Harry schlich in den Slytheringemeinschaftsraum, wo ihn seine Freunde besorgt bestürmten. Marcus und Blaise spielten mal wieder ein Partie Zauberschach, hörten aber sofort auf, als er eintrat. „Alles klar bei Dir, Harry?“, fragte Marcus. „Alles okay. Ich habe nur was Falsches gegessen.“, brummelte er noch immer ziemlich angeschlagen. „Die Hauselfen hier funktionieren echt nicht gut, wenn es verdorbenes Essen gibt. Mein Vater würde ihnen sicher Gehorsam beibringen.“ Blaise wusste, dass es einige Familien gab, die seinem Vater ihre verzogenen Hauselfen überließen, damit er sie wieder einspurte. Mr. Zabini hatte seine eigenen Methoden, die sich höchst wirkungsvoll erwiesen. Um was es sich genau handelte, wusste Blaise jedoch nicht genau. Harry schwieg dazu und dachte ein wenig wehmütig an Malfoy Manor, vor allem Dobby vermisste er gerade.
Draco hatte genau wie Marcus und Harry heute Abend keinen Zusatzunterricht. Mr. Eleven musste kurzfristig freinehmen, weil er eine dringende Angelegenheit in London zu regeln hatte. Severus korrigierte Arbeiten von Siebtklässlern.
Die beiden Malfoybrüder gingen ausnahmsweise nicht in die Bibliothek, sondern suchten sich in einem Korridor ein stilles Eckchen zum Reden. „Was war wirklich mit Dir los, Harry?“, fragte Draco. Er hatte die Sache mit dem leicht verdorbenen Essen nicht geglaubt. Sein Bruder konnte noch nicht so perfekt schwindeln wie er. „Ich wollte den Trank der klaren Gedanken herstellen und habe blöderweise die Zutaten verwechselt. Dabei kam ein Brechmittel raus. Severus hat mich dazu verdonnert, zwei Wochen mit Weasley Nummer 6 in Zaubertränke zu arbeiten. Ich hatte Zutaten mitgenommen - ohne zu fragen.“ Irgendwie klang es etwas harmloser, „mitnehmen“ zu sagen statt „stehlen“. „Zwei Wochen mit Weasley Nummer 6 sind echt hart.“, bemitleidete ihn sein Bruder. Harry dachte an Vernons Strafen und sagte leichthin: „Harte Strafen sind anders. Außerdem habe ich es auch verdient.“ Draco spürte wieder die Wut auf die Muggel aufkeimen: „Was meinst Du mit: „Harte Strafen sind anders.“?“ Lange überlegte Harry, ob er sich seinem Bruder anvertrauen konnte. Dann wagte er es: „Mit dem Gürtel geschlagen zu werden oder zu hungern sind harte Strafen. Hungern ist wirklich schlimm. Onkel Vernon hat mich öfter geschlagen oder getreten. Tante Petunia schlug mich nur zwei oder dreimal.“ Einige Zeit schwieg Draco entsetzt und meinte dann: „Diese Muggel sind das Letzte. Sie müssen bestraft werden.“ Harry überlegte. Darüber hatte er noch nie nachgedacht. Aber eigentlich hatte Draco recht: „Mr. Flint muß aber auch bestraft werden.“ Dem stimmte Draco zu.
Dobby arbeitete zusammen mit Kreacher, dem unhöflichen Hauselfen von Master Black in dessen Haus im Grimmauldplace. Selbst für drei Hauselfen gab es eine Menge zu tun, weil in dem großen Haus seit Jahren niemand mehr geputzt hatte. Dobby machte Kreacher dafür voll und ganz verantwortlich und sparte nicht mit Kritik. Master Malfoy hatte Scone und ihn an Master Black ausgeliehen, damit der Grimmauldplace bald wieder eines Mannes von Rang würdig war. In zwei Wochen sollte eine weitere Hauselfin Einzug halten, die Mr. Zabini besorgt hatte. Bisher kannte Dobby nur ihren Namen: Wusel. Er hoffte, Wusel wäre eine angenehmere Zeitgenossin als Kreacher. Master Blacks eigenem Hauselfen mangelte es in erschreckender Weise an Respekt vor seinem Herrn, der durchaus konsequent sein konnte.
Jetzt hängte Dobby einen schweren dunkelroten Samtvorhang vor das keifende Gemälde von Mrs. Black, Master Blacks Mutter. Das Gemälde beruhigte sich nur, wenn Master Malfoy zu Besuch kam. Ansonsten drang die bösartige Stimme durch alle Zimmer und raubte Master Black den letzten Nerv. Er hatte sich gut erholt und genoß die Verzögerungen des Prozesses, die sein Anwalt immer wieder provozierte. Mittlerweile schrieb der Tagesprophet regelmäßig über die Angelegenheit, was Cornelius Fudge sehr unangenehm war. Die neuen Möbel, die er mit Narzissa zusammen ausgesucht hatte, gaben den Räumlichkeiten einen mondänen Anstrich. Er versuchte, seine Gedanken an Narzissa beiseite zu schieben, gerade weil sie sich oft trafen. Es gelang ihm nur selten. Malfoy ließ seine attraktive und kluge Gattin viel zu oft allein.
Sirius las eben die Ermittlungsakten aus dem Mordfall der Potters und verglich sie mit Archivunterlagen aus dem Fall Longbottom. Dabei strich er auffällige Ähnlichkeiten an, um sie später detailliert auswerten. Der Kamin rauschte und das Gesicht von Severus Snape erschien. Sirius hatte die Schutzzauber des Grimmauldplace für enorm viel Geld modernisieren lassen. Denn nach wie vor traute er Lucius Malfoy nicht. Er wollte ihn aber auch nicht verprellen, indem er ihn zum Beispiel nicht empfing. „Was verschafft mir das zweifelhafte Vergnügen, Snape?“ „Gibst Du den Kamin frei, Black? Ich muss mit Dir über unsere Patensöhne sprechen.“ Widerwillig erfüllte Sirius den unerwarteten Wunsch. Einen Wimpernschlag später klopfte Snape sich den Ruß vom Umhang, bevor Dobby ihn eilfertig abnahm. Sirius schwankte zwischen guten Manieren und alten Gewohnheiten. Er entschied für gute Manieren und bot Severus einen Platz im Sessel und einen Feuerwhiskey an. Den Platz nahm der Tränkemeister an, lehnte den Drink jedoch ab. „Die Jungs arbeiten zu hart.“, kam er direkt zur Sache. Es kostete ihn ohnehin sehr viel Überwindung, mit Black zu sprechen. „Was sagt Lucius dazu?“, fragte Black.
Wie Snape darauf kam, war ihm egal. Wenn der Slytherin schon die Meinung vertrat, die Kinder lernten zu hart, wäre es weit jenseits dessen, was in Ordnung war. Außerdem hatte er selbst den Eindruck gehabt, dass Harry sehr viel Unterricht bekam. „Lucius sieht es nicht ein. Harry hat wohl oft Kopfschmerzen. Er wollte sich selbst ein Mittel brauen. “ Die Sache mit den Zutaten ging Black nichts an. „Es kam ein Brechmittel dabei heraus. Er hat es eingenommen. Nun ja, so etwas passiert. Aber er nimmt Kopfschmerztränke, um im Unterricht mitzukommen. Draco verschläft jede freie Minute.“
Black sah ihn überrascht an, weil er sich um die Jungs sorgte: „Wenn Lucius nicht auf Dich hört, hört er auf mich erst recht nicht.“ Zu dieser Einschätzung war Snape selbst gekommen, verbiß sich jedoch einen blöden Kommentar. „Narzissa hört aber auf Dich - vor allem, wenn es um Draco geht. Außerdem könntest Du mit den Jungs zu Lucius Jagdhütte in den Highlands fahren und ihnen so ein freies Wochenende verschaffen. Lucius wird es nicht verbieten.“ Ganz wohl war Sirius bei dem Gedanken nicht: „Und der Angreifer? Wir wissen noch immer nichts über die Sache. Mich beunruhigt die Möglichkeit, dass ich irgendwo in den Highlands mit den Kindern auf einen irren Mörder treffe.“ Kurzentschlossen sagte Snape das Undenkbare: „Dann komme ich eben mit. Die Hütte ist gut gesichert.“ Sirius fand die Angelegenheit zweischneidig, noch immer mochte er Snape nicht. Dennoch - die Sache erschien wichtig und der Vorschlag vernünftig. „Also gut. Ich rede mit Zissa und Lucius. Du solltest aber das Pensum in der Woche reduzieren, darauf habe ich keinen Einfluß.“