Beitrag zum 27.03.2022
Thema: »Hain«
Fanólas Atem veränderte sich, ein sicheres Zeichen dafür, dass er aufwachte. Mørliga, der es sich in der Gestalt des Lyfux’ auf einer Astgabel gemütlich gemacht hatte, hob den Kopf und beobachtete den Elfen aufmerksam. Zuerst öffnete Fanóla die Augen und ließ den Blick verwirrt durch den Hain gleiten. Dann stand er auf und ging auf Erkundungstour. Er betastete die weichen Blätter, betrachtete die leuchtenden Gläser und blieb schließlich vor dem Spiegel stehen. Ny’varet. Die Farbe des Wassers veränderte sich von dunkel zu einem grünlichen Weiß. Fanóla erstarrte.
Im nächsten Moment schrie er so laut, dass Mørliga unwillkürlich fauchte. Der Lyfux sprang von der Astgabel und tappste leise zu Fanóla, der auf die Knie sank und schwer atmete. Schnurrend stupste Mør seinen Bruder mit der Nase an, und tatsächlich beruhigte Fanó sich. Erstaunen spiegelte sich in seinen Augen, als Mørliga im Thouraní zu ihm sprach.
›Das ist meine Erinnerung an unsere Mutter. Wie sieht deine aus?‹
Fanóla starrte ihn an, und erst jetzt verwandelte der Lyfux sich.
»Gestatten, Mørliga, Besitzer dieser Spelunke, die den Namen Exil am Abgrund trägt, ferner Herrscher der Dämonen des Iblyssums, ebenso wie du ein ausgestoßener Bastard aus dem Elfenforst, Sohn der Elfe Vhayoni und des von Vold beherrschten Vampirs, gegen den sie während der Überfälle im Elfenforst kämpfte und der sie mit mir verfluchte, und – ach ja, und nicht zuletzt dein großer Bruder.«
Nach seiner kleinen Rede machte Mørliga eine sachte Verbeugung. Als er die Miene des anderen sah, musste er grinsen.
»Sprachlos? Oder schockiert?«
Fanóla blinzelte.
»Du … du bist mein Bruder?«, brach es aus ihm heraus, und Mør verengte die Augen. »Sag bloß, du hast noch nie von mir gehört?« Das konnte er sich nicht vorstellen.
Aber Fanóla schüttelte den Kopf. »Ich habe zwar nur die Hälfte meiner Kindheit im Elfenforst verbracht, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass kein Elf je etwas von einem Bruder gesagt hat. Vhayoni übrigens auch nicht. Nie.«
Ein Schnauben war die Antwort. »Kein Wunder. Ich hatte nicht so viel Glück wie du. Mich haben sie sofort ausgesetzt, ehe ich aufhören konnte, zu schreien. Unsere Mutter konnte es wahrscheinlich kaum erwarten, mich loszuwerden. Ich bin ein Kind, das niemand gewollt hat! Niemand!«
Fanóla erwiderte nichts. Es herrschte ein Schweigen, in dem Sehnsüchte und Erinnerungen lagen.
»Sie … sie hat dich nie vergessen«, flüsterte er schließlich.