Beitrag zum 19.01.2020
Thema: »Licht und Schatten«
Heute war der Tag der letzten Rauhnacht. Dunkelheit lag über Belletristica. Noch. In gut einer Stunde würde die Sonne zum ersten Mal seit Tagen ihre Strahlen über das Land schicken.
Und in einer Stunde wäre Mørliga endlich wieder hinter die Spiegel verbannt. Wenn alles gut ging.
Fanola lief leichtfüßig durch die Eternal Pines. Die Bäume neigten ihre Kronen, sodass die Blätter raschelten und der ganze Wald zu flüstern schien.
»Viel Erfolg, Elfenjunge!« »Mögen die Götter mit dir sein!«
Fano war über ihren Zuspruch dankbar. Er brauchte solche Worte mehr denn je. Noch nie hatte ihm vor so einem Kampf gegraut, wie diesem. Denn Mør war stärker. Fanolas Vorteil lag darin, dass er sich ausgezeichnet vor magischen Einflüssen schützen konnte und sogar dunkle Magie beherrschte, wenn auch nur ein Bruchteil dessen, was seinem schwarzen Bruder beigebracht worden war. In allen anderen Dingen konnte er nur hoffen, dass er sie überleben würde.
In das Singen der Bäume mischte sich ein anderer Laut. Schritte. Pfeifen. Fano entdeckte eine Gestalt, die von links des Weges kam. Luan! Der Assassine hörte auf, zu pfeifen, als er Fano entdeckte. Er lächelte, runzelte jedoch fragend die Stirn und wurde ernst, sobald ihm bewusst wurde, wohin Fano unterwegs war.
»Hey, Elfenjunge. Soll ich dich ein Stück begleiten?«, fragte Luan.
Fan atmete aus und senkte den Kopf.
»Das wäre nett. Danke, Luan. Aber ich muss mich beeilen. Wir sollten also schnell sein!«
Schweigend rannten sie in lockerem Tempo durch den Wald. Kurz, bevor sie die Lichtung erreichten, blieb Fano stehen.
»Luan, ich möchte nicht, dass du diesen Kampf mitansiehst. Wenn ich das nicht überlebe, dann … « Er schluckte ein paar Mal. »Bitte geh zurück in die Taverne. Ihr werdet alle früh genug erfahren, wie es ausgegangen ist.«
Mehr konnte Fanola nicht sagen. Luan scheinbar auch nicht. Der Assassine breitete die Arme aus und Fano ließ sich bereitwillig flauschen. Dann machte er sich los und hastete in die Dunkelheit davon.
Luan wartete noch eine Weile, bevor er dem Freund folgte.
Auf der Lichtung stoben unsichtbare Schatten auseinander, als Fanola sie betrat.
Der Elf malte Runen in die Luft – Fehu, Ansuz, Nauthiz, Othala und Laguz – um anzukündigen, dass er diesen Ort den Göttern weihte und sein Leben und seine Seele in ihre Hände gab. Die Schriftzeichen leuchteten hell auf und erloschen anschließend.
Ein Knurren kündigte Mørliga an. Der dunkle Elfenbruder war in seiner Tiergestalt, einem Lyfux. Er verwandelte sich. Die roten Augen funkelten vor Zorn, der geöffnete Mund offenbarte spitze Zähne, und seine Haltung war angespannt. Hinter ihm, in einem Baum eingelassen, befand sich der Spiegel. Das Portal für Mør in seine Heimat.
»Du könntest mir das alles hier ersparen, wenn du freiwillig gehst, Mørliga. Ich frage mich sowieso, was dich in Belletristica hält! Hier schwinden deine Kräfte doch eh! Und außerdem bist du hier nicht gewollt!« Fanola sah seinem Bruder in die rot glühenden Augen.
»Du verstehst es nicht, weißer Bruder!« Kurz blitzte ein Funke Mitgefühl in Mørligas Augen auf. »Du verstehst nicht, um was es hier geht. Du erkennst nicht, was ich in Wirklichkeit bin!«
»Ich weiß, wer du bist! Nämlich ein Dämon in Elfengestalt, der meinen Freunden Angst macht und in einem friedlichen Land, wie Belletristica, nichts verloren hat und deswegen wieder dort zurück verbannt werden muss, wo er hergekommen ist!«, fauchte Fano und hob die Hände.
Mør schüttelte den Kopf und grinste schließlich. Seine Augen glommen wie Feuer.
»Gar nichts weißt du!«, brüllte er, und griff an.
Ein Schwarm schwarzer gefederter Kugeln flog auf Fanola zu, der sich blitzschnell zusammenrollte und mit den Händen in der Luft herumfuhr. Goldene Streifen erschienen über ihn, die sich wie ein Schutz um ihn legten. Die schwarzen Kugeln prallten davon ab und zerbarsten.
Mørliga lachte hämisch.
»Hast du mir nichts zu bieten?«, rief er.
Nein, nicht wirklich, aber Fanola wusste, dass dieser Kampf nicht durch magische Gewalt entschieden wurde, sondern durch viel mächtigere Kräfte: Gefühle.
Er konzentrierte sich, malte die Rune Fehu in die Luft und holte tief Luft und pustete. Ein gewaltiger Feuerball kam aus seinem Mund und flog rasend schnell auf Mørliga zu, der gerade noch wegzischen konnte und nun seinerseits die Rune Mannaz in die Luft schrieb.
Fanola schrie entsetzt auf, als ein Drachenkopf auf Mørs Schultern anstelle dessen Kopfes erschien. Der dunkle Elf sprang auf ihn zu und riss Fan von den Füßen. Fauchend öffnete er das gewaltige Maul und beugte sich über sein hilfloses Opfer, das wie reglos dalag, hinunter und –
Luan hatte schon seinen Dolch gezückt und war drauf und dran, auf die Lichtung zu rennen und Mør eigenhändig den Hals umzudrehen, als sich eine nasse Schnauze in seine Hand schob.
»Marv? Was machst du hier?«, flüsterte der Assassine überrascht.
Marvin setzte sich und sah zu seinem besten Bro auf.
»Dich vor Dummheiten bewahren. Lass Fano das allein mit Mør ausmachen. Wir dürfen uns nicht einmischen! Ansonsten wird uns dieser dunkle Bastard bis in alle Ewigkeit das Leben schwermachen!«
Luan seufzte und kraulte Marvs Fell. Dann fiel sein Blick wieder auf die Lichtung und er sog scharf die Luft ein.
Es war wie an jenem Abend in der Taverne, als Fano in seiner Seelengestalt gegen Mørliga gekämpft hatte. Und doch kam das, was sich jetzt abspielte, nicht im Mindesten an den Kampf von damals an.
Ein riesiger Wolf, bestehend aus Farblichtern, die um ihn herumwirbelten, stand einem kleineren Mischwesen aus Luchs und Fuchs, einem Lyfux, gegenüber. Die Farblichter stiegen auf und schossen auf den nachtschwarzen Lyfux zu, der flink auswich und sich in die Dunkelheit zwischen den Bäumen begeben wollte, doch die Farblichter versperrten ihm den Weg und zwangen ihn bis zum Spiegel. Der Wolf trat langsam auf sein Gegenüber zu. Stumm starrten sich die beiden Tiere an. Dann öffnete der Lyfux das Maul und stieß einen schrillen Schrei des Zornes über die Niederlage aus. Der Wolf senkte den Kopf und die Nasen der beiden berührten sich. Schließlich wedelte jeder mit dem Schwanz und der Lyfux aka Mørli wandte sich den Spiegel zu und verschwand mit einem Sprung darin.
Der Wolf wandte den Kopf in die Richtung zu Luan und Marvin. Die Freunde hörten Fanos Stimme in ihrem Geist.
»Seid bitte so gut und passt kurz auf meinen Körper auf! Ich möchte mich schnell davon überzeugen, dass Mørliga wirklich hinter den Spiegeln ist!«
Luan und Marv gingen zu Fanolas Körper. Der Elfenjunge lag da, hatte die Augen offen und wirkte alles andere als lebendig.
»Er atmet nicht!«, murmelte Luan und hielt sein Ohr an die Brust des Elfen.
»Sein Herz schlägt, aber er atmet nicht.«
Beunruhigt sah er Marvin an, der mit gesträubten Fell dastand und seine Augen wachsam über die Lichtung gleiten ließ.
Plötzlich ertönte ein Heulen und die ganze Lichtung war in ein Farbenmeer getaucht. Das Wolfsgeheul kam näher und Marvin fiel mit ein. Die Farben flossen zu einem Strang zusammen, und dieser Strang zischte auf Fanolas Körper zu und direkt in seine Brust.
Marvin heulte immer noch, als Fan hustete und blinzelte und mit Luans Hilfe auf die Beine kam.
»Bro, kannst du BITTE damit aufhören?«, rief Luan Marv zu, der nicht reagierte. Naja, er wedelte kurz mit dem Schwanz, aber Luans Bitte erfüllte er nicht.
Fanola lachte. »Lass ihn doch! Er besingt Mørs Verbannung und das Ende der Rahnächte.«
Luan hatte nicht gemerkt, dass es immer heller geworden war, nachdem der Kampf vorüber gewesen war. Nun ging die Sonne auf. Die Strahlen fielen auf Fanola, Luan und Marvin.
»Es ist vorbei!«, flüsterte Fano. »Das Licht hat die Schatten vertrieben!«
Aber in seinem Inneren wusste er, dass die Schatten wiederkommen würden. Und zwar in der Form, die ihn am häufigsten heimsuchte.