Der Zug hielt endlich im Bahnhof Hogsmeade an. Die Jugendlichen und Kinder stürmten aus den Wagen. Widerwillig trennte sich Marcus von seinen neuen Freunden. „Auf Wiedersehen in Slytherin!“, rief ihm Draco nach, während der ältere Schüler sich zu den Gleichaltrigen gesellte. Marcus Lächeln blieb schwach. Am Rande des Gewirrs der Erstklässler bekam Harry mit, dass ein Junge namens Neville seine Kröte verloren hatte. Draco und er sahen sich bedeutungsvoll an. Wie konnte man denn sein Haustier verlieren? Harry entdeckte Hagrid, der die Erstklässler in Empfang nahm. Das Gepäck wurde durch die Hauselfen zur Schule gebracht und würde später von selbst in den richtigen Schlafräumen ankommen. Sie fuhren mit kleinen Booten über den See und betrachteten beeindruckt das gewaltige Schloß auf dem Felsen. Harry fragte sich, ob in dem See auch Wassermenschen lebten. Er wollte es auf jeden Fall herausfinden. Wassermenschen fand er spannend und beschloß, sich gleich bei der nächsten Gelegenheit Literatur zu dem Thema zu beschaffen. Wie zuvor in Venedig glitten auch hier die Boote lautlos über die Wasserfläche.
„Harry, was machen wir denn, wenn wir in verschiedene Häuser kommen?“, fragte Draco plötzlich ungewohnt kleinlaut. Darüber hatte sich Harry natürlich auch schon Gedanken gemacht. Aus einer inneren Überzeugung heraus antwortete er: „Wenn wir es uns nur fest genug wünschen, bleiben wir zusammen.“ Er hatte sich jahrelang immer wieder fest gewünscht, eine Familie zu haben, und so war es doch auch gekommen. Weshalb sollte es denn jetzt anders sein?
An der Eingangshalle nahm Minerva McGonagall die Kinder von Hagrid in Empfang. „Herzlich Willkommen in Hogwarts. Bitte folgt mir. Die Auswahlzeremonie beginnt gleich. Nicht trödeln!“ Harry und Draco erinnerten sich an das Gespräch mit ihren Eltern über die Professorin, die auf dem Anwesen der Familie herumgeschlichen war. Die Minen der Kinder vereisten zeitgleich, trotzdem begrüßten sie die Verwandlungslehrerin höflich und kühl in bester Familientradition. Sie folgten ihr in die Große Halle, die mit den Farben der vier Häuser geschmückt war. Kerzen schwebten über dem verzauberten Nachthimmel und die Hausgeister schwirrten herum. Obwohl Harry von all der Magie überwältigt wurde, sah es dennoch genauso aus, wie Marcus, Lucius und Severus erzählt hatten. Harry erkannte die Hausgeister aus „Geschichte Hogwarts“ – einem Buch, dass er in den Ferien gelesen hatte.
Draco lächelte bereits zum Slytherintisch hinüber und fühlte sich dabei unbesiegbar. „Das da ist der Blutige Baron.“, flüsterte er Harry zu, der begeistert nickte. Irgendwoher beschlich Harry ein Unwohlsein, das er nicht greifen konnte. Er sah einen seltsamen Mann mit einem Turban, der ihn fixierte, und verspürte einen stechenden Schmerz an seiner Narbe auf der Stirn. Er ignorierte den sinnlosen Streit zwischen Draco und Ron, bei dem es wohl um Zauberfamilien ging. Jedenfalls sagte Draco: „Einige Zauberfamilien sind besser als andere, Weasley.“ Harry stimmte ihm innerlich zu, mischte sich jedoch nicht ein. Immerhin war die Familie Malfoy erkennbar eine der besten Familien und viel wichtiger: es war seine Familie.
Vor dem Lehrertisch stand ein Stuhl, auf dem ein Hut lag. Der Hut wirkte alt und abgetragen. Natürlich wussten die Brüder, dass es sich nur um den Sprechenden Hut handeln konnte. Es herrschte einen Moment Schweigen. Dann sang der Hut sein Verslein:
/ „Ihr denkt, ich bin eine alter Hut,
mein Aussehen ist auch gar nicht gut.
Dafür bin ich der Schlauste aller Hüte,
und ist's nicht wahr, so fress' ich mich, du meine Güte!
Alle Zylinder und schicke Kappen
sind gegen mich doch nur Jammerlappen!
Ich weiß in Hogwarts am besten Bescheid
und bin für jeden Schädel bereit.
Setzt mich nur auf, ich sag' euch genau,
wohin ihr gehört - denn ich bin schlau.
Vielleicht seid ihr in Gryffindor, sagt euer alter Hut,
denn dort regieren, wie man weiß, Tapferkeit und Mut.
In Hufflepuff hingegen ist man gerecht und treu,
man hilft dem andern, wo man kann, und hat vor Arbeit keine Scheu.
Bist du geschwind im Denken, gelehrsam auch und weise,
dann machst du dich nach Ravenclaw, so wett' ich, auf die Reise.
In Slytherin weiß man noch List und Tücke zu verbinden,
doch dafür wirst du hier noch echte Freunde finden.
Nun los, so setz mich auf, nur Mut,
habt nur Vertrauen zum Sprechenden Hut! / (Zitat aus Harry Potter und der Stein der Weise)
Der Schmerz pulsierte auf Harrys Narbe heftig und blieb auch bestehen, als sie nun einzeln aufgerufen wurden. Hannah Abbot musste zuerst auf den Stuhl. Ein wenig unsicher blickte sie sich um. Dann rief der Sprechende Hut bereits: „Hufflepuff! “ Die Schüler an den Tischen johlten. Hannah schlich ein bißchen geknickt an den Tisch, über dem das Wappen mit dem Dachs hing. Der erste Slytherin war Vincent Crabbe. Hermine Granger kam nach Gryffindor, genauso wie sie es sich gewünscht hatte. Sie strahlte über das ganze Gesicht und lief hinüber an den Löwentisch, der sie mit Beifall empfing. Daphne Greengrass kam erwartungsgemäß nach Slytherin. Die Schlangen klatschten euphorisch. Neville Longbottom stolperte mitsamt seiner Kröte, die woher auch immer wieder aufgetaucht war, nach Gryffindor.
Nach scheinbar endlosem Warten war die Reihe an Draco. Jetzt schlug sein Herz bis zum Halse. Der Junge spürte den erwartungsvollen Blick seines Paten auf sich. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Draco Angst zu versagen. Was, wenn er nicht nach Slytherin käme? Doch kaum hielt die stellvertretende Schulleiterin den Hut über seinen Kopf, rief der auch schon „Slytherin!!“. Marcus Flint klatschte frenetisch Beifall. Diejenigen Slytherins, die gerne in die Hausmannschaft wollten, schlossen sich an. So brandete zum ersten Mal an diesem Abend deutlicher Jubel am Slytherintisch auf und die distanzierte Mine von Severus Snape wich einem stolzem Lächeln.
Noch nie zuvor hatte Harry sich so unsicher gefühlt wie in diesem Moment, als sein Name aufgerufen wurde. Die Stille im Raum, die auf „Harry Potter!“ folgte, schien unglaublich laut zu sein. Harry sah in unzählige neugierige Augen. Er suchte seinen Bruder mit dem Blick und setzte sich auf den Stuhl. „Was soll ich nur mit Dir machen? Ich sehe Tapferkeit und Mut, aber auch den Wunsch Dich zu beweisen.“, hörte Harry eine Stimme in seinem Kopf. „Ich will nach Slytherin. Mum und Dad stolz machen.“, dachte Harry. „Aber Deine Eltern waren beide Gryffindors. Du würdest ihnen in Gryffindor sehr viel näher sein. In Gryffindor könntest Du lernen, was gut und böse ist. Deinen Mut beweisen.“, widersprach die Stimme im Kopf. „Alles nur nicht Gryffindor. Ich will nach Slytherin, damit ich mit Draco zusammen sein und meine Familie stolz machen kann.“ Der Hut rief laut aus: „Dann also Slytherin!“ War der Jubel bei Draco schon groß gewesen, schallte er jetzt ohrenbetäubend durch die Große Halle.
Harrys Freunde in Slytherin sprangen auf und warfen ihre Hüte in die Luft. „Harry Potter.“ Ein kleines triumphales Lächeln stahl sich von Severus Gesicht und er klatschte leise. Mehr offenen Triumph gönnte er sich nicht. Natürlich bekäme Lucius noch heute Abend über den Kamin die frohe Kunde. Harry hüpfte vom Stuhl und rannte direkt hinüber zum Slytherintisch. Er fühlte sich gut. Draco und er klatschten ab. Sie waren zusammen, nur das zählte für sie. Dabei entgingen ihnen die entsetzten Gesichter am Lehrertisch. Albus Dumbledore und Minerva McGonagall starrten einen Moment verdattert auf Harry, ehe die Zeremonie weiterging.
Ronald Weasley kam erwartungsgemäß nach Gryffindor. „Blutverräter eben.“, zischte Daphne leise. Aber die Gryffindors waren begeistert. Der letzte Schüler Blaise Zabini wurde nach Slytherin geschickt. Die Stimmung an allen Tischen löste sich in freudige Geschwätzigkeit. Die Hinweise von Albus Dumbledore gingen unter und endlich gab es Essen.