>>> Kleiner Hinweis: Moritz und Charlene/Carsten hatten bereits drei kleine Episoden hier, zu den Prompts "Spieglein, Spieglein an der Wand", " Jeckyll &Hyde" sowie "Schau nicht zurück".
Das Gefühl von apricotfarbenen Federn, die um ihre Schultern wippten und ihrem Doppelkinn schmeichelten, verlieh Charlene den nötigen Mut, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sie nahm den Alleinunterhalter am Keyboard ins Visier, der das Intro der Weather Girls bereits zum zweiten Mal durchspielte und baute sich vor ihm auf.
„So, mein Lieber, rück mal dein Mikro rüber, damit der Song weiter geht“, forderte sie ihn auf.
Der Mann verstand offenbar erst jetzt, wofür er da genau das Geld von Moritz bekommen hatte, schien aber beim Anblick von Carsten in seinem rosa Paillettentraum mit Charlenes Schneewittchenperücke und reichlich Glitter sogleich Feuer und Flamme für die Idee. Wahrscheinlich hielt er den Typ im Fummel für eine besonders schräge Showeinlage. „Abtrünniger Sohn des Silberpaares“ war jedenfalls nicht auf Carstens Stirn geschrieben. Der ergriff nun kurzerhand das Micro, das im Halter am Keyboard steckte und drehte sich sogleich schwungvoll und passend zum Takt in Richtung der völlig überraschten Gäste, die mit offenen Mündern und aufgerissenen Augen Carstens Auftritt bis hierher mitbekommen hatten, um als nächstes zu realisieren, dass der nun wirklich mit seiner Darbietung begann.
„Humidity is rising“, hub er mit volltönender Stimme an, „barometer’s getting low, according to all sources, the street’s the place to go …“
Charlene positionierte sich in Siegerpose, mit einem vorgestellten Bein, einen Arm stützte sie auf die pralle, sexy wippende Hüfte und ließ die Boa baumeln. Sie sang in die umstehende Menge, die mittlerweile den Blick für das Silberpaar freigab.
Moritz realisierte nun, dass er ebenfalls etwas tun sollte, um seinem Carsten Rückendeckung zu geben. Das Beste, was ihm dazu einfiel, war auch das Offensichtlichste: zum Tanzen animieren. Er wusste, auf wen er sich mit seinem Freund eingelassen hatte und ihm war völlig egal, was er tun musste, um jetzt „Stand by your man“ zu demonstrieren. Er übernahm den Takt und das Hüftwiegen und tanzte zu Charlene heran, die ihn sofort mit den Augen verschlang, als er mit einem einzigen, gekonnten Schwung sein Jackett von den Schultern strich und mit dem nächsten Handgriff zu Boden warf. Die letzten zwei Meter nahm er auf Knien schliddernd, sodass er genau mit Einsatz des Refrains zu Charlenes Füßen ankam.
„It’s raining men, Hallelujah!“, rief sie aus und endlich sprang so etwas wie der Funke über. Ein paar der anwesenden Frauen begannen zu juchen und an ihren Partnern zu ziehen, damit die auf die Tanzfläche kamen. Eine besonders freche zog sogar an der Kravatte ihres Göttergatten.
„It’s raining men! Amen! ...“
Moritz sprang gekonnt in den Stütz und von da in die Höhe, um seinen Allerliebsten tanzend zu umrunden. Charlene sang voller Hingabe weiter und flirtete mit ihren Augen und den üppigen, angeklebten Klimperwimpern zudem ungehemmt mit ihrem Moritz.
Irgendwo hinter den Paaren, die jetzt um das rosa glitzerende Weather Girl herumtanzten, erspähte Moritz für einen Sekundenbruchteil Carstens Eltern, die noch immer wie vom Donner gerührt dastanden. Es wäre so wichtig für seinen Dicken, wenn diese beiden wenigstens so tun würden, als wäre ihnen das Ganze nicht super peinlich, auch wenn es nur gespielt wäre. Was konnte Moritz also tun? Und dann geschah etwas ganz Wunderbares. Die kleine Nichte ging zu Carstens Vater, nahm seine Hand und zog daran. Sie wollte tanzen, wenn doch Onkel Carsten so toll sang. Das war überhaupt die Idee! Während das Mädchen jetzt um ihren Opa herumsprang, der sich immerhin zur Musik wiegte und halbwegs im Takt mitklatschte, rückte Moritz der Mutter auf die Pelle.
Charlene war inzwischen bei „God bless Mother Nature…“, als sich ihr Freund nun einfach ihre Mutter schnappte, ihr als Aufforderung einen Handkuss gab, sie dann einfach wie ein Tänzer umfing und sich abmühte, die Frau zum Schwingen zu bringen.
„Jetzt seien Sie nicht so stur“, forderte er sie auf. „Das ist Ihr Sohn, egal, was er sonst noch ist, Frau Klöbermann.“ Mit diesen Worten setzte er sein umwerfendstes Lächeln auf und begann einfach, die Silberbraut zu drehen.
Charlene erreichte mittlerweile den nächsten Refrain und die kleine Nichte und ihr Opa tanzten inzwischen dicht bei ihr. Sie warf dem Mädchen eine Kusshand zu, was die Kleine vor Freude laut quieken ließ.
„Na los, Frau Klöbermann!“, bat Moritz nochmals und endlich ergab sich Carstens Mutter in ihr Schicksal, mit einem der bestaussehendsten jungen Männer des Saals bei „It’s raining men“ zu tanzen. Noch dazu in einer der besten Coverversionen und dargeboten von der hinheißenden Charlene, ihrem Sohn. Als der Song zu Ende war, stand nicht ein Tanzbein mehr still und es kam Moritz so vor, als habe sogar seine Partnerin den Widerstand aufgegeben. Jubel kam auf, denn die Frauen, die alle schon befürchtet hatten, sich den ganzen Abend mit ihren tanzmuffeligen Männern zu schinden, tobten regelrecht vor Begeisterung. Die holden Gatten wirkten über sich selbst erstaunt und gafften in die Runde.
Charlene war einigermaßen außer Atem gekommen, obwohl sie noch am wenigsten getanzt hatte. Das war wohl die Aufregung. Jetzt strahlte sie über das komplette Gesicht und ganz sicher würde gleich auch ihr Mascara verlaufen. In dem Moment schnappte ihr plötzlich Moritz das Mikro aus der Hand, legte ihr schwungvoll einen Arm um, schaute ihr in die Augen und wandte sich dann an das Publikum: „Liebes Silberpaar, liebe Familie und Gäste! Für den Fall, dass ihr es noch nicht alle bemerkt habt, darf ich euch die fantastische Queen des Abends vorstellen: Charlene. Und, wenn du ja sagst, schon bald mein Mann und meine Frau.“
Er ging auf die Knie und hielt ihre Hand. „Du bist die Liebe meines Lebens, willst du mich heiraten?“
Charlene war so voll mit Adrenalin und explodierte fast vor Freude. Mit einer einzigen, eleganten Bewegung riss sie sich die Perücke vom Kopf und noch bevor das Teil mit all seinem Glitzer hinten auf dem Keyboard landete, rief sie „Ja, ich will, mein Traumtänzer!“ und küsste ihn.