Beitrag zum 05.04.2020
Thema: »Spiel mit dem Feuer«
Sie schwiegen, bis Drojhidã die Schwingen ausbreitete und den Kopf zu Zhyan wandte.
»Was willst du jetzt machen? Du bist verbannt.« Besorgt musterten die Drachenaugen den jungen Prinzen.
Zhyan lächelte. »Ich komme zurecht. Ich kann weiterhin meine Mosaikwerke auf den Stadtmärkten verkaufen und über einen Schlafplatz mache ich mir keine Gedanken. Da finde ich schon etwas.«
Drojhidã schien beruhigt. Er schlug mit den Flügeln, doch Zhyan rief ihm zu: »Wann bringst du Jari her?«
»Zur ersten Tag- und Nachtgleiche«, erwiderte der Drache. Das war in fünf Tagen. Einen Tag vor dem großen Markttag in Bainghar und eine Nacht nach dem Xidhaya-Fest.
Zhyan winkte und Drojhidã verschwand in den Wolken. Der verbannte Prinz spürte die Vorfreude auf Jari wie das Feuer, das ihn vor kurzer Zeit noch umgeben hatte. Ja, er freute sich darauf, seinem kleinen Freund die Farben beizubringen. Und er war sicher, dass der Junge sich als würdig erweisen würde.
* * *
Während der ganzen nächsten Woche platzte Jari schier vor lauter Aufregung. Er konnte es kaum erwarten, bis es wieder Freitag war. Das Gefühl, das immer da ist, wenn man sich auf etwas Besonderes ganz fest freut, aber darauf noch warten muss, schien endlos anzudauern. Doch schließlich war Freitag. Im Kunstraum werkelten die Schüler eifrig an ihren Bildern. Jari hatte schon eine neue Zeichnung angefangen.
Über das ganze Papier spannte sich ein in schillernden Farben ausgemalter Regenbogen. Darunter, wie als würden sie sich unterstellen, standen zwei Personen: Ein kleiner Junge mit braunen Wuschelhaaren und eine größere Gestalt, welche ganz schwarz ausgemalt war und auf dessen Körper sich eine senkrechte Linie von Farbtupfern zog. Der Farblichtkrieger.
Als die Schulglocke ertönte, war Jari fertig. Schnell säuberte er Pinsel und Wasserbecher und räumte alles in seinen Malkarton. Dann legte er das Bild zum Trocknen wieder auf die Fensterbank und rannte diesmal als einer der Ersten aus dem Kunstraum. Bald würde er in Karangjia sein!
Während des Weges zum buddhistischen Garten dachte Jari an den Traum, der ihn heute Nacht heimgesucht hatte. Ein junger Mann mit Haaren, die aufgrund seiner wilden Bewegungen hin und her flogen, hatte inmitten eines Flammenmeeres getanzt. Zumindest hatte es für Jari so ausgesehen. Plötzlich war der Typ ruhig geworden. Er war dagestanden und es hatte den Anschein gehabt, als würde er direkt in Jaris Augen blicken.
»Ich freue mich auf dich, Jari!«
Dann war er wach geworden. Jari rätselte, was der Traum zu bedeuten hatte. Würde er etwa lernen müssen, Feuer zu schlucken oder anderweitig etwas mit ihm zu machen, so wie die Schausteller, die Jari letztes Jahr auf dem Mittelaltermarkt gesehen hatte?
Bei diesem Gedanken lief dem Jungen ein Schauder über den Rücken. Feuer war gefährlich. Das Spiel damit konnte tödlich enden.
Seine Gedanken kreisten noch immer darum, als er den Tempel betrat. Draußen schien die Sonne; das Wetter war der totale Gegensatz zu vorheriger Woche. Guāshi saß in einem weißen Hemd und einer bequemen Stoffhose im Lotussitz da und zwinkerte Jari zu. Gespannt verbeugte sich der Junge und ließ sich ebenfalls im Lotussitz nieder. Sein Herz klopfte; er war aufgeregt und voller Vorfreude. Endlich würde er Karangija wieder besuchen, und zwar wirklich!