Beitrag zum 31.05.2020
Thema: »Familienausflug«
»Nei!«
»Du spinnst wohl!« Eine aufgebrachte Stimme ließ Fanóla die letzten Meter zur WG laufen. Der Elfenjunge ahnte eine hereinbrechende Katastrophe.
Hastig öffnete er die Tür und war mit einem Satz in dem großen Aufenthaltsraum. Dort, auf einem gemütlichen großen Kissen hatte Nirug, der kleine Drache, es sich gemütlich gemacht. Über ihm hatte sich Rikhon drohend aufgebaut und fuchtelte mit den Händen herum. Er sprühte vor Zorn.
»He, was ist denn hier los?«, wollte Fanóla wissen.
»Der Kleine hat ‘nen Knall!«, brüllte Rikhon und deutet anklagend auf den armen Nirug, der sich ängstlich in das flauschige Kissen drückte und leise fiepte.
»Ni-ruuuug Nam-Nam!«
Verständnislos und ein wenig ärgerlich, wandte sich Fanó an den Chronistenkrieger.
»Warum gibst du ihm denn nichts, wenn er Hunger hat?«
Rikhon schnaubte: »Schau mal nach oben. Schau es dir an, und dann komm runter und sag, dass der Kleine nicht mehr alle Schuppen am Fell hat!«
Als Nirug das hörte, quiekte er erschrocken auf und drehte den Kopf in aberwitzige Verrenkungen, um all seine Schuppen ansehen zu können. Fanóla seufzte und ging die Treppe nach oben zu dem großen Schlafraum. Was er dort sah, ließ ihn fast ebenso laut brüllen wie Rikhon.
»NIRUG!! Schau sofort, dass du herkommst!«
Von unten ertönte Gequieke und Gefiepe, und kurz darauf erschien Rikhon mit einem zappelnden Nirug in den Armen.
Fanóla sah den kleinen Drachen ruhig an.
»Was ist das?« Er deutete auf die rund fünfzig Kartoffeltriebe, die in Töpfen auf dem Boden standen. Woher Nirug die herhatte, wollte der Elfenjunge lieber nicht wissen.
»Offel, Nir-uuuug Nam-Nam!«, fiepte Nirug und reckte ein wenig die Brust. Kein Zweifel, er war stolz darauf, es geschafft zu haben, die Töpfe mühselig hierher zu schleppen.
Fanó hob hilflos die Arme. »Warum? Warum brauchst du FÜNFZIG Pflanzen, aus denen vielleicht doppelt oder dreimal so viele Kartoffeln werden?«
Wieder bekam er die Antwort: »Nam-Nam!«
»Aber – da wird dir ja schlecht, wenn du so viele Kartoffeln isst!«, wandte Rikhon ein.
Der Elfenjunge verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte Nirug an. »Ich will die Pflanzen hier nicht haben, verstanden? Wir bringen mindestens die Hälfte von ihnen zu dem Feld hinter die Taverne, vielleicht ist da noch Platz. Den Rest können wir von mir aus behalten, aber hier in der WG haben sie nichts verloren! Die kommen schön nach draußen in den Garten!«
Nirug war davon nicht begeistert. Traurig fiepte er und kuschelte sich an Rikhons Brust. Mit flehenden Augen sah er den Chronistenkrieger an, der ihm ungewöhnlich sanft über die Schuppen strich.
»Fanó hat recht, Kleiner. Wenn wir alle Pflanzen hier drin lassen, können wir uns demnächst mit meinem Dolch einen Weg zu den Betten bahnen. Und außerdem können deine Offeln leicht Schaden nehmen. Du kennst mich doch, wenn ich heimkomme, trete ich alles platt!«
Entsetzt ließ Nirug ein lautes »WAAAAAAAAHH!« ertönen und flatterte zu seinen Töpfen.
»Willst du, dass Rikhon deine Offeln platt tritt?«, fragte Fanóla den Drachen, der landete und mutlos die Flügel anlegte und den Kopf senkte.
»Nei!«, wimmerte er.
»Also los!«, seufzte Rikhon, hob drei Töpfe auf einmal auf und trug sie nach unten. Eine Stunde später war Touk vor den Anhänger gespannt. Das Racjallo selbst war auch noch mit sechs Töpfen beladen. Unerwartete Hilfe kam von Jiin, dem Himnadhyi (Schneeschwanwolf), der vorübergehend als Gast bei ihnen in der WG wohnte.
Der Wolf hatte sich scheckig gejault, als er von den Offeltöpfen erfahren hatte.
»Wenn du einen Luftdämon auftreiben kannst, kann ich die Töpfe in der Luft hinter mir herziehen«, hatte er zu Fanó gesagt, der daraufhin seinen ehemaligen Retter Shokân gerufen hatte. Was der Dämon als Gegenleistung verlangt hatte, wusste Rikhon nicht, doch es bereitete ihm große Sorgen.
Nichtsdestotrotz war es ein angenehmer Familienausflug. Nirug flatterte neben Jiin her, während Fanóla Shokân ein wenig bändigte, was notwendig war, denn ansonsten würden ihnen die Töpfe um die Ohren fliegen. Bald waren sie auf dem Feld hinter der Taverne.
Der Elfenjunge bedankte sich bei Shokân und als dieser weg war, arbeitete er schweigend mit den anderen. Sie rissen die Pflanzen aus den Töpfen und gruben sie in die Erde auf dem Feld ein.
Auf dem Heimweg saß Fanó erschöpft neben Rikhon auf dem Anhänger.
»Welchen Preis musst du zahlen?«, fragte der Chronistenkrieger leise. Der Elf gab keine Antwort, aber die Träne in seinem Augenwinkel sagte alles. Rikhon hob den Daumen und wischte sie sanft weg. Dann blickte er mit so grimmiger Miene nach vorne, dass Fanóla schauderte. Nirug landete fröhlich keckernd auf Rikhons Hut.
»Dankeschön, Kleiner! Wegen dir sitzen wir jetzt so richtig in der Scheiße!«, knurrte der Krieger.
»Lass ihn! Er kann nichts dafür! Es war meine Idee, naja, mehr oder weniger.« Fanó klang kleinlaut. »Und was heißt hier wir? Wohl eher ich!«
Rikhon zeigte ihm einen Vogel. »Und du glaubst im Ernst, ich schau einfach so zu, wie du dich dem Dämon auslieferst? Nein, da hat sich dein lieber Freund geschnitten!«
Fanóla schwieg und flauschte Nirug. Über ihnen nahm Jiin Kurs auf den Horizont und war bald verschwunden.