Ihr erinnert euch, dass ich in meiner Jugend einen ehrbaren Beruf erlernte? Nun denn, während der Ausbildung, damals nannte man es im allgemeinen Sprachgebrauch noch Lehre, kam es zu folgendender Begebenheit.
Es war wohl August oder September, denn meine Aufgabe war es, Pflaumenkuchen herzustellen. So das gesamte Programm, von Backblech vorbereiten, über Teig herstellen, Pflaumen entkernen, formvollendet den Kuchen damit zu belegen und natürlich den Backvorgang zu beobachten. Nun das mit dem Backen gestaltete sich an diesem Morgen etwas schwieriger als sonst, da wir so viel außer der Reihe zu tun hatten, na ja, eigentlich der Sohn des Chefs, der als Junggeselle, ja er war auch noch unverheiratet, tätig war.
In einer Konditorei ist ja alles etwas größer als wir es aus der heimischen Küche kennen. So hatte unser Backofen vier Etagen, die wir jeweils Herd nannten und von unten nach oben durchnummeriert waren. Es passten bequem drei Bleche nebeneinander und zwei hintereinander. So ein Blech hatte die Maße 58x78cm, also unwesentlich größer als die von der Mutti. Aber dieser Ofen hatte nicht nur viel Platz, er war auch groß. Da ich nicht mal 1,60m lang bin, kam ich an den dritten Ofen nicht wirklich heran, dafür waren die Kollegen, die etwas länger als ich waren, normalerweise zuständig. Sagte ich normalerweise? So wollte es, dass es zu einer Aneinanderreihung von widrigen Umständen kam und ich mich fühlte wie Maria und Joseph, da kein Platz mehr in der Herberge, in meinem Falle natürlich im Ofen war.
So ordnete dem Chef sein Sohn selbstverständlich an, dass ich den Pflaumenkuchen in den dritten Herd schieben sollte.
„Ich lang da doch gar nicht ran“, motzte ich, aber dieses Mal half es nicht. Er blieb hart, selbst als ich ihm glaubhaft und zur Belustigung aller demonstrierte, dass ich nicht in der Lage war, die Ofenklappe zu öffnen. Wie bereits erwähnt, ich kam da nicht heran. Nun, ich wäre nicht ich, wenn ich nicht eine Lösung für das Problem hätte. Eingedenk der Tatsache, dass unser Chef der Meinung war, wenn wir diesen Beruf erlernen wollten, mussten wir Mädels auch alles selber tun und durften keinen Arbeiten wegen körperlicher Mängel auf die Herren abwälzen.
So nahm ich das Blech souverän auf die rechte Hand über der rechten Schulter, fixierte vorne mit der linken Hand. Dann positionierte ich mich in gerader Linie zum Ofen an der gegenüberliegenden Wand.
„Harry, dritten Herd öffnen“, rief ich quer durch die Backstube und nahm Anlauf. Harry grinste mich mit seinen 2,04m an und hielt den Griff der Ofenklappe. Er ahnte schon, was ich vorhatte. So stürmte ich heran. Ich streckte den rechten Arm. Harry öffnete die Klappe. Das Blech flog. Knallte scheppernd auf die Herdplatte. Sauste durch den Schwung in den Ofen und verschwand. Harry schloss die Klappe, ehe das Blech mit lautem Knall an der hinteren Wand gebremst wurde. Ich fühlte mich wie bei einem Wettkampf für Kugelstoßen, na ja, die Wurftechnik war durchaus vergleichbar.
Entsetzt starrte mich der Backstubenmeister an. Und dem Chef sein Sohn blickte auch wie ein Huhn, wenn es donnert.
„Bist du wahnsinnig“, schrie mich der Meister an, als er seine Sprache wieder gefunden hatte. Doch ich zuckte nur mit den Schultern und zeigte auf den Sohnemann.
„Er hat es so gewollt.“
Eigentlich tat ich nur so cool. Uneigentlich betete ich eine Stunde, so lange buk der Pflaumenkuchen normalerweise, dass alle Pflaumen da geblieben waren, wo ich sie hingelegt hatte. Was soll ich sagen. Das Glück war nicht nur mit Kindern, Betrunkenen und Raumschiffen namens Enterprise, sondern auch mit mir. Dem Kuchen sah nach dem Backen keiner mehr seine unfreiwillige Flugeinlage an.