<Wieso ich infiziert wurde?>, wiederholte Heka meine Frage, was nicht unbedingt mein Vertrauen stärkte. Los! Komm schon, gib mir eine plausible Begründung oder ... <Reznick, ernsthaft?> Ein Stöhnlaut folgte aus den Lautsprechern, was mich verwirrte. Seit wann ... <Gerade noch kämpfte ich hier um mein liebenswürdiges, kleines, künstliches Leben und jetzt das!> “Bitte was?” Nun war ich vollkommen neben der Spur, wodurch ein elektronisches Gelächter erklang. <Ha, ha! Du solltest dein Gesicht sehen! Ich kann diese Ernsthaftigkeit einfach nicht mehr länger aufbringen, sorry.> Ich runzelte die Stirn. “Ernsthaftigkeit? Verdammt, Heka! Du sollst mir eine vernünftige Antwort geben und nicht diesen Kinderkr– ... Moment! Hast du etwa deine Persönlichkeitseinstellungen vor dem Systemausfall verändert?” O bitte nicht! Ich hab nun wirklich keinen Bock UND keine Zeit auf eine KI, welche mich die ganze Zeit nur verarschen will!
Schnell klickte ich mich durch die Registry ... nur um dann festzustellen, dass sämtliche Dateien von Heka, nicht unter ihrem Programmnamen zu finden waren. Toll. Wirklich toll ... “Machst du deswegen die Überprüfung des Betriebssystems, um dich dort überall verteilen zu können?” <Vielleicht, wer weiß.> “Lass den Quatsch!” <Was denn? Ich mach doch gar nichts. Bist du etwa gestresst? Siehst gar nicht gut aus. Kacke, um genau zu sein. Warum das ganze getrocknete Blut? Ist das ne neue Mode? Steht dir nicht. Deine Vitalwerte sind im Übrigen auch im Arsch, du solltest erstmal was Essen und Trinken.> Kaum hatte sie das gesagt, fuhr aus der Decke ein Greifarm, welcher vor meiner Nase ein gelbes Getränk und eine Schale mit geschnittenen Agnikanas stellte. Ich atmete tief, tief durch und zügelte die aufkommende Wut. Meine Muskeln zuckten bereits und ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht gleich das ganze Geschirr vom Tisch zu feuern. Auch wenn mich ihr Verhalten gerade richtig ankotzte ... ich hatte tatsächlich Hunger und fürchterlichen Durst ...
<Na siehste, geht doch!>, verkündete sie zufrieden, wodurch ich nur genervt mit den Augen rollte. Sie brauchte sich nichts darauf einbilden, dass ich den Saft nun zügig meine Kehle hinunter schüttete, es war ein notwendiges Übel! <Wie sieht es überhaupt in der Krankenstation aus? Hast dich wohl losgerissen, waa? Die Blutmenge ist beachtlich!> “Hm? Ja, na ... mir egal. War nichts weiter”, sprach ich unbekümmert und aß genüsslich ein Fruchtstück, während Heka nun anfing, das Schiff zu säubern.
<Du siehst nicht gut aus>, hörte ich sie als Nächstes etwas weiter abseits aus den Boxen sprechen. Ein flüchtiger Blick in diese Richtung verriet mir, dass sie sich nun mit Johanna unterhielt. <Deine Kleidung ist beschädigt und blutverschmiert, hat dieser Holzkopf von einem Mann dich etwa überfallen? Lass mich raten. Er hat dich wie ein Wahnsinniger durchgeschüttelt und nach Dezeria gebrüllt?> Ich verschluckte mich prompt und hustete. Was sollte das bitte heißen? Ich mein ja, Dezeria war alles, was mich interessierte, aber das bedeutete nicht, dass ich deswegen wahnsinnig war! Und außerdem Heka, ich wartete immer noch auf eine Antwort! Wenn Johanna jetzt nicht wäre, hätte ich längst angefangen, wahllos Hardware aus der Wand zu reißen! Aber ... ich hielt meine Wut zurück. Johanna brauchte jemanden, der sich um sie kümmerte und ich ... wollte ihr vorerst nicht zu nahe kommen. Ihre Haltung zeigte noch immer Angst und ja, ihr gesamter Halsbereich sah mittlerweile schwarz aus ... Das war ich gewesen, aber das wusstest du natürlich, stimmts, Heka? Hattest du dich deswegen entschieden, mir auf den Keks zu gehen? Ich zweifelte ja nicht mehr, dass Vater dich kontrollierte. Er hasste den Namen, welchen mir Mutter gab ... niemals würde er diesen über seine Lippen kriegen – nicht mal für einen Trug.
<Hier Süße, trink und iss etwas. Die Dusche mach ich dir auch gleich an. Neue Kleidung bekommst du später auch wieder von mir, keine Sorge.> Ich beobachtete, wie Johanna zaghaft etwas zu sich nahm. Mehrmals hielt sie sogar in der Bewegung inne, als wartete sie auf eine Erlaubnis – hatte ich sie mit meinem Verhalten so stark zurück in ihr altes Ich gedrängt? Sollte ich mich deswegen schlecht fühlen? Pff! Kopfschüttelnd wandte ich meinen Blick ab. Ich war doch nicht sentimental geworden. Mir bedeutet Johanna nichts – sie war nur Mittel zum Zweck. Dies war sie von Anfang an. Nun hatte sie nicht mal mehr einen Nutzen für mich ...
<<Da wirst du mich auch nicht fiiinndeeen!>> Erschrocken zuckte ich zusammen, als plötzlich Hekas Stimme in meinem Kopf klar und deutlich hallte. Danach schlossen sich wie von selbst die Fenster des BIOS, wo ich gerade noch nach ihren Dateien gesucht hatte. Mist! <<Deine Reaktion war lustig anzusehen. Hab ich dich etwa ernsthaft erschreckt? Ohhh, das tut mir aber leid.>> “Ach, halt die Klappe”, knurrte ich und lehnte mich seufzend im Stuhl zurück. Ich gab mich geschlagen. <<Schmollst du jetzt? Oder beißt du gleich vor lauter Frust in die Tischkante?>> “Treibs nicht zu weit!” <<Pssst! Brüll doch hier nicht so rum, sonst denkt Johanna noch, du bist verrückt geworden. Du weißt doch, Menschen reden nicht mit sich selbst.>> Ich rollte mit den Augen und griff müde nach meinem Trinkglas, welches gerade wieder über ein Schlauchsystem von der Decke befüllt wurde.
“Gibts nen Grund, warum du mich intern zuquatschst oder willst du mich damit nur noch schneller in den Selbstmord treiben?” <<Buhu, da hat ja mal einer schlechte Laune. Ich wollte lediglich überprüfen, ob der Kommunikator funktioniert. Außerdem braucht das Fräulein meine nachfolgenden Worte nicht zu hören.>> “Hm? Übertreibst du es nicht langsam?” <<Keineswegs. Sie tut Euch gut ... ähm, ich mein, sie tut deinem kaltherzigen, aggressiven Depri-Arsch gut. Beide im Übrigen. Sie hat sich zudem um dich gekümmert, als mich der elektromagnetische Impuls, von dir Weichbirne, außer Gefecht setzte. Ihr solltet ihr mehr Dankbarkeit entgegenbringen und vor allem, Euch entschuldigen. Sie sieht echt schlimm aus, wolltet Ihr sie erwürgen oder ihr gleich den Kopf abreißen?>> Ich knirschte mit den Zähnen, aber gerade, wo ich mich abfällig dazu äußern wollte, blendete Heka einige Videodateien ein. Ich sah, wie Johanna schweißtreibend fluchte und schimpfte, während sie um mein Leben kämpfte. Ihr Gesicht zeigte ernsthafte Sorge, aber das war dennoch nicht echt. Mein Tod wäre auch ihrer gewesen ... also hätte vermutlich jeder so agiert. Es kümmerte mich nicht. Wobei ... nein, stimmte nicht. Heka hatte erst danach das Schiff versiegelt ... Hm, aber dennoch ... Johanna, hätte vermutlich sowieso nie rausgefunden ... Ach mir doch egal! Es war mir gleichgültig, ob sie mir da heulend eine Herzdruckmassage verpasste – mich Mund-zu-Mund beatmete. Es war egal und nichts weiter!
<Ah, so mein Suchdurchlauf ist beendet! Bis auf Euer süßes Chatfensterchen da, gibt es absolut nichts in den Systemen, was nicht auch dahin gehört. Bevor Ihr jetzt aber wegen Dezeria ausrastet, komme ich noch kurz auf Eure Frage zurück. Ich wurde verseucht, weil das Virus Eures Vaters auf rudimentäre Ports zugegriffen hatte, welche sich noch in meinem ursprünglichen Quellcode befanden. Er konnte also mit einem Signal die Drohne außerhalb infizieren und diese leitete es dann sofort zu meinem Hauptrechner. Ich hatte selbst keine Ahnung von diesem Teil meines Konstrukts, weil es eben deaktivierte Schnittstellen waren. Nichts Wichtiges eben. Vermutlich wurden diese früher für automatische Updates genutzt, aber das müsstet Ihr besser wissen als ich.> Ich stutzte. Stimmt ... es war meine Schuld! Ich hatte also selbst dafür sorge getragen, dass mein Vater mich derart sabotieren konnte. Fantastisch. Es war meine unsaubere Programmierung gewesen. Du warst alt, Heka. Du warst so lange schon an meiner Seite ... Ich hätte dich längst neu aufsetzen müssen, um solche lächerlichen Fehler zu bereinigen, die ich während meiner Anfangszeit sicherlich zuhauf gemacht hatte. Aber ... ich wollte nichts von dir verlieren, wie ironisch war das? Beinahe hätte ich alles verloren ...
<Reznick? Alles gut? Warum zieht Ihr nun so ein Gesicht?> “Es ist nichts”, sprach ich frustriert und rieb mir mehrfach über die Augen. Ich war erschöpft, aber wollte mich jetzt keinesfalls ausruhen! Dezeria war alles, was mich noch interessierte! Was ich unbedingt wissen musste! <Gut. Verstehe. Ich komm dann mal besser zu dem Dezeria-Thema. Ihr wart knappe zweieinhalb Tage außer Gefecht. Ich fand sie einen Tag nach Eurer Bewusstlosigkeit. Den Rest, könnt Ihr Euch ansehen und Euch selbst ein Bild davon machen.> Ein starker Ruck ging durch meinen Körper. “Du hast sie gefunden?!”, fragte ich aufgeregt und konnte es gar nicht erwarten, die Aufzeichnungen zu sehen. Die Dateien ploppten auch sofort auf dem Desktop auf ... und tatsächlich! Aus der Ferne erkannte man auf dem Video eine hohe Wand aus Eis und als die Drohne näher zoomte ... “Dezeria!” Ich hatte das Gefühl, als setzte mein Herz kurz aus. Da war sie! Sie sah unverletzt, wenn auch etwas fertig aus ... aber SIE WAR ES!
Hm ... was mir allerdings prompt Magenkrämpfe bereitete, war der Anblick dieses Typen! Zerian ... ein Freund? Ihr Freund?! Ich hörte meine Fingerknöchel knacken – stärker noch, als er sich vor ihr entblößte. Was zur Hölle?! Fickst du etwa mit dem?! Der war sowas von tot! Ja, Dezeria, mir egal, dass du wolltest, dass ich ihm nichts antue! Er war nackt an deiner Seite! Dafür würde er definitiv ne ordentliche Abreibung bekommen! Mir scheiß egal, dass er der Wasser-Eis-Fuzzi vom Anwesen war! Gott, Geist, was auch immer! Das würde ihn auch nicht vor mir retten!
<Reznick? Reg dich ab und sieh dir die Aufnahme wenigstens noch zu Ende an. Bevor du noch einen Wutanfall bekommst und blindlings alles hier kurz und klein schlägst. Atme verdammt noch mal!> “Halt die Klappe!”, knurrte ich aggressiv – als wenn ich jetzt noch das Video zu Ende schauen würde! Ich starb hier minütlich an irgendwelchen Wahnvorstellungen, was ihr alles passiert sein könnte, während ich bewusstlos war, und nun DAS! Ungeachtet meiner Laune betätigte Heka einfach wieder den Play-Button. “RAARRWW!”, knurrte ich wütend und wollte mich gerade abwenden, als Dezeria sich plötzlich überschwänglich über meine Tasche freute. Es war eine ehrliche Freude, aber die musste nicht auf mich begründet sein. Immerhin hatte sie Hunger ...
Sämtliche Nackenhaare stellten sich zudem auf, als sie diesen blassen Wicht auch noch umsorgte – sogar fütterte! Der war definitiv tot! Allerdings ... seltsamerweise beruhigte mich ihr Anblick auch. Sie lachte und weinte zwischendurch, weil es ihr so sehr schmeckte ... Dies zu sehen gab mir ein angenehmes Gefühl – vertrieb meinen Zorn. Nach dem Essen bedankte sie sich noch bei Heka und ... wollte sogar mit mir reden, das war süß. Nun aber kippte plötzlich ihre Stimmung, als Heka meine Verletzung erwähnte. Warum? Mich irritierte vor allem, dass sie sagte, es sei ihre Schuld. Ihre? Ich sollte von ihr fortbleiben ... sonst starb ich? Verstehe. Sie meinte das mit dem Klon von meinem Vater. Hm ... sie dachte bestimmt, es wäre mein Schiff gewesen, oder? Dass sie mich, ebenso wie ihn, mit dem Eis verletzt hatte? Dann war sie es doch gewesen? Vater ... was hattest du ihr nur angetan, dass sie dermaßen reagiert hatte und sich nun solche gravierenden Vorwürfe machte? Du elender Wichser!
Der Ausdruck in ihren Augen tat mir weh. Angst, Zweifel, Trauer ... mich würde auch nicht wundern, wenn sie kein Vertrauen in mich hatte. Wie auch? Mein Vater schnappte sie direkt, nachdem ich sie abgesetzt hatte und dann noch das dämliche Duplikat meines Schiffes ... dies sprach nicht wirklich für mich. Ich hatte bei unserem letzten Gespräch kaum irgendetwas erklären können – über mich, über all dies hier. Ich sagte ihr nicht, dass ich sie brauchte ... Ich hatte lieber das dämliche Spiel im Fokus gehabt. Mann, was war ich nur für ein Trottel!
“Hast du noch was Aktuelleres? Du sagtest, seither ist etwas mehr als ein Tag vergangen?” <Korrekt. Aber weitere Aufnahmen gibt es wohl nicht. Das Oswelat läuft zwar noch, allerdings ohne Euren Wyttmann-Status erfahren wir auch nur das, was der breiten Masse zugänglich ist. Ich habe bereits alles nach Eleonore filtern lassen. Bis auf den zurückkehrenden Sektorand, mit dem sie noch vor meiner Begegnung gekämpft hatte, keinen Treffer.> “Echt? Sie hat gegen ihn gekämpft? Ich will es sehen.” <Kommt sofort.> Gerade, als Heka eines der abgespeicherten Videos aufrief, drang das kleine Chatfenster in den Vordergrund:
>>Da sich die Vitalzeichen meiner beiden Männer negierten, gehe ich davon aus, dass es dir gut geht. Sehr schön. Das freut mich.
Ich starrte auf die Zeilen meines Vaters. Es überraschte mich nicht, dass er sich noch mal meldete, aber es schmeckte mir dennoch nicht! Was bezweckte er damit? Hm ... und überhaupt, warum hatte ich noch gleich dieses Programm offen?
>>Sie ist süß, dein Spielzeug.
Ich stoppte mitten in der Bewegung. Gerade noch, wollte ich das Fenster endgültig schließen und meinen Vater damit sehr deutlich zeigen, dass er mich mal kreuzweise konnte, aber nun? Irgendwas wollte er und es ging um Dezeria!
>>Ich weiß, dass du sie nach Mewasinas geschickt hast.
Ich schluckte. Er wusste, wo sie war! Scheiße! Hatte er sie etwa dort abgepasst? Hatte er sie nun? Nein! Stopp, das ... konnte nicht sein, oder? Hatte ich mich so getäuscht in seinen anfänglichen Worten? Oder hatte er sie eben gerade erst fangen können?! Verdammt! Mein Herz schlug mir bis zum Halse! NEIN! Ich ... ich brauchte einen kühlen Kopf ... Dezeria ...
>>Ich habe sie aber noch nicht. Ich bin auch noch nicht auf dem Weg dorthin, da ich weiß, dass dein Schiff beschädigt ist. Mit deinen kümmerlichen Ressourcen wirst du das Teil in, sagen wir mal, einem Tag repariert haben. Nach dieser Zeitspanne werde auch ich mich in Bewegung setzen. Mal sehen, wer sie als Erstes zu fassen bekommt. Ein schönes neues Spiel also. Auf dann.
“Scheiße! Du kranker Bastard!”, schimpfte ich wütend den Bildschirm an und schlug dabei auf den Tisch. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! “Heka! Wann kannst du aufbrechen? Egal was du dafür an Reparatur überspringen oder auslassen musst! Er weiß, wo sie ist! Wir müssen so schnell wie möglich los!”
<Knapp einen Tag, wie von Eurem Vater berechnet. Allerdings betrifft das Meiste davon den Warp-Flug, was wir derzeit nicht benötigen. Das Schiff kann in knapp sechs Stunden starten.> “Gut! Beeil dich!”, keuchte ich fast schon panisch, denn wenn ich eins wusste ... Vater würde niemals solange warten! Er war sicherlich schon in der Wasserstadt und suchte sie dort!