Beitrag zum 20.10.2021
Thema: Gegen alle Widrigkeiten
CHAD
Mein Wutausbruch hat Folgen. Ich darf nicht mehr im selben Raum sein, sobald Mum oder Dad mit Joshua sprechen. Werde weggeschickt, höflich und bestimmt. Wenigstens das.
Joshua erzählt mir nach jedem Gespräch, worum es ging. Meist um die Überlegung, in welche Einrichtung sie ihn unterbringen wollen.
»Das steht also jetzt fest?«, sage ich ungläubig. »Und wir haben nichts dazu zu sagen? Du bist einundzwanzig Jahre, niemand kann dich gegen deinen Willen irgendwo unterbringen!«
»Glaub mir, das wissen sie! Deswegen reden sie ja ständig mit mir.« Joshua wischt sich mit einer Hand über die Augen. Ich brauche etwas, bis ich die Bedeutung seiner Worte kapiere.
»Die wollen, dass du freiwillig dorthin gehst? Aber sie wissen doch, dass du das niemals tun wirst!«
Er weicht meinem Blick aus. »Das ist jetzt nicht dein Ernst?!« Ich packe ihn unsanft an der Schulter. »Josh, du denkst nicht ernsthaft darüber nach?«
Mein Bruder fängt an zu weinen. Scheiße! Ich lege einen Arm um ihn, die andere Hand auf seinen Hinterkopf und ziehe ihn an mich, sodass sein Gesicht auf meiner Brust ruht.
»Wenn du denkst, das hilft dir in irgendeiner Weise, dann …« Stockend sehe ich auf die braunen langen Haare, in die sich meine Finger graben, und sammle mich, ehe ich weiterspreche. »… dann geh dorthin für ein paar Wochen. Aber nur, wenn du dir ganz sicher bist! Und wenn DU es willst, nicht unsere Eltern. Hörst du?«
Er nickt und schluchzt noch mehr. Sanft streiche ich mit der Hand über seinen Rücken, male Worte darauf. Großer Bruder. I love you. Mein Samurai.
Bei dem Gedanken daran, Joshua wieder für lange Zeit nicht mehr zu sehen, bekomme ich Angst. Das letzte Mal, als wir allein waren, hat er sich mit Drogen vollgepumpt. Und das vorletzte Mal lag ich im Koma und er hat sich vor lauter Trauer und Hoffnungslosigkeit gehen lassen.
Manchmal denke ich, wir sind als siamesische Zwillinge auf die Welt gekommen. Idiotischer Gedanke, denn es ist nichts weiter als unsere enge Bindung zueinander, die auf die Probe gestellt wird, wann immer der eine Mist baut und der andere sich Sorgen macht.
Aber wir haben bisher jedes Mal wieder zueinander gefunden. Und die Erlebnisse haben uns nur noch stärker zusammengeschweißt.
»Egal, wie du dich entscheidest, denk nicht, dass du allein dort durch musst. Ich bin da. Für dich. Immer«, murmle ich in seine Haare und drücke ihn fest.