Beitrag zum 08.01.2020
Thema: »Scharlatan«
»Ich krieg das einfach nicht hin!« Enttäuscht streckte Jari die Beine aus und wollte aufstehen, doch ein strafender Blick von Zhyan veranlasste ihn zum Sitzenbleiben.
»Du erhebst dich erst, wenn ich es dir sage!«, knurrte sein Freund und Lehrmeister.
Jari seufzte. Die Farbe Gelb zu lernen, war schwieriger, als er angenommen hatte. Zhyan und er waren an diesem schönen, sonnigen Tag zur Meisosū-Quelle gegangen. Für eine Meditation und das Öffnen des Nabelchakras genau der richtige Ort. Doch es wollte Jari nicht gelingen, sein Chakra zu öffnen und das Gelb freizusetzen.
»Für heute brauchen wir es gar nicht weiter zu versuchen«, meinte Zhyan und stand auf. »Du bist frustriert. Da hilft auch keine Meditation mehr. Negative Gefühle hemmen den Fluss der Farben.«
»Außer das Rot!«, warf Jari eifrig ein. »Wir könnten doch einen kurzen Kampf machen!«
Zhyan überlegte kurz und schüttelte den Kopf.
»Ich muss bald auf den Markt. Wir hören jetzt auf, aber bereite dich darauf vor, bei Sonnenuntergang nochmal einen Versuch zu wagen.«
Resigniert senkte Jari den Kopf, stand auf und verbeugte sich vor seinem Lehrmeister. Schweigend wanderten sie nach Bainghar, die Hauptstadt Karangjias. Auf dem Markt war schon einiges los. Marktschreier lungerten herum, die Stände waren voll von kostbaren und wertlosen Waren, eine Gruppe Bettelkinder hatte sich in einer dunklen Gasse zusammengefunden, um einen Plan auszuhecken, wie sie möglichst viel Beute machen konnte. Jari winkte den Kindern zu, die daraufhin auf und ab hüpften, die Zungen rausstreckten und andere Grimassen schnitten.
Zhyan warf Jari einen belustigten Blick zu.
»Da hast du dir lustige Freunde ausgesucht! Ich sollte dir dankbar sein, schließlich lassen sie meinen Stand in Ruhe. Aber manche von denen sind richtige kleine Scharlatane! Pass auf!«
»Ich denke, die richtigen Scharlatane werde ich schon erkennen!«, erwiderte Jari ein wenig gereizt, sah zu einem Händler und bemerkte deshalb die besorgte Miene seines Lehrmeisters nicht.
»Ich schau mich mal ein wenig um!« Der Junge verschwand, ehe Zhyan ihn aufhalten konnte. Heute waren aber wirklich viele Händler da! Jari hatte kein Geld und musste demzufolge sich damit begnügen, die Waren anzusehen. Er schlenderte herum.
»He, Kleinerrrr!«, zischte jemand. Jari wandte den Kopf und kniff die Augen zusammen. Die Stimme kam aus einer schmalen Seitengasse, dunkel und dreckig.
Sofort fing sein Herz an, laut zu klopfen. Zhyan hatte ihn in seinen ersten Tagen hier in Karangjia eingeschärft, dunkle Orte zu meiden. Dort lauerten Schatten, die den Farben nicht wohlgesinnt waren. Jari trat einen Schritt zurück und da flog etwas Glitzerndes durch die Luft und landete vor seinen Füßen.
»Trink dassss, und die Sssssonne wird disssch erhellen!«, lispelte die unheimliche, raue Stimme. Trotz des warmen Tages hatte Jari das Gefühl, Eis würde seinen ganzen Körper überziehen. Er war zu keiner Regung fähig. Seine Sinne wurden taub vor Kälte. Wie ein Baum fiel er um, spürte keinen Schmerz, als sein Kopf auf den Boden aufschlug. Das Letzte, was er sah, war eine bösartige Fratze mit spitzen Zähnen in einem Schnabel.
HILF MIR!, konnte Jari noch denken, ehe die Dunkelheit ihn übermannte.