Es tat Ron wirklich leid, dass er schon wieder mit Hermine gestritten hatte. Im Prinzip mochte er sie irgendwie auch, aber manchmal erinnerte sie ihn einfach zu sehr an seinen Bruder Percy. Außerdem hing sie ständig mit den Malfoybrüdern ab. Die beiden Typen nervten ihn richtig. Sie durften scheinbar alles, bekamen von ihren Eltern alles und spielten auch noch Quidditch. Wer von den beiden ihn mehr nervte, wusste er nicht genau – Potter, der ständig paukte und tausend Zusatzfragen im Unterricht stellte oder Malfoy, der ebenfalls ständig paukte und es immer auf Ron herab sah. Die Prinzen aus Slytherin…pffft. Was wollte Hermine denn mit denen?
Er überlegte, ob er nicht nach ihr suchen sollte. Vermutlich musste er sie gar nicht suchen, weil er sie in der Bibliothek vermutete. Dann dachte er aber, dass im schlimmsten Fall Malfoy und Potter dort auch lernen würden. Na gut dieser Potter tat ihm schon manchmal leid, weil er keine Eltern mehr hatte. Aber ein Idiot war er trotzdem. Ron lief aus dem Gryffindorgemeinschaftsraum durch das Portrait, weil die Stimmung im Haus noch immer schlecht war. Letztlich hatten sie das Spiel gegen Slytherin verloren, obwohl mit Potter und Malfoy zwei Erstklässler in der Mannschaft waren. In einem Korridor hörte er Professor Quirrel mit sich selber reden. Der Mann mit dem Turban hatte aus der Sicht der meisten Schüler nicht alle Latten am Zaun, dennoch schätzte Ron seinen Unterricht. In Verteidigung gegen die Dunkle Kunst stand Potter nämlich nur sehr knapp auf Erwartungen übertroffen. Er schien dort immer abgelenkt.
Harry hatte beim Hauptgang Chateaubriand mit Sauce Béarnaise mehr Glück gehabt. Das Rinderfilet schmeckte ihm sehr gut und der Dessert eine weiße Mousse au Chocolat sagte ihm auch zu. Die Stimmung am Tisch blieb eigenartig angespannt, obwohl Lucius und Narzissa so taten, als wäre nichts. „Es gibt den Nimbus 2000 auch in der P-Version.“, sagte Lucius und führte so das Gespräch auf das Quidditchspiel zurück. „Eine P- Version?“, fragte Sirius interessiert nach. „Das P steht für protection. Es handelt sich um einen Nimbus 2000 protection. Er hat eine Antifluchbeschichtung und soll gegen äußere Manipulationen geschützt sein. Außerdem versucht er eigenständig seinen Herrn wiederaufzufangen, wenn er stürzt.“ Severus blieb skeptisch: „Wenn wir zu zweit den Fluch nur schwierig unterbrechen konnten, dann wird eine Beschichtung nicht reichen.“ Narzissa stimmte ihm zu und fügte dann hinzu: „Vielleicht sollten die Jungs lieber doch noch nicht spielen. Sie sind einfach sehr jung - vielleicht zu jung.“ Draco widersprach seiner Mutter energisch: „Wir sind nicht zu jung dafür. Heute waren wir beide richtig gut.“
Severus brachte einen anderen Blickpunkt ins Spiel, der bisher gar nicht betrachtet worden war: „Wir sehen die Sache von der falschen Seite. Irgendjemand sehr Mächtiges hat versucht…“ Er stockte kurz. Lucius sah nicht einmal von seiner Mokkatasse hoch und vollendete den Satz trocken: „Hat versucht Harry zu verletzen oder gar zu töten. Es ging sicher nicht um ein Schulturnier. Da er oder sie keinen Erfolg hatte, wird es weitere Versuche geben.“ Narzissa blickte ihren Gatten tadelnd an: „Lucius, doch nicht vor den Kindern…“ Sirius stimmte Lucius zu und erweiterte die Überlegungen: „Die Frage ist folgende: hat man es auf Harry Potter, den Jungen-der-lebt, abgesehen oder galt der Anschlag Harry Potter, dem Sohn der Familie Malfoy?“
Narzissa erbleichte und entschuldigte sich kurz. Sie hatte nicht in Erwägung gezogen, dass auch Draco bedroht sein könnte. Diese Überlegung traf sie wie ein Schlag in den Magen. Sie warf sich auf der Toilette eine Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht und brachte dann Makeup und Frisur wieder in Ordnung. „Lassen wir für Harry und Draco jeweils einen Nimbus 2000 – P einzeln mit weiteren automatischen Schutzzaubern anfertigen. Ich bezahle die beiden Besen selbstverständlich,“, bot Sirius gerade an, als sie von der Toilette zurückkehrte. Severus Snape warf seinem Feind einen hasserfüllten Blick zu. Er konnte es sich nicht einmal leisten, einen ohnehin schon sehr teuren Nimbus 2000 – P noch weiter aufrüsten zu lassen – von zwei Rennbesen ganz zu schweigen.
Lucius fand das Angebot sehr vernünftig, Narzissa auch. Draco und Harry waren froh, dass ihre Quidditchaktivitäten nicht länger gefährdet waren. Aus diesem Grund folgte Harry auch sehr bereitwillig Sirius Einladung, einem Spaziergang zu zweit zu unternehmen. Narzissa und Lucius verabschiedeten sich vorher von ihren Kindern nicht ohne noch einmal zu sagen, wie stolz sie auf die beiden waren. Sie reisten per Flopulver über einen öffentlichen Kamin, da Narzissa noch einen Termin in einer Galerie hatte. Ihr Gatte wollte ein Konzert der Musikhochschule besuchen. Severus machte sich mit Draco zusammen auf den Weg zurück zu Schloss.
Am Anfang des Spazierganges schwiegen Sirius und Harry ein wenig verkrampft, aber dann entdeckten sie auf einer Wiese einen stolzen und mächtigen Hirsch. „James, dein Vater, war ein Animagus. Seine Animagusgestalt hatte die Form eines Hirsches, deshalb nannten wir ihn Krone. Er hatte Deine Mutter und Dich sehr lieb.“ Sirius Stimme wurde weich, weil er von Lily und James sprach. „Wieso war er ein Animagus? Gestaltwandlung wird in Hogwarts gar nicht gelehrt.“, stellte Harry zutreffend fest. „Wir haben es uns selbst beigebracht. Remus Lupin, ein sehr enger Freund, ist ein Werwolf. Damit er sich nicht so allein fühlt, haben wir anderen auch Gestaltwandlung gelernt. Dein Vater war wie gesagt ein Hirsch. Peter Pettigrew, wie Du weißt, eine Ratte und ich selbst ein Grimm. Peter nannte sich Wurmschwanz und mein Spitzname war Tatze. “ Erst jetzt begriff Harry tatsächlich, das Pettigrew ein Freund von James gewesen war. Etwas ihm verkrampfte sich heftig.
„Er konnte Mum und mich nicht beschützen. Ich hasse ihn.“, sagte Harry plötzlich. „Ich kann verstehen, dass Du wütend bist, weil er Lilys Tod nicht verhindern konnte. Es war nicht allein seine Schuld. Remus und ich haben Pettigrew nicht durchschaut. Wir sind genauso schuldig.“ Aus diesem Grund machte sich Tatze tatsächlich ständig Vorwürfe. Er hatte mit einer solchen Reaktion gerechnet. Er nahm sie Harry, nach all dem was der Junge erlitten hatte nicht übel.
„Ich musste zu diesen Muggeln,“ brach es weiter aus dem Kind heraus. Tränen der Wut und Trauer standen dem Jungen im Gesicht. „Sie sind grausame und böse Menschen, aber Petunia ist die Schwester von Lily. Es schien einigen wohl damals eine gute Lösung. Es ist mir selbst unbegreiflich, wie die herzensgute Lily eine solche Schwester haben kann. Ich bin froh, dass Lucius und Narzissa sich um Dich kümmern. Dabei möchte ich ihnen helfen, wenn Du es mir erlaubst. Ich möchte für Dich da sein, vom mir aus sogar mit Severus zusammen. Immerhin gibt er sich Mühe mit Dir.“
Der Hirsch stand noch immer auf der Wiese und äste genüsslich das letzte Grün dieses Jahres. Manchmal witterte er in ihre Richtung, schien jedoch nicht beunruhigt. Harry beruhigte sich langsam, blieb aber verhalten. „Warum hast Du Severus früher geärgert?“, fragte er skeptisch. Sirius ehrliche Antwort überraschte ihn selbst am Meisten: „Wir waren dumm und grausam.“ Harry sah dem Hirsch auf dem Feld nach und sagte in diese Richtung: „Du bist ziemlich ehrlich. Aber ich lasse mich nicht mit einem Besen kaufen.“ Sirius lächelte warm: „Natürlich nicht. Der Sohn von Lily und James ist nicht käuflich.“ Vielleicht irrte er dabei, aber wer konnte erwarten, dass er etwas anderes sagte. Er hatte nicht vor, den Jungen zu kaufen. Er machte sich nur Sorgen um das Kind. Schließlich glaubte ihm Harry. Sie gingen langsam zum Schloss zurück. Harry war schweigsam und dachte an Tante Petunia. Er verstand all diese Verwebungen von Vergangenheit und Gegenwart nicht, die wir meistens nur in Romanen verstehen.