Heime, vor allem solche für Alte, sind Orte oder auch Behausungen, die man nur mit den Füßen voraus wieder verlässt. Einmal lebend eingezogen bleibt man dort, bis zum Ende seiner Tage. Das klingt komisch, ist es aber nicht so, da es der Tatsache entspricht.
So machte meine Mitbewohnerin ihren routinemäßigen Anruf im Heim, um sich nach dem Befinden ihres pflegebedürftigen Vaters zu erkundigen, da dieser selbst nicht mehr in der Lage war zu telefonieren. Hier erfuhr sie quasi in einem Nebensatz, dass der Vater bereits am Vortage, am 16. Dezember, verstorben sei. Die Frage nach dem Bestatter war schnell geklärt, da dieser den Leichnam bereits abgeholt hatte. Beruhigt beendete sie das Gespräch, um sich mit ihrer alten Tante und danach mit dem Bestatter auseinanderzusetzen. Die Tante teilte ihr dann jedoch mit, dass das Heim sie nicht unterrichtet hätte. Schon Unheil ahnend kontaktierte meine Mitbewohnerin den Bestatter, den sie bereits vor Jahren beauftragt hatte, die Beerdigung des Vaters durchzuführen. Sarg und Wäsche waren ausgesucht und der Grabschmuck bestellt. Doch als sie mit der Verantwortlichen sprach, stellte sie mit Entsetzen fest, dass der Verblichene nicht dort war, wo sie ihn vermutete. Noch ehe sie in heilloser Aufregung kollabierte, gemahnte sie die Bestatterin zur Ruhe und versprach, sich des Abhandengekommenen anzunehmen.
Am nächsten Tage kam der erlösende Anruf, dass der Vater gefunden, abgeholt und hergerichtet sei. Wegen Corona wären aber einige Sicherheitshinweise zu beachten, die jedoch ohne viel Aufhebens durchgeführt worden wären. Alles war in bester Ordnung bis, ja bis sich das Heim meldete. Wann meine Mitbewohnerin denn gedachte das Zimmer zu räumen, immerhin müsste ja noch der Maler das Zimmer renovieren, ehe es wieder neu vermietet werden könnte. Sie teilte Schwester Rabiata mit, dass am 23. Dezember die Beerdigung wäre und danach wollte sie sich um das Zimmer kümmern. Vehement bestand des Drachen von Altenpflegerin darauf, dass dies noch vor Weihnachten geschehen müsse, so einigten wir uns darauf, dass wir am 22. Dezember, also noch vor der Beisetzung, das Zimmer na ja eigentlich nur die Schränke leerräumten.
Mit Müllsäcken bewehrt und mit Handschuhen ausgerüstete, Masken sind ja gerade obligatorisch, rückten wir an. Da wir durch die Balkontür ins Zimmer kamen, benötigten wir auch keinen Schnelltest bei der Eingangskontrolle. Ohne viel Aufsehen verschwanden Kleidung, Wäsche, Hygieneartikel in den Säcken. Als wir in einem Schrank medizinisches Equipment fanden, fragten wir jemandem vom Personal, was damit wäre. Ziemlich bestimmt machte sie uns darauf aufmerksam, dass dies alles dem Heim gehörte, genau wie der Rollator und der Rollstuhl, diese dürften auf keinen Fall entfernt werden. Dann hielt sie kurz inne, ehe sie sich ein, „Ach ja. Mein Beileid“ herausdrückte.
Was soll ich sagen, was von einem Leben übrig bleibt, passt bequem in sechs Säcke. Diese Säcke passten auch gerade in meine Auto und das, obwohl ich die Rückbank bereits umgeklappt hatte. Aber ich erwähnte schon an anderer Stelle, dass der Kofferraum seinen Namen nicht mehr verdiente.
Als wir nach getaner Arbeit auf der Terrasse ein wohlverdientes Kippchen, ich bin ja aktive Passivraucherin, mit einem der Pfleger rauchten, kamen wir nicht umhin, den desolaten Zustand der Gartenmöbel und der Terrasse an sich zu bemerken. Daraufhin erklärte uns der Pfleger, dass die Reinigung der Terrasse nebst Möbel den Angehörigen obläge. Meine Mitbewohnerin stutzte, das hörte sie im Laufe von zehn Jahren zum ersten Male. Als man auf Selbstreinigung umstellte, gab es wohl einen Rundbrief, seit dem wurde es als bekannt vorausgesetzt und still erwartet. Hernach beratschlagten wir, was denn mit den gestickten Bildern, dem Fernseher und dem Sessel geschehen sollte. Der Pfleger in seiner menschlichen Art versprach, sich hinter dem Rücken der Schwester Rabiata darum zu kümmern.
So ritten wir zufrieden vom Hof in den Sonnenuntergang und hofften genauso erfolgreich unseren Müll am Wertstoffhof abladen zu können. Erfreulicherweise gab es keine Schlange an der Einfahrt und wir hielten an dem kleinen Häuschen der Einlasskontrolle. Nachdem wir den Inhalt der Säcke ordnungsgemäß deklarierte und angemeldet hatten, verlangte er 4,80€ pro Sack zur Entsorgung. Eigentlich wollte ich den Container nicht kaufen. So fuhren wir unverrichteter Dinge davon und luden die Säcke an anderer Stelle kostenfrei ab.
Am nächsten Tage war die würdevolle und recht überschaubare Bestattung. Es war tatsächlich mehr Personal als Trauergemeinde vor Ort. So war es natürlich auch Corona geschuldet, dass wir auf eine Raue verzichteten.
Normalerweise wäre die Geschichte nun zu Ende, ist sie aber nicht. Denn als wir am 25. Dezember bei einem Kaffee auf unserem Balkon saßen, klingelte das Telefon meine Mitbewohnerin. Gerne hätte ich erstaunt eine Augenbraue gehoben, aber ich kann es schlichtweg nicht, es sei hier aber erwähnt. Es war das Heim. Eine Schwester, nennen wir sie Nichtsnutzia, plärrte ins Telefon, warum wir nicht das Zimmer leergeräumt hätten. Da wären ja noch Möbel und Bilder, die wegmüssten. Das Weihnachten wäre, ließe sie nicht gelten, immerhin habe sie sich ja für den Anruf schon eingangs entschuldigt. Meine Frage, wie sie sich das vorstellte, auf Weihnachten den Sperrmüll zu bestellen, konnte sie keine Antwort geben. Na ja, eigentlich sagte sie immer nur: Weiß ich nicht.
„Weiß ich nicht“ ist scheinbar das neue „lmaA“ und mache deinen Scheiß gefälligst selber.