Beitrag zum 07.10.2020
Thema: »Ruhe vor dem Sturm«
»Auf was wartest du?«, höhnte die Rhojn. »Wird da jemand feige, weil er nur schreien und nicht kämpfen kann?«
»Mein Schreien hat dich zumindest dazu gebracht, das Schwert fallen zu lassen und Schutz hinter den Blättern einer Waldjungfrau zu suchen« entgegnete Whouinacc und grinste, angesichts der Zornesröte, die Nameo ins Gesicht schoss. Er warf Mørliga einen Blick zu und zwinkerte.
Mørliga schüttelte nur den Kopf, deutete auf die Sauerei und sagte: »Das stell ich dir in Rechnung!«
Whouinacc nahm diese Worte mit einem Nicken zur Kenntnis und wich nach rechts aus, außer Reichweite von Nameo. Die Rhojn zischte enttäuscht, als ihr Stoß mit dem Schwert ins Leere ging. Wütendes Geschimpfe ertönte, und aus Whouinaccs Kehle drang ein Brummen, ehe er ebenfalls einen Satz machte, seine Waffe fest in der Hand haltend. Auch dieser Angriff ging daneben, denn Nameo brachte sich hinter dem Tisch, an dem sie zuvor noch gesessen hatte, in Sicherheit. Nun konnte vorerst keiner der beiden eine ernsthafte Attacke mehr ausführen, und das schien ihnen klar zu sein. Sie blitzten sich zornig an, bis Whouinacc einen neuen Versuch startete. Damit erreichte er allerdings nur, dass eine gegenseitige Jagd um den Tisch erfolgte.
Es war die Ruhe vor dem Sturm. Mørliga schickte sich an, hinter den Tresen zu Fahna zurückzukehren. Die Hipja schenkte dem Konflikt, der in einen Kampf auszuarten drohte, keinerlei Beachtung, sondern lächelte Mørliga schüchtern an. »Und es gibt keine Möglichkeit, den Dämon irgendwie zu fangen?«
Er wollte den Kopf schütteln, als ihn bei ihrem Anblick etwas bewusst wurde. Der wunderbar zarte Duft des Blütenkleides brachte sie ihm, diese Möglichkeit, an die er zwar gedacht, die er aber verworfen hatte, weil es dazu nach dem Vorfall noch zu früh gewesen war.
»Doch«, sagte er langsam. »Die gibt es. Und du könntest mir dabei eine sehr große Hilfe sein.«
Sie neigte verständnislos den Kopf. »Ich? Warum?«
»Weil eine Dämonenbeschwörung nicht ohne geeignete Pflanzen funktioniert.« Dafür brauchte es die sogenannte T-Regel: Tæwiam, Triaghal und Terourd. Beschwörungszauber, Dreieck und, am bedeutsamsten, der Boden, auf dem die Beschwörung vonstatten gehen konnte. Es kam nämlich auf die Pflanzen an, die an diesem Platz wuchsen. Deswegen waren brachliegende Felder am besten geeignet für Dämonenbeschwörungen. Und es durften nicht irgendwelche Pflanzen sein, nein.
»Sambel, Brusia oder Bocina, eine von ihnen muss an diesem Ort wachsen«, sagte Mørliga zu Fahna und wandte den Kopf, als ein Krachen ertönte. Whouinacc hatte den Tisch umgeworfen. Jetzt war nichts mehr zwischen ihm und Nameo. Beide hoben ihre Schwerter und sahen sich an. Die Wärme in der Spelunke schien einer Hitze gewichen zu sein. Das Feuer, von dem sie herrührte, stammte nicht etwa von den tanzenden Flammen des kleinen Ofens. Es war das Feuer des Kampfes, das plötzlich aufloderte, als Metall auf Metall traf.
Interessiert beobachtete Mørliga, dass Nameo ihre Verteidigung anfangs noch aufrechterhielt, mit der Zeit jedoch immer weiter fallen ließ und Whouinacc in die Defensive drängte. Die Feantìe fauchte wie Samannar, wenn dieser aus dem Schlaf gerissen wurde, und vollführte eine schnelle Drehung nach links, um dem Angriff zu entgehen und ihrerseits schnell zuzustoßen. Nameo hatte damit nicht gerechnet und schrie wütend auf, als das Schwert ein Loch in das Gewand riss. Noch floss kein Blut, doch das würde nicht mehr lange dauern.
Mørliga wandte sich wieder Fahna zu, die dem Kampf ebenso gebannt folgte, aber ihre Aufmerksamkeit sofort auf ihn richtete.
»Es sind besondere Pflanzen«, fuhr er mit der Erklärung fort. »Der Sambel wirft, wenn er verwelkt, den Samen, aus dem er entstanden ist, als letztes ab und zerfällt zu Asche. Nur dieser abgeworfene Same verbrennt nicht, denn daraus wächst ein neuer Sambel. Ende und Anfang in einem. Die Brusia ist giftig; sie darf man nur am Stängel berühren, keinesfalls am Kelch oder der Blüte. Leider sind die Blüten das Schönste an ihr. Wer sie berührt, verlässt früher oder später diese Welt, sagt man. Der Duft der Bocina ist so intensiv, dass er bis ins Innere der Seele dringt, sie einhüllt und ihr Macht verleiht. Man fühlt sich stark und mutig und alles, was man tut, geschieht aus dem Herzen heraus. Die Bocina wird gern von Kriegern oder Soldaten getragen, um ihnen die Angst vor der Schlacht zu nehmen.«
Wie um seine Worte zu bestätigen, hob Whouinacc seine Waffe hoch über den Kopf, machte einen Schritt vor und ließ sie mit einem triumphalen Schrei auf Nameo niedersausen. Nameo riss in letzter Sekunde das Schwert hoch. Metall schlug auf Metall. Funkelnde Augen blickten einander sekundenlang zornig an, bis Whouinacc die Flügel spannte und mit einem Sprung abhob. Für einen Moment erinnerte er Mørliga so sehr an Eabynal, dass er den Drang, aufzuspringen und sich zu verstecken, nur mit Mühe unterdrücken konnte. Die Feantìe wandte in der Luft den Kopf in Richtung Bar und ein knurriger Laut, der sehr nach einem Schnurren klang, drang aus ihrer Kehle. Bevor Mørliga sich darüber wundern konnte, welche Ruhe ihn mit einem Mal überkam, ergriff Fahna das Wort und lenkte seine Aufmerksamkeit von den Kämpfenden weg.