
Entschlossen ballte ich die Fäuste. “Ich muss sofort zu ihm! Hast du noch andere Kleidung für mich?” Ja. In meinem Kopf formten sich einige gute Ideen. Heka hatte mir erstaunlich viel Wissen geschenkt. Seltsam. Mir schien fast so, als hätte sie gerade diese Informationen überdeutlich in meinem Verstand gespeichert. Regeln und Rechte, die ich als eine Zar’Rea unumstößlich besaß. Was es bedeutete, wenn mich ein anderer Adliger verletzte oder gegen meinen Willen berührte. Reznick hatte mich angegriffen – daher stand es mir frei, seine Strafe zu wählen. Ich stutzte. Ob er das vielleicht beabsichtigt hatte? Wartete er auf meine Rettung?
“Neue Kleidung ist für Euch draußen im Zimmer ...”, flüsterte Charlotte und deutete nervös auf die Tür, “aber da sind auch ... sie.” “Wen meinst du mit sie?”, fragte ich besorgt, doch da wurde auch schon besagte Türe aufgerissen. Dagmara, die immer finster dreinschauende Hausherrin, schritt herein. Musterte erst mich gründlich, bevor sie ihren teuflischen Blick auf Charlotte legte.
“Du unnützes Ding! Wieso sind ihre Haare noch nicht trocken? War deine Aufgabe denn so schwer zu verstehen? Du solltest das Fräulein abtrocknen und anschließend ankleiden!” Dagmara hob ihren kleinen Handfächer und schlug Charlotte damit ins Gesicht. “Geh mir sofort aus den Augen! Und sei gewiss, für diese Verfehlung wirst du nachher noch eine angemessene Strafe erhalten!” Zitternd stand ich daneben. Fühlte mich klein und unbedeutend, fast so, als galt mir diese Schimpftirade. Selbst bei dem lauten Klatschen des Fächers hatte mein Körper zusammen gezuckt. Reagierte, als würde er geschlagen.
Es dauerte einen Moment, ehe ich mich aus dieser Starre – diesem Schock befreien konnte. Realisierte, dass sich etwas Gravierendes verändert hatte. Verdammt noch mal! Ich bin kein Sklave mehr!
“Warte!” Ich griff nach Charlotte, die sich gerade hurtig aus dem Staub machen wollte. Zog sie zu mir. “Ihr ist nichts vorzuwerfen!”, schimpfte ich und blickte Dagmara mit all meinem Mut entgegen. “Euch dagegen schon! Ihr seid, ohne anzuklopfen – ohne meine Erlaubnis hereingekommen. Dies steht Euch nicht zu!”, sprach ich kraftvoll und hob das Kinn. Ja. Ich brauchte keine Angst vor ihr zu haben. Dank Heka wusste ich genau, was ich zu sagen hatte. Was für Rechte ich einfordern konnte.
Mit großer Genugtuung sah ich, wie die Falten von Dagmara noch eine Spur tiefer wurden. Sie wollte etwas erwidern, das konnte man ihr gut am Gesicht ablesen, aber sie verkniff es sich. Akzeptierte zähneknirschend, dass ich im Rang über ihr stand. Gut so. Sie wusste ganz genau, dass ich im Recht war. “Jetzt verschwindet! Ich will Euch nicht mehr in meiner Nähe sehen!”, fuhr ich fort und deutete zur Tür. Ihre Augen erdolchten mich, aber ich ließ mich davon nicht einschüchtern.
Schließlich verzogen sich ihre schmalen Lippen zu einem teuflischen Lächeln. “Ich war nur des Anstands wegen hier. Wenn Ihr meine Dienste als Hausherrin nicht benötigt, gehe ich zu meinen anderen Pflichten über.” Dagmara deutete mit ihrem schwarzen Kleid einen Knicks an, wirbelte herum und stolzierte letztlich davon. Endlich.
Erleichtert atmete ich durch und streichelte Charlotte über den Arm, um sie zu beruhigen. “Keine Sorge, du bekommst keine Strafe”, sagte ich, da sie noch immer sichtlich unter Schock stand. “Du hast sie weggeschickt ...”, flüsterte sie sogar und sah mich furchtsam an. Aber. Ich hatte keine weitere Zeit dafür. Ich musste schleunigst zu Reznick – ihn retten. Er wusste mit Sicherheit, wo man Zerian hingebracht hatte.
“Ich brauche Kleidung und auch Waffen, verstehst du?”, fragte ich, aber sie schüttelte den Kopf. “Tu das nicht ... Das ist nicht gut.” Ich seufzte. Sie würde mir wahrlich keine Hilfe sein. “Am besten bleibst du hier, ja? Wenn einer fragt, sag einfach du machst hier sauber, dann hast du wenigstens eine Aufgabe.” Ich ging aus dem Bad. Sollte sie sich ruhig darin verstecken. Ich jedenfalls wollte keine weitere Zeit verlieren.
Zielstrebig steuerte ich ein breites Schrankkonstrukt an, welches sich über die gesamte Länge des Hauptzimmers erstreckte. Darin befand sich hoffentlich etwas Passendes zum Anziehen. Mit etwas Glück auch ein Tablet, das mir Zugriff auf das Haussystem ermöglichte. Damit ließe sich sofort feststellen, wo Zerian war und ob es ihm gut ging. Das bereitete mir aktuell die meisten Sorgen.
Eilig riss ich die ersten Türen des Schranks auf und wühlte mich durch die Sachen. “Suchst du etwas Bestimmtes?”, erklang eine beschlagene Stimme und verpasste mir umgehend eine massive Gänsehaut. Zögerlich drehte ich mich herum – sah meinen alten Meister. Richard.
Ich schluckte. Er saß gemütlich auf dem Sofa in der Ecke und blickte auf jenes Tablet, das ich gerade noch gesucht hatte. Gott! Sein Gesicht sah noch immer fürchterlich aus. Erblühte in vielerlei Farben und war um die Nase gut angeschwollen. Das konnte nicht einmal das beste Make-up verbergen.
“Was ... macht Ihr hier?”, fragte ich unter Aufbringung allen Mutes. Vom Gesetz her durfte ein Mann nur auf Willen der Adelsdame dessen Zimmer betreten. Auch wenn dies hier nur ein Gästezimmer war und nicht mein persönliches, machte das keinen Unterschied. Er durfte hier nicht sein!
“Was für eine dumme Frage ...” Er hob den Kopf. Schlug in aller Ruhe ein Bein über das andere und schwenkte seine Kaffeetasse. “Ich bin deinetwegen hier, meine Liebe.” “Verwindet! Ihr ... ihr habt hier nichts zu suchen! Es ist gegen das Rea-Gesetz!”
Seine Augenbrauen wippten nach oben, was ihn sogleich zusammenzucken ließ. “Verflucht!” Er fasste sich vorsichtig an die Nase. “Au ... M-mag sein, dass dieser Arsch dir etwas über die Ränge erzählt hat und du deswegen denkst, mich fortschicken zu können. Aber. Ich bin mit der Hadeza in das Zimmer gekommen, von daher brauche ich deine Erlaubnis nicht. Es ist schließlich nicht dein eigenes.” Ich runzelte die Stirn. Stimmte das? In meinem Verstand fand sich leider nichts dazu. Ob Heka vergessen hatte, mir dieses Wissen zu geben? Nein. Sicherlich log er.
Aber. Was konnte ich jetzt dagegen unternehmen? Der Gedanke, die Wachen – die männlichen Bediensteten zu rufen – oder sich gar beim Grafen darüber zu beschweren, löste in mir einen Schauer nach dem anderen aus. Gut. Wenn ich das erstmal nicht ändern konnte, dann – besser ignorieren. Schnell was zum Anziehen und bloß raus hier – weg von IHM!
Ich wandte mich wieder dem Schrank zu. Griff wahllos eine weiße Jacke, die mit Federn bestückt war und eine rote Hose, auf der einige Edelsteine funkelten.
“Das wirst du nicht brauchen. Ich habe für dich bereits passende Sachen mitgebracht.” Ich schwieg dazu. Schnappte mir lieber noch irgendwelche Kleidungsstücke, die nicht ganz exotisch wirkten. Wobei. Irgendwie sah alles so ähnlich aus. Fürchterlich. Aber ich brauchte unbedingt etwas anderes! Immer mehr Wissen brach über mich herein. Welche Anlässe es gab sowie Bedeutung von Farbe und Beschaffenheit der Kleidungsstücke. Gerade für Adelsdamen war das essentiell.
Die Farbkombination des Grafen zum Beispiel, würde mich seinen aktuellen Regeln unterwerfen. Oder sich mit Federn zu zeigen, hieße, ich wäre für ein Jagdspiel zu begeistern. Und ich war sicherlich nicht daran interessiert, mich erst durch die Flure scheuchen zu lassen, nur um anschließend für sexuelle Befriedigung herzuhalten!
Einen Moment später hielt ich ein Top aus feinstem Leder in die Höhe. Das wäre auch eine schlechte Wahl. Tierhaut schrie nach lustvollem Schmerz. Züchtigung in Form von Peitschenhiebe oder eben einen gewissen Grad an Folter beim Sex. Leider wäre es auch mit meinem gelben Bademantel ähnlich gewichtet. Eine stumme Einladung, mit mir machen zu können, was man wollte. Verflucht! Gab es denn hier nichts Normales?
“Du ignorierst mich? Hältst du das für eine gute Idee?”, fragte Richard hörbar verstimmt, aber das interessierte mich nicht. Natürlich war ihn zu ignorieren das beste, was ich in der jetzigen Lage machen konnte. Eine Anwesenheit gezwungenermaßen zu erdulden, bedeutet nicht automatisch, mit diesem jemand auch eine Unterhaltung führen zu müssen.
“Verstehe. Du scheinst dich auch mit der Kleidung auszukennen ... Wie dem auch sei. Ich bin eigentlich nur hier, um mit dir zu reden. Du hast nämlich mir und dir mit dem Veröffentlichen deines Namens eine Menge Ärger bereitet ... Johanna? Hörst du schwer? Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!” Ich dachte gar nicht daran, mich zu ihm umzudrehen. Mit einem Stapel halbwegs unverfänglicher Kleidung auf den Armen steuerte ich lieber direkt das Bad an.
“Fein. Schön. Wie du willst. Dann interessiert dich auch nicht, was aus deinem süßen neuen Freund wird? Es wäre doch höchst bedauerlich, wenn ihm etwas passieren würde, nicht wahr?” Ich stockte mitten in der Bewegung. Meinte er Reznick damit? Oder etwa–
Meine Augen wurden groß, als ich zu ihm blickte und er mir grinsend den Bildschirm des Tablets hinhielt. Darauf war ein Bild zu erkennen, wie Zerian mich inmitten der Trümmer umarmte – vor dem grellen Licht zu schützen versuchte. Er war nackt und meine Rüstung mehr oder weniger in Fetzen. Die Szene ließ kein Platz für Spekulationen. So wie ich mich an ihn schmiegte. Sehr offensichtlich lief da was zwischen uns. Obwohl – tat es das wirklich? Bislang war das doch alles nur seinem Zauber geschuldet, oder?
“Na? Magst du mir jetzt vielleicht dein Gehör schenken?” Ich legte die Sachen langsam auf den Boden und zog meinen Mantel noch etwas enger um meinen zitternden Körper. “Was ist mit ihm?”, fragte ich besorgt, obwohl ich mir die Antwort bereits denken konnte. Er wollte Zerian gegen mich verwenden. Und selbst, wenn ich mir mit meinen Gefühlen zu ihm noch nicht ganz sicher war, so wusste ich dennoch – egal was Richard wollte – ich würde es tun. Alles machen, um ihn zu retten. Alles. Er hatte mich in der Hand.