Beitrag zum 27.10.2019
Thema: »Erlösung«
Schwarze Kapuzengestalten betraten meine Zelle. Ich fuhr zusammen, mein Gesang brach ab. Mein Herz klopfte. Angst bemächtigte sich meiner.
Die Mönche fackelten nicht lange. Niemand sprach zu mir. Sie begannen ihr Gebet; ein einstimmiger Chor, der meine Schmerzen besang. Etwas Nasses traf mich, vermutlich Weihwasser. Noch hielt ich die Schmerzen aus. Doch das war erst der Anfang. Ich versuchte, meine Angst zu bekämpfen, doch sie war schon zu stark. Rezitierte Stellen aus dem Heiligen Buch. Der Gesang wuchs zu einem einzigen mächtigen Schrei heran. Daran war nichts mehr barmherzig. Das hier war die Hölle!
Ich kniff die Augen zusammen und machte mich klein. Wie lange ich noch still sein konnte, wusste ich nicht. Warum ließ mich meine Krankheit immer dann im Stich, wenn ich sie dringend brauchte? Wenn ich jetzt einen Anfall bekäme, dann könnte ich wenigstens aus meinem Körper herausfahren und als Seele vielleicht Kontakt zu Arkan aufnehmen. Andererseits, wenn sie mich umbrachten, dann wäre ich verloren. Ich musste das hier überleben! Norfang setzte alle Hoffnung auf mich. Ich war derjenige, der den Frieden im Runenwald einkehren lassen konnte. Nicht aufgeben!
Der Gesang brach abrupt ab. Oh, nein, bitte nicht! Jetzt kam das Schlimmste. Da das Weihwasser nicht die erwünschte Wirkung zeigte – wie sollte es auch, wenn ich nicht besessen war?! – griffen die Mönche zu drastischeren Mitteln. Einige Brüder hielten sich im Hintergrund und beteten leise murmelnd, während einer auf mich zukam, eine Lederpeitsche in der Hand. Fünf Schläge hielt ich klaglos aus. Das Blut lief mir über die Arme, die Brust und das Gesicht. Ich verlor die Kraft, mich irgendwie zusammenzurollen und mich zu wehren, als derjenige, der die Peitsche in der Hand hielt, mich an den Haaren packte und ich meine Haltung aufgeben musste. Als ich getroffen wurde, fing ich an, zu schreien. Eine Dunkelheit, anders als die in meiner Zelle, ergriff Besitz von mir, und ich ließ mich dankbar hineinfallen, das Schnalzen des Leders auf meiner nackten Haut nur noch von fern wahrnehmend. Gerade, als ich glaubte, meine Seele würde meinen Körper nun doch verlassen, entdeckte ich das Leuchten. Nein, das war keine Einbildung!
›Hilfe!‹, wollte ich rufen, aber das Wort verließ meinen Mund nicht.
›Keine Sorge, Elfenjunge! Hilfe ist schon da!‹ Die Fledermaus war zurückgekehrt! Ich konnte es nicht fassen.
Verzweifelt hob ich den Kopf. Ein gewaltiger Schlag traf mich, ein Bersten und Krachen erfüllte die Luft. Panikartige Schreie ertönten. Aber ich sah nur noch glänzende Schuppen aufblitzen und hörte ein wütendes Fauchen, ehe alles in blutrotes Licht getaucht wurde und ich das Bewusstsein verlor.
Ich wollte nicht sehen, was dort in meiner Zelle geschah, deswegen ergriff ich panisch die Flucht. Die Angst hielt mich fest umklammert und dachte gar nicht daran, mich loszulassen.
»Fanóla, weglaufen nützt nichts! Früher oder später wirst du zu deinem Körper zurückkehren müssen. Du hast eine Aufgabe zu erfüllen.« Die Stimme, die mich letztendlich zum Anhalten bewegte, gehörte zu einem Dämon. Ich wusste nicht, wo ich war. Irgendwo im Wald, anscheinend, denn um mich herum standen Bäume, deren Äste bedrohlich in den dunklen Himmel ragten. Der Dämon selbst war ein orangeroter, pulsierender Feuerball, welcher vor mir im kalt wehenden Wind schwebte.
»Wer bist du?«, rief ich verwirrt.
»Mein Name ist Shokân, und ich bin ein Luft- und Feuerdämon. Ich bin hier, um deine Frage zu beantworten.« Der Feuerball verzerrte sich. Undeutlich wurde eine Gestalt sichtbar. Eine Fledermaus.
Nun begriff ich, wer mir wirklich in der Zelle geholfen hatte. Und ich ahnte, was der Preis dafür sein sollte. Damit saß ich in einer richtigen Zwickmühle fest. Ich sollte dem Dämon sein Leben lassen, weil er mir geholfen hatte. Andererseits war da der Pakt, den ich mit Morto geschlossen hatte: Ich musste dem Tod jene Seelen bringen, die sein Bruder Vold zuvor geschunden hatte, damit diese Seelen nicht verloren gingen und ruhelos im Runenwald umherstreiften. Diese verlorenen Seelen waren die Dämonen. Sie nisteten sich manchmal in Lebende ein, um diese zu bösen Dingen anzustiften. Es war meine Aufgabe, zu verhindern, dass Seelen nicht verloren gingen. Wenn ich auf eine verlorene Seele traf, musste ich sie töten. Morto ließ mich so in Ruhe und beschützte mich vor Vold, wenn der es mit mir zu arg trieb. Aber wenn ich jetzt Shokân sein Leben schenkte, dann würde Morto mir nicht mehr wohlgesinnt sein, oh nein. Er würde diejenigen holen, die mir wichtig waren. Und die erste, die es traf, würde Kiara sein.
Ich konnte nicht zulassen, dass irgendjemand meiner Reisegefährten starb. Das Leben eines Einzelnen für das meiner Freunde.
»Es tut mir leid, Shokân«, flüsterte ich leise und sah ihn traurig an.
»Sie ist dir wohl sehr wichtig, hm? Ich verstehe das, Elfenjunge. Aber bevor du mich tötest, lass mich dir die Bedeutung meines Namens zeigen.« Der Dämon drehte sich schnell herum, und in der Luft erschienen Runenzeichen. Ich keuchte auf. Meine Finger pulsierten, als die Magie in sie hineinfloss. Tödliche Magie. Aber ich konnte sie nicht freisetzen. Nicht, weil mich etwas daran hinderte, sondern, weil ich nur Augen für die sich vor mir drehenden Runen hatte.
Langsam entzog ich meinen Fingern die Magie, die sich in mich zurückzog. Nein, ich würde Shokân nicht töten. Denn die Runen sprachen ihre eigene Sprache. Sie teilten mir etwas mit. Der Dämon neigte dankbar den Kopf, als er merkte, dass ich nicht vorhatte, ihn umzubringen. Er stieg hoch in die Lüfte und ließ sich vom Wind davontragen.
Ich stand regungslos da. Es war richtig, Shokân am Leben gelassen zu haben. Denn das Wort, das die Runen formten, und das den wahren Namen des Dämons preisgab, war: ERLÖSUNG.