Natürlich will ich hier keine Diskussion vom Zaune brechen, ob es denn nun Unkräuter gibt oder eben auch nicht. Also das, was landläufig als Unkraut bezeichnet wird, sei hier gemeint. Genau jene Pflanzen, die den wohlaufgeräumten Garten überfallen und nach kurzer Zeit auch überwuchern, dass das Gegenteil von Ordnung erreicht ist. Dies kann schon nach kürzester Zeit auch von einem selten getrimmten Rasen vollbracht werden, der dann durch Klee, Gänseblümchen oder gar Löwenzahn zur Wiese degradiert wird.
Meine Mutter wohnt in einer dörflichen Gemeinschaft. Hier achten nicht nur Nachbarn, sondern auch der Bürgermeister höchstpersönlich über das Treiben im gärtlichen Umfeld, um ein zügelloses Ausufern der ansonsten als natürlich angenommen Wuchsformen einzudämmen, um nicht zu sagen, zu verhindern. Soweit so gut. Meine Mutter mag das Unkrautjäten seit Kindertagen nicht, das Einzige, das da hilft, ist ein dichter Bewuchs mit allerlei Pflänzchen. Das sie diese schon als Keimling erkennt, liebt sie es, die selbst ausgesäten Pflänzchen strategisch günstig im Vorgarten zu verteilen. Lediglich das Abteil mit den Rosen erinnert an ein ordentliches Beet, wenn da nicht das ausufernde Schleierkraut wäre oder eben auch der Lavendel, der bereits monströs ist.
Voller stolz betrachtete meine Mutter ihren Vorgarten, als der Postbote ihr ein amtliches Schreiben überreichte. Frohen Mutes und noch im Gespräch mit dem Briefträger öffnete sie den Brief und las. Blablabla ... entfernen Sie bis zum Monatsende das Unkraut von Ihrem ungepflegten Grundstück. Schock. Unkraut. Irritiert schaute sie in ihren Vorgarten, der ein buntes Konglomerat allerlei Blühpflanzen war.
„Is watt?“, wollte der Briefzusteller wissen.
„Mein Garten ist ungepflegt und ich soll das Unkraut entfernen“, teilte sie ihm den Inhalt des Schreibens mit.
„Zum Glück sind Sie ja nun damit fertig. Das hat sich gewiss überschnitten“, tröstete er meine Mutter. Diese blickte nur hilflos zum Nachbarn, der zweimal im Jahr einen Gärtner bestellte, der zu diesen Terminen entweder krank oder im Urlaub war. Er kam jedenfalls nie.
Nun denn, meine Mutter ignorierte diesen Brief. Als ihr im nächsten Monat ein ähnliches Schreiben zugestellt wurde. Nun war die Aufforderung nicht mehr freundlich, sondern mit einer Strafandrohung verbunden. Also ging meine Mutter vor das Haus und begann das Unkraut zu jäten. Ihre Ausbeute war mehr als mager. Aber wenn es dem Bürgermeister gefiele, bitteschön.
Ihr ahnt es gewiss, nach Ablauf der Frist erhielt sie einen weiteren Brief wegen ihres ungepflegten Grundstücks. Erneut bewaffnete sie sich mit Eimer und Harken und Kratzwerkzeugen. Sie überlegte, ob das zarte Grün zwischen Mäuerchen und Verbundpflaster Stein des Anstoßes sein könnte. So begann sie kleinste Gräser, Moose und Flechten, erst an der Mauer und dann an der Auffahrt auszukratzen. Stunden später betrachtete sie ihr Werk. Ob es nun besser wäre, konnte sie nicht wirklich feststellen. Aber wenn es dem Bürgermeister gefiele, bitteschön.
Nun denn, der nächste Brief des Bürgermeisters beinhaltete eine Zahlungsaufforderung, da sie nicht bereit gewesen sei, den Zustand des verwahrlosten Grundstücks zu ändern. Nun wurde es meiner Mutter zu bunt. Sie rief im Rathaus an und schilderte ihren Fall und bat um einen Ortstermin, da sie doch jedes Mal Unkraut gejätet hätte.
Am Tag, da die Begehung stattfinden sollte, saß meine Mutter auf der Bank vor ihrem Haus und wartete auf den Bürgermeister und die anderen Offiziellen. Es kamen einige Herren vorbei, die freundlich grüßten und dann ihren schönen Vorgarten lobten. Die Zeit verstrich und meine Mutter glaubte schon, dass der Bürgermeister sie versetzt hätte, als ihr Telefon klingelte.
„Wo sind Sie denn. Wir warten auf Sie.“
„Ich sitze vor meinem Haus.“ Gab meine Mutter Auskunft. „Wo sind Sie?“
„Wir stehen vor Ihrem ungepflegten Grundstück“, echauffierte sich der Bürgermeister.
„Ah, ja. Ich bin gleich da.“
Meiner Mutter schwante es bereits. Sie ging die paar Schritte bis zur Straße und schaute nach links. Ah, da waren ja die Herren. Sie winkte ihnen. Doch die Herren machten keine Anstalten zu ihr zu kommen, sondern zeigten auf ein Grundstück. So gesellte sie sich zu ihnen.
„Das geht so nicht“, hub der Bürgermeister an, „dieser Wildwuchs muss beseitigt werden.“
„Oh ja, da stimme ich Ihnen zu“, meine Mutter nickte.
„Warum tun Sie es dann nicht?“
„Dafür ist der Eigentümer zuständig“, erklärte meine Mutter das Offensichtliche.
„Laut Flurkarte sind Sie das“, ließ sich der Bürgermeister nicht beirren.
„Darf ich einmal sehen?“ Sie erhielt das Dokument und musste lachen.
„Oje, die Flurkarte ist ja aus dem letzten Jahrtausend.“
Die Augen der Herren wurden immer größer.
„Die Straße ist neu und dadurch wurden die Grundstücke neu eingemessen und die Hausnummern neu zugeteilt. Hier habe ich noch die Nummer 9, doch heute ist das die Nummer 15“, sie zeigte auf das Grundstück, „das war früher der Spielplatz. Ich denke, die Stadtgemeinde ist die Eigentümerin. Also Sie.“
Sie lächelte.