Beitrag zum 02.02.2020
Thema: »Ein Flackern im Wind«
Weitere Inspiration war der Song „Hurricane“ von Theory of a Deadmen
Jari öffnete die Augen. Das Erste, was er bemerkte, waren die Ketten um seine Hand- und Fußgelenke, schwere, eisenbeschlagene Gewichte. Ihm war eiskalt. Wo befand er sich? Seine Umgebung lag in vollkommener Dunkelheit, nur ein unablässiger Wind wehte und zerrte an seiner Kleidung.
»Hilfe! HILFE!«, schrie Jari verängstigt.
Er riss die Arme zu seinem Körper, dass die Ketten laut klirrten, stampfte mit den Füßen auf, sprang nach vorne und warf sich mit aller Kraft gegen das bleischwere Gewicht, gegen das er natürlich nicht ankam.
»Isssscchh kann dir helfen!«, zischte eine bekannte Stimme. Der Schnabelzahndrache!
Jari fuhr zusammen und drehte den Kopf, doch er sah rein gar nichts.
»Trink dasss, und issschh massschee dissschh losss.« Etwas streifte Jaris Lippen und instinktiv presste der Junge den Mund zusammen.
Lautes Seufzen aus der Schwärze.
»Nun gut, du willsssssstt essss auf die harte Weisssse!«, knurrte der Schnabelzahndrache, und dann zerstörten scharfe Krallen Jaris Kleider und hinterließen blutige, tiefe Kratzer auf seinen bloßen Rücken.
Jari kreischte vor Schmerz, und im nächsten Moment schmeckte er eine bittere Flüssigkeit in seinem Gaumen. Sofort spuckte er aus, hoffte, dass nichts in seine Kehle hinabgeflossen war. Der Drache brüllte und fauchte wütend. Gleich darauf brannte Jaris Stirn, und etwas Warmes lief in seine Augen. Blut, welches sich mit seinen Tränen vermischte.
Weinend sank er nieder, rollte sich zusammen und ignorierte das schmerzhafte Ziehen in Armen und Beinen.
Ich will hier raus! Bitte, hilf mir doch jemand!
Gerade dachte er den Gedanken zu Ende, als er ein Flackern im Wind erspähte. Eine Fackel? Die Tränen nahmen Jari die Sicht – er konnte zwar ohnehin nichts sehen, aber hätte er nicht geweint und wäre kein Blut in seinem Auge, hätte er gesehen, dass dieses Flackern auf ihn zukam.
Er schloss die Augen, weil er nicht wissen wollte, was ihm jetzt für eine Grausamkeit drohte.
Plötzlich fielen die Fesseln von ihm ab. Jari war zu schwach, um aufzustehen. Sein Rücken fühlte sich an, als würden tausend Flammen darauf tanzen. Zwei Arme ergriffen ihn unter den Achseln und er wurde durch die Dunkelheit geschleift. Wenige Sekunden später blendete ein grelles weißes Licht seine Augen. Die Arme ließen ihn los und Jari fiel vornüber.
Jemand fing ihn im letzten Moment auf. Eine warme Hand strich über seine verletzte Stirn. Anschließend wurde er sanft abgelegt.
»DAS nennst du unversehrt?!«, donnerte eine zornige Stimme, bei der Jari augenblicklich die Augen aufschlug und den Kopf hob.
Nein, es war kein Traum! Dort stand Zhyan, und vor ihm eine Frau in weißen Gewändern. Die weiße Dame Saphaura! Sie wich vor dem wütenden verbannten Prinz zurück. Zhyan bebte vor Zorn, hatte die Fäuste geballt und es geschah das, was Jari befürchtet hatte. Sein Freund explodierte, und das wortwörtlich: Funken stoben aus einer dichten Rauchwolke, die sich zu einem Wirbelwind formte und schließlich zu einem Hurrikan, der allerdings nicht mehr grau war, sondern in allen Farben leuchtete. Und dieser Hurrikan ließ den Turm der weißen Dame erzittern und beben. Schon fielen die ersten Trümmer. Saphaura war nicht mehr zu sehen. Jari wollte fliehen, doch er konnte nicht aufstehen. Und auch den Trümmerteilen konnte er nicht ausweichen. Aber seltsamerweise traf ihn kein einziges. Erst da nahm er die farbige Blase wahr, die sich schützend über ihn ausbreitete. Zhyan war also noch geistesgegenwärtig genug gewesen, seinen Schüler vor seinem Zorn zu bewahren.
Ein fauchendes Brüllen ertönte von sehr weit unten, und Jari, der genau wusste, dass das der Schnabelzahndrachen war, stieß ein Wimmern aus und schluchzte auf. Die Erinnerung an die Dunkelheit und diesem bösartigen Geschöpf lief ihm als dunkelrotes Blut warm über den Rücken.
Doch Zhyan holte ihn wieder ins Hier und Jetzt zurück. Jari wurde von ihm huckepack genommen und sie sprangen durch ein zersplittertes Fenster nach draußen. In die Tiefe. Dem Jungen wurde schwindelig und wieder umfing ihn Dunkelheit, diesmal allerdings fühlte sie sich wie eine Befreiung an.