Beitrag zum 23.10.2019
Thema: »Beichte«
Sie warfen mich in ein dunkles Verlies. Ratten, Spinnen und anderes Kleingetier wuselten über meinen Körper. Es war bitterkalt hier unten. Ich zitterte, weniger vor Kälte, als vor lauter Furcht. Diesmal würde ich nicht lebend rauskommen. Vielleicht hatte Morto ja Erbarmen, noch ein einziges Mal ...
Aber selbst der Tod gewährt dem Leben nur eine einzige Chance. Es war vorbei. Kiara, Arkan, Hírbokk und ich waren gescheitert. Wir hatten es nicht geschafft, einen der Fünf Bastarde ausfindig zu machen und Miconus zu finden. Den Frieden den Völkern zu bringen. Vorbei.
Ich war von den Mönchen gefangengenommen worden und diesmal, da war ich mir sicher, würden sie alles mit mir anstellen, um den Dämon – der überhaupt nicht existierte! – in mir auszutreiben. Warum taten die Menschen solche grausamen Dinge? Was bitteschön fanden sie daran, sich an dem Leid anderer zu erfreuen? Die traurige Antwort war die, weil auch sie nicht davor gefeit waren, Vold zu dienen. So, wie jedes Geschöpf im Runenwald unter der Herrschaft Volds, Mortos und Runas zu leiden hatte.
Ja, auch wir Elfen. Nur wissen wir noch, dass es außer Gewalt und Schmerzen vergessene Lieder gibt, die die Macht haben, das Dunkel zu durchdringen. Und wir wissen, was Leben wirklich bedeutet: Nämlich nicht, sich stark über andere zu erheben und mit dem Finger auf sie zu zeigen. Oder blind durch die Welt zu gehen, unempfänglich für deren Schönheit. Sondern, einander zu helfen, mit anderen zu teilen, sie zu beschützen (auch, wenn man sie am Anfang überhaupt nicht leiden kann), die kleinen Dinge genießen und über jeden Sonnenaufgang zu lächeln. Einfach zu leben. Leichtigkeit. Licht.
Ich dagegen würde den Sonnenaufgang nicht mehr sehen, nie mehr. Doch es half nichts, jetzt in Selbstmitleid zu versinken. Von fern hörte ich Stimmen. Die Mönche. Sie kamen. Ein Gesang wurde angestimmt. Dann ertönten kaum hörbare Schritte. Bis zu meinem Verlies war es ein gutes Stück. Und diese Zeit wollte ich nicht ungenutzt lassen. Nein, ich hatte nicht vor, nach einem Fluchtweg zu suchen. Es gab keinen, das wusste ich vom letzten Mal noch. Ich schloss die Augen, blendete alles aus; das Verlies, die Dunkelheit, die nähernden Stimmen und Schritte.
Vor meinem inneren Auge tauchte sofort ein Mädchen auf. Sie hatte schwarzes Haar und zwei spitze Vorderzähne erschienen, als sie ihren Mund öffnete und lachte. Kiara. Meine erste Schülerin. Meine Weggefährtin. Meine Freundin.
Es tut mir leid, dass ich dich nicht gleich vor den Mundlosen gerettet habe. Du bist zwar sehr nervig, aber ich war dennoch sehr froh, dich an meiner Seite gehabt zu haben. Danke, dass du mir geholfen hast. Ich hoffe, du findest, wonach du suchst. Arayei, Kiara! Arayei...
Erinnerungsfetzen glitten vorüber, und mein Bewusstsein schwebte fort, in andere Ebenen. Weg von der Realität.
Zumindest dachte ich das. Anscheinend aber nicht.
Ich bekam plötzlich keine Luft. Keuchend riss ich die Augen auf und brauchte eine Weile, ehe sich mein Herzschlag wieder normalisierte.
›Na, sowas! Wenn du schon eine einfache Entschuldigung fast mit dem Leben bezahlst, wie wird das denn erst gleich bei der Beichte, hm?‹, ertönte eine Stimme in meinem Kopf. Etwas flatterte mir ins Gesicht.
›Hallo, Dummkopf von Elfenjunge! Noch nie gehört, dass Fledermäuse dunkle und feuchte Orte lieben? Wundert mich, da du ja die Drag’ry bestens zu kennen scheinst. Nicht nur das, ich glaube, du magst sie sogar. Ein wenig zu sehr, wie es angebracht wäre, hm?‹ Flügel streiften meine Wange, dann setzte sich die Fledermaus in meine Haare.
›Hach, wie herrlich! Elfenhaar! Leihst du mir einige Büschel? Oh, musst du ja gar nicht, die hol ich mir schon, wenn die Mönche dich kahl geschoren haben, hehe!‹
»Sehr witzig!«, knurrte ich. Meine Stimme hörte sich nach altem Holz an. Hohl und alt. Abgenutzt.
»Kannst du mir helfen?«, fragte ich die Fledermaus.
›Hier rauszukommen? Neee, kann ich nicht. Aber ich könnte Hilfe holen, ja. Was bist du bereit, zu geben?‹ Sie stieß einen Laut aus, der mich sehr an das Knurren einer lachenden Chirocyr erinnerte.
»Was immer du willst.«
Die Fledermaus antwortete nicht, sie flog weg. Ließ mich allein in der Dunkelheit zurück. Und ich zerbrach mir den Kopf darüber, wie ich durch meine Beichte einen drohenden Exorzismus abwenden konnte. Es gab nur ein Problem: Ich hatte nichts zu beichten. Zumindest, wenn man den 10 Geboten Glauben schenkt, hatte ich sie nie gebrochen. Für die Mönche aber war das zweitrangig. Bei ihnen zählte nur der in mir wohnende Dämon. Meine Krankheit. Ich würde sie nicht belügen können. Erstens war ich ein Elf und zweitens konnte ich die Prozedur nie anfallsfrei überstehen.
Mutlos schloss ich wieder die Augen. Die Erinnerungen wurden in meiner singenden Stimme lebendig. Ein Licht in der Dunkelheit. Wenn auch nur für kurze Zeit. Denn das Grauen nahte. Schon bald. Nur noch wenige kleine Schritte...