Beitrag zum 19.09.2021
Thema: Blessuren
JOSHUA
Vor Dad hatten wir noch nie Angst haben müssen. Er war immer der Besonnene, derjenige, der Ruhe ausstrahlte. Egal, was passierte. Mum schrie rum und verteilte ab und zu Ohrfeigen, die wir, im Nachhinein betrachtet, zu Recht verdient haben.
Aber nie Dad, niemals.
Und darum schmerzt die Tatsache, dass er es diesmal getan hat, umso mehr.
Ich halte meinen Arm unter das fließende Wasser. Es prickelt. Vorsichtig fahre ich mit den Fingern über die rote Stelle am Handgelenk. Dort hat er mich festgehalten. Festgehalten und angeschrien, während ich vor lauter Angst wie erstarrt dastand. Freeze-Mode. Das passiert mir im Kampfsport nie.
Doch mein Papa ist auch noch nie so wütend gewesen wie vorhin. Wütend und voller Angst. Angst um mich.
Vielleicht hat er beide Ängste, meine und seine, in meinen Augen gesehen. Vielleicht hat er sich geschämt, die Angst hinter der Wut verstecken zu müssen, damit sein Sohn nichts merkt.
Keine Ahnung.
Ich weiß nur, dass er mich weggestoßen hat, ich mit der Hüfte gegen eine Ecke der Kommode geprallt bin und das Gleichgewicht verloren habe. Eine Fallrolle hat Schlimmeres verhindert. Ich lag auf dem Boden, als Mum zu mir gekommen ist. Sie hat alles mitbekommen, mir aufgeholfen und gesagt, ich solle nach oben gehen. Und dann hat sie in einem sehr eiskalten Ton mit Dad gesprochen. Eiseskälte ist manchmal schlimmer als ein Wutfeuer.
Ich drehe den Wasserhahn zu, ziehe mich ganz aus und untersuche meine Hüfte. Ein kleiner Bluterguss. Und die Blessur am Handgelenk. Es gab schon schlimmere Male von Schlägen. Alle vom Kampfsport.
Aber diese beiden tun mehr weh. Viel mehr.
Die Haustür wird aufgesperrt. Chad kommt heim. Ich ziehe Boxershorts und Jeans wieder an und lehne den Kopf an die Wand. Von unten tönen Stimmen. Und dann Chads Frage: »Verdammt, was ist passiert?«
Leise Worte. Schweigen. Ein wütender Aufschrei. »Du hast ihn geschlagen?«
»Nein!«, ruft Dad laut und redet leise weiter. Ruhig und beschwichtigend. Was jedoch nichts hilft. Denn mein Bruder stampft mit dem Fuß auf, so fest, dass ich die Erschütterung wahrnehme. Er wird laut. Zu laut. Aggressiv. Wie nach einem Anfall.
Ich gehe nach unten. Sie sind im Esszimmer.
»Fass ihn nie wieder an!«, faucht Chad, als ich eintrete.
»Chad, es war keine Absicht …«, sagt Mum, doch ihr Versuch, zu intervenieren, prallt an meinem Bruder ab. Er fixiert Dad, der zusammengesunken auf dem Stuhl sitzt und dessen ganze Körpersprache abgrundtiefe Scham ausdrückt.
Ich nehme Chads Hand und ziehe ein wenig daran. Mein Bruder stößt die Luft aus, wirft Dad einen letzten wütenden Blick zu und folgt mir nach oben in unser Zimmer.
»Hat er …?«, fragt er, doch ich unterbreche ihn mit einem Kopfschütteln, deute auf die Blessuren und erzähle, was passiert ist.