Beitrag zum 10.11.2019
Thema: »Jekyll & Hyde«
(Hinweis: Während des Lesens den Soundtrack Theme „Arena (Kyoshi)“ von Avatar – Herr der Elemente hören! EEEEEEEEPPIIIIIIISSSCHHHH!!)
Das Feuer knisterte, und in der fast leeren Taverne war es gemütlich und behaglich. Fanola saß meditierend auf einer flauschigen Decke, völlig in sich selbst versunken. Seine Seele hatte sich vor wenigen Sekunden von seinem Körper gelöst, und nun schwebte er in der Taverne umher. Es hätte ein Orkan oder eine erneute Angriffswelle der Winterdämonen stattfinden können, Fanola hätte es nicht mitbekommen. Für diese besondere Kunst der Tiefenmeditation musste man nicht nur jahrelange Übung haben, sondern auch eine angeborene Ausgeglichenheit besitzen.
Der Elfenjunge flog durch den Raum, vollführte Saltos und bedauerte es insgeheim, dass niemand ihn in seiner Seelengestalt sehen konnte. Andererseits hatte das auch gewisse Vorteile.
Die Tavernentür ging auf, und Fanos Freunde, der Wolf Marvin und der Assassine Luan, kamen schwatzend herein. Sie blieben sofort stehen, als sie den Körper des Elfen erblickten.
»Was macht Fanola denn da?« Stirnrunzelnd ging Luan zu der Decke und streckte die Hand aus, wohl, um Fanola zu berühren.
»Ich weiß es nicht. Sieht so aus, als wäre er zu Stein erstarrt!«, erwiderte Marvin und schnupperte mit nach hinten gelegten Ohren an seinem Freund.
Luan zog die Augenbrauen zusammen, kniete sich hin und hielt seine Hand dicht unter Fanos Nase.
»Er atmet. Und zu Stein ist er auch nicht geworden. Ich denke eher, dass er meditiert. Siehst du, wie er dasitzt? Im Lotussitz, und die Hände sind zu einem Mudra geformt.« Der Assassine deutete auf die Finger, welche ineinander gelegt waren, sodass sich die Zeigefingerspitzen der beiden Hände berührten.
Marvin war sichtlich unruhig. Der Wolf sah immer wieder zur Tür, den Schweif nach oben gerichtet. Auch das Nackenfell sträubte sich. Fanola fragte sich, was passieren würde. Neugierig glitt er zum Fenster und spähte in die Dunkelheit. Nur Schwarz. Er wandte sich wieder zu seinen Freunden um.
»Was, wenn er nicht mehr zu sich kommt?«, jaulte Marvin ängstlich.
»Das könnte durchaus passieren, Wolf!« Eine Stimme, die Fanolas sehr ähnlich klang, ertönte, und als Luan und Marvin (und ein völlig perplexer Fanola) herumfuhren, sahen sie auf dem Bartresen einen Elfen sitzen, der lässig mit den Beinen baumelte. Er könnte Fanolas Zwillingsbruder sein, allerdings in Schwarz. Denn er hatte weiße Haare und rote Augen, die böse funkelten. Die dunkle Kleidung machten das unheimliche Bild komplett. Wie in aller Welt war DER hierher gekommen?
Ist wahrscheinlich besser, ich weiß es nicht, dachte Fano und schwebte im Kreis, um nur ja nichts zu verpassen, was sich unter ihm abspielte.
»Dich habe ich schon mal gesehen. Im Spiegellabyrinth, ja! Wärst du nicht aufgetaucht, dann hätte ich einen mordsmäßigen Spaß mit meinem furchtlosen weißen Bruder gehabt! Das wäre lustig gewesen! HAHAHAHAHAHA!« Er lachte los, so grauenvoll, dass Marvin die Ohren anlegte und knurrte.
»Du kommst recht ungelegen! Erstens ist es schon spät und zweitens kann Fanola nicht gerade zu deiner Unterhaltung zur Verfügung stehen!«, mischte sich Luan ein und stand auf. »Deswegen schlage ich vor, du verschwindest!«
Der schwarze Elf verstummte und kniff die Augen zusammen.
»Du scheinst nicht zu wissen, wen du vor dir hast, Assassine!«, zischte er wütend. »Ich bin nur hier, weil mein weißer Bruder und sein Wolfsfreund mir den Weg hinaus gezeigt haben. Sie haben sozusagen die Tür zu meinem Gefängnis offen gelassen. UND JETZT BIN ICH HIER!« Brüllend fegte der dunkle Elfenjunge durch die Taverne und warf Stühle und Tische um. Er war schnell, und Fano konnte ihm nur mit Mühe ausweichen. Wenn sein schwarzer Bruder herausfand, dass er hier im Raum war, dann konnte diese Begegnung sehr schlimme Folgen haben.
»Was ist denn mit dem los?«, raunte Luan Marvin zu, der den schwarzen Schatten nicht aus den Augen ließ.
»Keine Ahnung. Hoffentlich zieht er wieder ab! Wir sollten ihn fragen, was er will!«, erwiderte der Wolf und stieß ein Bellen aus, um die Aufmerksamkeit des Elfs auf sich zu lenken.
»Du hast mich gerufen, Wolf? Was gibt’s? Hast du vor, mich wieder einzusperren?«
»Was willst du hier?«, knurrte Marvin.
»Ich will rumkommen und meine Macht erweitern. Meine Macht über meinen Bruder! Bisher hat er mich immer besiegt und keine Angst gezeigt, aber damit ist bald Schluss! Er kann mir nicht entkommen! NIEMALS!«
Spöttisch zog Luan eine Augenbraue hoch. Fanola tat es ihm nach und schwebte zu einem Spiegel, um zu gucken, wie gut er Luan imitieren konnte, aber alles was er sah, waren die drei Gestalten hinter seinem Rücken. »Und da bist du dir sicher, ja? Wir sind schließlich auch noch da!«
Der Elf sah ihn eine Weile nachdenklich an, dann nahm sein Gesicht einen wirklich gefährlichen Ausdruck an. »Richtig toll! Dann messe ich mich gerne mit euch!«
»Sag mal, spinnst du?«, zischte Marvin seinem Bro zu. »Du kämpfst nicht ernsthaft mit Fanolas Schatten, oder?«
Doch genau das hatte Luan anscheinend vor, denn er zog seinen Dolch. Der dunkle Elf grinste und nahm Kampfhaltung ein. Sie umkreisten sich. Der Tanz ging los. Auch Marvin richtete seine Aufmerksamkeit auf Luan und dem schwarzen Elf, die einander durch die Taverne jagten. Beide waren gleich schnell und wendig, sodass weder Luan einen Treffer mit seinem Dolch landen noch der Elf, der einen scharfen Messerbumerang bei sich hatte, dem Assassinen wehtun konnte.
Plötzlich flog der Bumerang direkt auf Marvin zu! Oh nein! Fanola zischte hinunter, doch er wusste, dass er es nicht schaffen würde. Der Wolf hatte keine Zeit mehr zum Ausweichen und sah das Wurfgeschoss viel zu spät. Aber der Bumerang erreichte sein Ziel nicht, denn Luan packte den Elfen blitzschnell am Kragen und hielt ihm den Dolch drohend an die Kehle, sodass der Dunkle mit einer Handbewegung die Richtung des Bumerangs änderte.
Puh! Fanola atmete erleichtert aus und gesellte sich neben Marvin, um weitere mögliche Treffer verhindern zu können.
»Jetzt reicht’s mir! Fano magst du vielleicht quälen, aber nicht meinen Wolfsbruder! Hau endlich ab!« Der Assassine erhob die Stimme und stieß den Elf in Richtung Tavernentür. Aber der Dunkle riss sich los. Seine Augen richteten sich auf Fanola, der seinen schwarzen Bruder angrinste.
»So sieht man sich also wieder! Na los, bringen wir es hinter uns!« Und damit begann der eigentliche Kampf.
»Was zum-?«, rief Luan und brachte die Worte nicht mehr hervor. Fano hätte gerne über die Ungläubigkeit, die sich in den Mienen seiner Freunde abzeichnete, gekichert, doch die Situation war gerade alles andere als lustig. Ja, Marvin und Luan konnten ihn nun sehen, seine Seele, sein wahres Ich. Und die Blitze, rot, grün, schwarz, gold. Hin und her fliegende Wirbel, Bälle aus Farben. Alles verschwamm. Der Kampf dauerte nicht lange. Die vorherige Episode mit Luan hatte dem Dunklen wohlmöglich einige Kräfte einbüßen lassen, denn Fanola schickte ihn mit zwei gewaltigen Blitzen zu Boden. Der schwarze Elfenjunge hustete, rappelte sich auf und die beiden Brüder musterten sich. Nicht feindselig. Sie lachten übers ganze Gesicht. Und dann geschah das Unglaubliche: Die beiden Elfen breiteten die Arme aus, gingen aufeinander zu – und fingen an, sich zu flauschen! Mit einem Zwinkern für Marvin und einem stillen Abschiedsgruß für Luan, mit dem er sich für den Kampf bedankte, verabschiedete sich der schwarze Elfenjunge.
Fassungslos blickten Luan und Marvin sich an. Sie schienen nur schwer begreifen zu können, was sich eben vor ihren Augen abgespielt hatte. Da bemerkte der Wolf, dass Fanola wieder zu sich kam!
»Fano, aye, willkommen zurück! Alles klar?«
Fanola blinzelte mehrmals und erwiderte mit krächzender Stimme: »Ja. Alles gut. Er ist weg.«
Mit Luans Hilfe kam er zum Sitzen.
»Das war episch, Luan! Du hast dich mit meinem Dämon angelegt, und du warst ihm sogar überlegen! Dank dir konnte ich ihn wieder mal besiegen! Danke, Assassine!« Voller Freude fiel er Luan um den Hals und flauschte ihn. Marvin drängte sich dazu und sie lagen zu dritt auf der Decke.
»Warum konnten wir dich sehen, Fano?«, wollte der Wolfsjunge wissen.
Fanola, der die Augen geschlossen hatte und schon fast eingeschlafen war, lächelte.
»Weil wahre Freunde immer da sind, auch, wenn man sie auf den ersten Blick nicht erkennt!«