Harry hatte sehr genau verstanden, dass sehr gute schulische Leistungen von ihm erwartet wurden. Von Draco wohl auch, aber Harry war sich sicher, dass Draco sowieso gut beim Lernen war. Er stand früh auf, vor allem weil er auf jeden Fall pünktlich sein wollte. Sein Stundenplan umfasste Geschichte der Zauberei, Mathematik, Grundlagen der Magie, Basiswissen Zaubertränke und Literatur. Außerdem sollte er sich mit Runenkunde für Anfänger und Magische Grundübungen beschäftigen. Außer von Mathematik und Literatur hatte er von den anderen Fächern überhaupt keine Vorstellung. Draco hatte zusätzlich Klavierstunden, dafür hatte er keine magischen Grundübungen mehr. Narcissa meinte, dass auch Harry unbedingt ein Instrument lernen solle. Dem stimmte Lucius grundsätzlich zu, allerdings erschienen ihm die anderen Fächer zu wichtig, um Harry noch ein weiteres Lernfeld zu öffnen.
Die Hauselfen hatten den Unterrichtsraum vorbereitet. Es gab zwei kleine Schreibtische aus dunklem Holz und einen weiteren großen Tisch, der vor den beiden anderen stand. Auf den Schreibtischen lagen feine Utensilien und die für den Tag notwendigen Bücher. Harry staunte über die Schreibfedern, das Tintenfass und das feine Pergament vor ihm.
Er hatte vor Aufregung keinen Appetit beim Frühstück gehabt, was von den Malfoys mit einem verständnisvollen Lächeln quittiert wurde. „Du brauchst in der Pause nur zu klatschen. Dann kommt ein Hauself und bringt Euch ein paar Kleinigkeiten. Überhaupt, wenn Du Hunger oder Durst hast, brauchst Du nur nach dem Personal zu rufen. Sie kümmern sich dann.“ Narcissa war wirklich sehr fürsorglich zu ihm, trotzdem traute er sich nicht, seine Wünsche aussprechen. Er bekam ohnehin weitaus mehr, als er jemals brauchte.
Jetzt trug er seine eigene Kleidung und fühlte sich stolz darauf, wie andere Zauberer auszusehen. Dudleys alte Klamotten hatte Lucius im Kamin verbrannt. „Mein Sohn braucht keine heruntergekommenen, abgetragenen Muggelsachen.“, stellte er deutlich klar.
Einen Moment lang dachte Harry erschreckt, dass nun alles was er hatte, sogar alles was er war, von den Malfoys kam. Aber dann freute er sich genau darüber. Er gehörte zu dieser wunderbaren Familie. Lucius Malfoy hatte sein Versprechen aus dem Garten der Dursleys eingelöst. „Eines Tages lebst Du in einer großen Villa umgeben von Zauberern und Hexen. Dann gehörst Du zur besten Zaubererfamilie, die es gibt.“ Diesen Satz hatte Harry über drei Jahre in seinem Herzen behalten und so saß er nun mit großer Aufmerksamkeit auf seinem Stuhl am Fenster.
Draco hatte sich auf die Wandseite des Studierzimmers gesetzt. Er merkte, dass er heute viel mehr Lust auf das Lernen hatte, als bisher. Seine Zeit mit Harry zu verbringen, war einfach toll. Sie spielten und redeten miteinander. Es war ganz anders, als mit seinen sonstigen Freunden. Harry hörte ihm genau zu und zeigte ihm Dinge, die er noch nie ausprobiert hatte. Gestern Abend zum Beispiel hatten sie im Garten mit der Rosenschere einen wunderschönen Blumenstrauß für seine Mutter zusammengestellt. Harry konnte mit der Gartenschere richtig gut umgehen und Draco hatte ihm die Namen der magischen Blumen genannt. Es war einfach toll gewesen. Narcissa war zu Tränen gerührt, weil Draco bisher noch nie die Idee hatte, ihr etwas zu schenken. Lucius nahm diese Aktion zum Zeichen, dass Harry auf jeden Fall einen guten Einfluss auf Draco hatte.
Mr. Eleven war ein sehr konservativer Mann Mitte vierzig und unterrichtete Draco nun schon seit dem 6. Lebensjahr. Lucius bestand darauf, dass Draco die offiziellen Prüfungen und Testate vor jeden Sommerferien ablegte. Der Malfoyerbe absolvierte sie stets mit guten, wenn auch nicht überragenden Ergebnissen. Mr. Eleven stellte Harry einige altersgemäße Matheaufgaben, die Harry ziemlich durchschnittlich löste. Die Vorleseübung war sehr gut. In den anderen Aufgabengebieten verzichtete er auf eine Wissensprüfung, weil Harry davon ohnehin nichts hätte beantworten können. Draco war es gewohnt die ganze Zeit konzentriert arbeiten zu müssen. Für Harry, der bisher auf einer staatlichen Schule gewesen war, erschien die Möglichkeit direkt und die ganze Zeit mit dem Lehrer zu arbeiten wirklich fordernd.
Allerdings gewöhnte er sich sehr schnell daran. Er arbeitete mit ungewöhnlicher Verbissenheit und Motivation. Diese Lernbereitschaft wirkte auf den Unterricht ausgesprochen beflügelnd, bereits zum Mittagessen hatten sie das geplante Pensum für den ganzen Tag bewältigt. Der schlanke, etwas bärbeißige Lehrer entwickelte sehr früh Begeisterung für das Duo. Auch wenn er zunächst skeptisch gewesen war, wie zwei Schüler auf so unterschiedlichen Niveau sinnhaft gemeinsam zu unterrichten seien. Die Malfoys hatte ihn engagiert, weil Draco kurz vor seiner Einschulung schwer erkrankt war. An Schulbesuch war nicht zu denken gewesen. Wegen seiner autoritären, aber freundlichen Pädagogik konnte er bleiben. Er wiederholte den für Draco alten Stoff, den Harry in sich aufsog.
Sie beendeten den Unterricht pünktlich um 16:00 Uhr zum Tee. Die beiden Jungs schnappten sich jeweils einen Donut und verschwanden in den Garten. „Du bist richtig klug,“ lobte Draco seinen verdutzten Bruder. Verlegenheitsröte schoß in Harrys Gesicht. „Ach Quatsch. Du weißt vielmehr, als ich.“ Draco malte mit einem Stock Bilder in den Sand. „Naja. Ich musste ja auch nicht bei Muggeln leben. Dad hat erzählt, dass Du niemanden hattest, der sich um Dich gekümmert hat. Stimmt das?“ Es war Harry sehr unangenehm, darauf angesprochen zu werden. Aber bei Draco machte es ihm nichts aus. Sein neuer Bruder war anders, als die anderen Kinder die er kannte. Er schien Harry wie ein Prinz zu sein. „Tante Petunia und Onkel Vernon mochten mich nicht, weil ich ein Zauberer bin. Sie sagten, ich sei Freak und ein Mißgeburt. Ich glaube, sie sind sehr froh, dass ich weg bin.“ Draco lächelte sein charmantes und zugleich ehrliches Lächeln: „Ich bin froh, dass Du hier bist.“