❅Zerians Sicht❅
Ich fühlte mich – unbeschreiblich. Johanna und ich hatten uns vollends in einem Kuss verloren, der intensiver nicht hätte sein können. Mein Innerstes kochte, während ihr Geschmack auf meiner Zunge tanzte. Mein Verstand zerschmolz wie Schnee in der Sonne. Jeder Einzelne meiner Gedanken löste sich in einem Wirbel aus Gefühlen. Ich empfing ihre wundervolle Liebe. Ihre endlose Dankbarkeit. Spürte ihre glühende Seele. Alles von ihr und doch – es war nicht genug.
Ich umschlang ihren Körper. Presste Johanna stärker an mich, während sie selbst ihre Finger in meinem Haar verkrallte. Unser Kuss wurde immer stürmischer. Ein Kampf zwischen unseren Lippen, den keiner für sich entscheiden konnte. Allein der Mangel an Atemluft trennte uns schließlich voneinander. Schwer keuchend lächelten wir uns an, ehe der Kuss von neuem begann.
Ich hatte noch nie Derartiges gespürt. Ein Gefühl von mehr. Ich wollte mehr. So viel mehr und nichts, was ich tat, schien mich daraus zu erlösen. Mein stürmisches Nähebedürfnis hatte mich bereits dazu getrieben, Johanna umzuwerfen. Sie auf den nassen Boden zu drücken und meine Hände unter den kümmerlichen Rest ihres Oberteils wandern zu lassen. Ich wollte – nein musste! – sie berühren. Ihre Haut spüren. Überall.
Mir war unendlich heiß. Johannas Körper strahlte eine unglaubliche Hitze aus, aber ich konnte einfach nicht genug davon bekommen. Ich presste unsere Leiber aneinander, als wären wir eins. Meine Hände streichelten zärtlich ihren Rücken. Liebkosten jede Kurve, jedes Tal und jeden Hügel ihres Körpers. Dass ich dabei meine Fingerknöchel auf den rauen Steinen aufschürfte, war mir vollkommen egal. Hauptsache ich konnte sie umarmen und ausgiebig berühren. Aber – es reichte nicht. Immer noch nicht.
Sie seufzte in unseren Kuss hinein, als ich eine Hand unter ihren Rock schob. Es gefiel ihr, dass ich die weichen Rundungen dort fester drückte und – bei den Monden, ich verbrannte regelrecht. Es war zu viel. Meine und ihre Gefühle, die auf mich unablässig einströmten und von Mal zu Mal intensiver wurden. Es war – atemberaubend. Als würden unsere beiden Leben miteinander verschmelzen.
Kurz blitzte in mir eine alte Erinnerung auf. Ein eisiger Schauer. Eine flüchtige Warnung, dass ich so etwas schon einmal getan hatte. Etwas Schlimmes. Aber noch bevor ich es wirklich erfassen oder verstehen konnte, war es auch schon wieder fort. Allein Johanna blieb in meinem Geist und füllte jeden Winkel meiner Seele. Sie schenkte mir all ihre Liebe und ein bindendes Versprechen, dass ich nur zu gerne erwiderte. Ich für dich und du für mich – für alle Ewigkeit.
Nichts konnte uns mehr trennen. Selbst meine Lunge nicht, die verzweifelt nach Sauerstoff verlangte. Es hatte keinerlei Bedeutung. Ich nahm nur die nötigsten Züge, um nicht zu ersticken. Kleine Schnappatmungen, die auch Johanna hin und wieder tätigte. Hauptsache wir blieben dicht an dicht. Aufeinander. Aneinander. Miteinander – egal. Alles eins. Wir waren zusammen – nur das zählte.
Mein Herz schlug aufgeregt und mein ganzer Körper kribbelte. Jedes Mal wenn ich über Johannas Haut streichelte, wurde mir heißer. Ich wusste schon gar nicht mehr, wo mir der Kopf stand. Wir wühlten uns am Boden. Berührten den nackten Leib des jeweils anderen. Es war zu viel und gleichzeitig einfach nicht genug.
Johanna stieß ein Stöhnen aus, als ich ihrem stummen Wunsch nachkam und ihren Hintern fest mit beiden Händen knetete. Ihr Becken drückte bestimmend gegen mein Geschlecht und ich spürte überdeutlich, dass sie mich wollte. Sich mit mir paaren wollte. Und bei den Monden – es überforderte mich.
Völlig fertig und laut keuchend unterbrach ich unseren Kuss. Blickte in ihre glasigen braunen Augen, in denen unübersehbar ein rötliches Leuchten einkehrte. Gleich einer Glut aus einem heruntergebrannten Lagerfeuer, das durch einen Windhauch neu entfachte. Etwas erwachte in ihr. Eine Kraft, die mich regelrecht überrollte – mein Wasser bis zum Äußersten reizte. Mich verbrannte. Und obwohl alles von mir zu vergehen drohte, rührte ich mich nicht von der Stelle. Ich wollte diese Hitze – diese Flammen.
Johanna lächelte mir entgegen. Hemmungslose Lust stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben. Ich konnte nicht anders, als unsere Lippen wieder miteinander zu versiegeln. Es war soo gut. Wie der langsam fallende Regen. Die sanften Strahlen der Sonne. Das Licht der Monde in der Nacht. Ich wollte mehr. Brauchte mehr!
Und das gab sie mir. Johanna hielt mich mit einer Hand im Nacken in diesem Kuss gefangen, während die andere zwischen uns hinabschlängelte. Sie tastete mit den Fingern vorsichtig nach meinem Glied und umfasste es schließlich. Ich glaubte, in jenem Moment endgültig zu sterben. Ein Tod durch vollkommene Überreizung all meiner Sinne. Gleich einer gewaltigen Flutwelle rauschte eine nicht erklärliche Euphorie durch mein Innerstes und ließ sämtliche Muskeln erzittern. Über das Warum und Wieso verlor ich keinerlei Gedanken – fest stand nur, dass es sich unglaublich anfühlte. Ich das wollte. Aber gerade, als ich dachte, dass es besser nicht werden konnte – war da nur noch Panik.
Ich blinzelte verwirrt. Starrte auf Johanna, von der ich plötzlich nur noch Angst empfing. Der Kuss war schlagartig vorbei. Die Hand zwischen meinen Beinen und die im Nacken fort. Stattdessen drückte sie nun kräftig gegen meinen Oberkörper. Ich brauchte einen Augenblick, um zu realisieren, was sie derart verstörte.
Wasser. Ich hatte ohne es zu bemerkten, das umliegende Wasser zu mir gerufen und aufgetürmt. Gleich so viel, dass Johanna bis zum Hals davon umschlossen wurde. Ich verstand zwar nicht, was sie daran so schockierte, ließ sie aber umgehend los.
Hastig krabbelte sie unter mir hervor und kletterte anschließend, ohne etwas zu sagen, auf ein aus der Wand gebrochenes Mauerteil. Brachte den größtmöglichen Abstand zwischen sich und der leicht wellenden Wasseroberfläche.
Ich blieb dagegen in dem kühlen Nass sitzen und sah zu ihr auf. Unfähig mich zu bewegen. Überfordert von der Situation. In mir überschlugen sich die Empfindungen. Es zog, kribbelte, spannte – eine Mischung aus Freude, Lust, Angst, Sorge, Zweifel, Erschöpfung, Einsamkeit. Ich wusste nicht, was davon mir gehörte und was zu Johanna. Ich konnte damit nicht umgehen, was sich sofort auf das Wasser übertrug. Weitere Wellen schwappten zu mir und ließen den Pegel im Zimmer immer weiter ansteigen. Johannas Gesicht zeigte Entsetzen, das sich wie ein glühender Dolch brutal in mein Herz rammte. Sie sollte so nicht fühlen – sich nicht vor meinem Wesen fürchten.
“Bitte ...”, flüsterte ich und scheiterte doch daran, mehr noch zu sagen. Erschöpft senkte ich den Blick und kippte nach vorne. Stützte mich auf den Händen ab. Ich sah das Wasser dicht vor meinem Gesicht und war doch unfähig, es fortzuschicken. Ich fand nicht die nötige Konzentration. Hatte keine Kraft.
“Ich ertrag nicht, dass du vor mir Angst hast.” Ja. Dieser Gedanke und diese Gefühle lähmten mich regelrecht. Blockierte alles in mir. Wir waren doch eins, wieso stieß sie mich jetzt von sich?
“Nein, Zerian, so ist das nicht.” Ich hob den Kopf. “Ich-ich fürchte mich nicht vor dir ... sondern vor dem Wasser”, antwortete sie mit zittriger Stimme und mit einem Blick, der leidvoller nicht sein konnte. Da war kein Feuer mehr in ihr – nur eisige Leere, die mich verletzte.
“Aber das ist doch dasselbe!”, platzte es verzweifelt aus mir heraus. “Ich bin das Wasser! Ich ... gehöre zu dir und du zu mir. Wir haben uns aneinandergebunden und jetzt? Jetzt ist da nur noch deine Angst. Ich kann das nicht verstehen! Warum? Was habe ich–” “Ich kann nicht schwimmen!” Ich runzelte die Stirn, aber noch bevor ich etwas sagen konnte, fuhr sie fort.
“Er ... hat mich immer und immer wieder zu ertränken versucht. In große Becken ... hat er mich geworfen, nur damit ich um mein Leben kämpfe. Aber egal wie panisch ich paddelte ... er ließ mich doch so lange drin, bis ich keine Kraft mehr hatte und unterging. Oder steckte mich in eiskaltes Wasser ... bis ich keinen Muskel mehr bewegen konnte. Jedes Mal starb ein Teil von mir!” Sie schluchzte bitterlich, weswegen ich diesen Menschen am Liebsten gleich noch einmal getötet hätte.
Hass fraß sich durch meinen Verstand. Wieso hatte dieser Mann ihr so etwas angetan? Warum ausgerechnet mit Wasser Leid zugefügt? Ich begriff es einfach nicht.
Sie ist kein richtiges Element! Ich habe sie gemacht, hörst du? Sie gehört nicht dir!
Ich stutzte. Genau das hatte er gesagt und offensichtlich stimmte es. Er hatte sie so nachhaltig geschädigt, dass sie einen Teil von mir verabscheute. Mein Wasser fürchtete. Das durfte nicht sein.
Langsam stand ich auf und ließ gleichsam das Wasser steigen. Johanna quietschte erschrocken und stellte sich hektisch auf die Zehenspitzen. Drückte sich an die Wand, um verzweifelt den Abstand zu wahren. Vergebens. Ich schritt zu ihr, dicht gefolgt von den Fluten. Sie konnte nicht entkommen.
“Bitte vertraue mir”, sagte ich sanft und zwang mein aufgeregtes Herz zu Ruhe. Sie sollte von mir nur Liebe empfangen. Die aufrichtige Liebe zu ihr.
“Bleib weg! Verschwinde!”, sprach sie schrill, aber diesmal war ich nicht verletzt deswegen. Ihre geweiteten Augen sahen mich nicht einmal mehr an. Rasten ziellos umher – suchten besessen nach einem Ausweg.
“Hab keine Angst, Johanna. Meine kleine Sonne. Mein Licht. Ich bin hier ...” Meine Hand fuhr aus dem Wasser, welches mir mittlerweile bis zu den Schultern reichte, und berührte sachte ihr linkes Bein. “Komm zu mir. Bitte ... komm da runter.” Sie schüttelte den Kopf. “Nein, es geht nicht! Bitte ... schick das Wasser wieder weg, bitte!”
Nun war es an mir, den Kopf zu schütteln. “Nein. Du hast mir meinen Schmerz genommen und das möchte ich bei dir ebenso versuchen. Ich weiß jetzt, was dich belastet, also kann ich es auch heilen.” “Du lässt es mich vergessen?”, fragte sie verunsichert und ich spürte deutlich ihre Zweifel. Ihr Misstrauen an der Echtheit meiner Worte, als wollte ich sie in eine Falle locken und ebenso ertränken wie dieser Adlige.
“Nein. Nicht vergessen. Du wirst noch genau wissen, was passiert ist, aber ... es wird ein bedeutungsloses und farbloses Bild sein. Du spürst nichts von dem einstigen Grauen, vertrau mir. Ich erinnere mich zum Beispiel an Allie. An all das, was sie mit mir gemacht hat, aber es tut nicht weh, verstehst du? Deine Last sitzt zwar tiefer, aber wenn du mir vertraust ...” Ich verstummte, als Johanna fest die Augen zusammen kniff. Ihre Gedanken waren mit einem Mal schwer zu deuten. Hätte ich das mit Allie besser nicht erwähnen sollen?
Ich überlegte. Würden andere Worte etwas ändern? Nein. Vermutlich nicht. Sie wollte nichts hören – schottete sich innerlich ab, das merkte ich deutlich. Entschlossen nutzte ich den Moment, glitt mit einer Welle auf die kleine Anhöhe und schnappte sie mir. Drückte ihren schmächtigen Körper gegen meine bloße Brust. Sie stieß ein überraschtes Keuchen aus und versteifte, angesichts der Fluten, die knapp einen Meter um uns kreisten.
“Nein! Es ist alles gut ... ich bin da, siehst du?” Zärtlich strich ich über ihren Rücken und ließ Stück für Stück das Wasser näher kommen. “Es wird mich verschlingen! Ich werde ertrinken!” Panisch verkrallte sie sich in meine Haut, aber das war in Ordnung.
“Nein. Nichts wird dir passieren. Du musst nicht schwimmen, wenn du es nicht kannst. Ich bin das Wasser. Es kann dich gar nicht verletzen, hörst du? Ich liebe dich und werde dich beschützen. Immer.” Ich hauchte einen Kuss auf ihren Scheitel und legte gleichzeitig meine Hände um ihren Kopf.
“Sieh mich an, bitte”, flüsterte ich und drehte vorsichtig ihr Gesicht zu mir. Sofort starrten mir schreckgeweitete Augen entgegen. “Keine Angst. Ich bin es nur ... Nur du und ich.” Behutsam legte ich meine Lippen auf ihre und wartete geduldig, bis sie darauf reagierte – etwas entspannter wurde.
Diese Wunde lag unglaublich tief in ihrem Verstand und obwohl ich noch nie zuvor so etwas geheilt hatte, versuchte ich es. Tauchte in ihre Seele genau in dem Moment, als das Wasser uns vollständig verschluckte und sie eine Panikattacke erlitt. Es schmerzte, ihr das anzutun, aber nur so konnte ich sehen, wo dieser Schrecken saß und sie davon befreien. Hoffentlich.