Äußerst konzentriert hörte Lucius Severus Bericht über den Kamin an. „Dann hat Peter Pettigrew also überlebt, das bedeutet, dass die Verurteilung meines ungeliebten Verwandten Sirius Black womöglich ein Justizirrtum ist.“ Das Familienoberhaupt der Malfoys strich sich nachdenklich eine lange Strähne aus dem Gesicht. „Ich weiß, Du kannst Sirius Black nicht ausstehen, aber wir werden uns mit ihm verbünden müssen. Als Pate könnte er versuchen wollen, Harry zu sich zu holen. Juristisch hat er da eine gute Grundlage für. Wenn seine Verurteilung unrechtmäßig war, dann liegt das Sorgerecht bei ihm, und die Adoption wird nachträglich ungültig, wenn er ihr nicht ebenfalls zustimmt. Aber wenn er sieht, wie gut Harry es bei uns hat, wird er hoffentlich nichts unternehmen. Wir werden ihn deswegen für uns einnehmen und manipulieren. Außerdem kann er bei einer Entlassung aus Askaban wieder auf sein Vermögen zugreifen. Auf 26 Millionen Galeonen taxiert man es derzeit. Dazu gehört ihm ein Stadthaus der Familie Black." Lucius fragte sich schon länger wo genau es eigentlich stand, aber seine Frau konnte ihm einfach keine Auskunft geben. Er sollte sich darum kümmern.
Severus verwünschte innerlich die Tatsache, dass die Blacks eine so einflussreiche Familie waren. „Geld hast Du selbst genug“, wandte er ein. „Und Du sagst selbst, dass er versuchen wird Harry zu sich zu holen. Warum sollen wir ihn also unterstützen?“ Ausgerechnet Sirius Black – diesen arroganten Idioten, der zusammen mit James Potter getriezt hatte. „Aus diesem Grund müssen wir ihn für uns gewinnen. Dann wird er uns nicht in den Rücken fallen wollen. Und es ist wieder eine Stufe zur Entmachtung von Fudge. Wenn wir ihn aus Askaban holen, sind wir in der Position Bedingungen zu stellen und haben ihn unter Kontrolle.."
Das letzte Argument war gut - zu gut um es zu ignorieren. „Und sollte Black etwas zustoßen, könnte Harry der Alleinerbe sein, zumindest wenn wir Black dazu bekommen, das in seinem Testament entsprechend festzuhalten. Aber da sehe ich keine Probleme - was sollte ihn davon abhalten? Es wird ihm deutlich lieber sein, als wenn das Vermögen an seine Tante Druella oder eine seiner Cousinen fällt. Ich werde Professor Myers engagieren bezüglich Black. Er gehört immerhin zur Narzissas Familie. Wie machen sich die Jungs in Hogwarts?“, wechselte Lucius das Thema.
Severus erwähnte die Rauferei nicht. Sie bedeutete nichts und störte nur das angenehme Gesamtbild. „Die Jungs arbeiten gut und haben sichtbare Erfolge. Sie erfreuen sich in Slytherin großer Beliebtheit. Wenn Deine Spende sichtbar wird, gibt es vermutlich kaum noch jemanden, der sie nicht mag. Von dem Geld, dass Du zur Verfügung stellst, kaufen wir neue Einrichtung für den Gemeinschaftsraum. In zwei Wochen wollte ich mit den Duellübungen beginnen.“ Lucius empfand auf beide Söhne gleichermaßen Stolz. Er merkte, wie sich sein Blick auf Harry veränderte. Eine Sekunde hatte er etwas wie Furcht, wobei das war absurd, empfunden, Black könnte es ernsthaft schaffen, den Jungen zu sich zu holen. Er hatte doch keine Angst um Harry. Er wollte lediglich seine Investition schützen. Genau – er wollte seine Investition schützen. Schließlich war er Geschäftsmann.
Harry folgte dem Halbriesen mit einer Laterne in der Hand und ignorierte die giftigen Blicke von Ron. Auf keinen Fall würde er Severus noch einmal enttäuschen. Er konnte doch gehorchen. Den Aufsatz hatte er dank Hermine, Draco und Blaise schon fast fertig. Seine Freunde hatten ihm bei der Recherche geholfen. Denn Harry würde keinen Fall irgendetwas zusammen schmieren, nur damit er schnell fertig war. Sie fanden zu viert ziemlich schnell gute Aspekte. Sie hielten wirklich zusammen, genauso wie der Sprechende Hut gesagt hatte: „In Slytherin wirst Du echte Freunde finden.“ Eigentlich waren sogar Greg und Vince ziemlich in Ordnung – seitdem Draco sie manchmal abschreiben ließ. Warum nur war Hermine nicht nach Ravenclaw gekommen oder noch besser direkt nach Slytherin? Er verstand den Sprechenden Hut einfach nicht. Er musste sich damit beschäftigen. Sie war so unglücklich dort.
Gemeinsam mit Weasley ging er tiefer und tiefer in den Verbotenen Wald. Der andere Junge maulte ein wenig, aber Harry begann mit der Suche. Leider hatte er vergessen, wo nach sie suchen sollten und Weasley würde er bestimmt nicht fragen. Die Geräusche im Wald ängstigen ihn nicht. „Trödel nicht herum.“, mahnte er ungeduldig. Sie verloren den Blickkontakt zu Hagrid, aber er würde sicher gleich wieder auftauchen. Es raschelte im Geäst und irgendwo schrie eine Kreatur. Vor ihnen lag eine Lichtung. Harry spürte, dass die Dunkelheit hier anders war. Sie fühlte sich kälter an und drohend. Langsam und vorsichtig, wie er sich Dudley stets genähert hatte, glitt er weiter. Ron blieb zurück, aber etwas hatte seinen Geist erreicht - ein Wimmern und Flehen. Angstvoll, leidend und um Hilfe bittend trat etwas mit ihm in Kontakt. Er sah eine Gestalt mit einem Umhang, die sich über etwas Schneeweißes beugte. Der Kopfschmerz kehrte mit ungewohnter Heftigkeit zurück. Aber er bewegte sich weiter. Was tat diese Gestalt da? Was lag dort auf dem Boden? Er kannte im Mondschein eine Art Pferd.
Er trat ungeschickt auf einen Ast. Es knackte laut. Die Gestalt hörte das Geräusch und sah sich um. Intuitiv schmiegte sich Harry an einen Baum. Der Wald beschützte ihn in diesem Moment und gab ihn nicht preis. Die Person schnüffelte und witterte in seine Richtung, bemerkte ihn jedoch nicht. Sie lauerte einen Moment und floh dann in die entgegengesetzte Richtung. Sie verschwand im Nebel, als hätte sie es nicht gegeben.
Harry hörte das Betteln in seinem Kopf jetzt unerträglich laut. Ohne größer Nachzudenken lief er zu dem Tier am Boden. Es blutete silbern aus einen furchtbaren Wunde. „Episkey!“, sagte er zuerst leise, weil es der einzige Heilzauber war den er kannte. Die Verletzung des Einhorns – erst jetzt verstand er das es kein Pferd war- wurde kleiner. Sie hörte jedoch nicht auf zu bluten. Das Betteln in seinem Kopf wurde ruhiger. Wieder sagte er den Spruch nur dieses Mal lauter. Noch immer hatte er Angst vor der bösen Gestalt. Diese Person musste das Tier verletzt haben. Diese Magie hatte etwas Unheimliches. War das Schwarze Magie?
Harry erinnerte sich an Mr. Elevens Erklärung: „Je mehr Kraft man in einen Zauber legt, desto besser wirkt er. Manchmal muss man schreien, damit man alle Kraft in die Magie legen kann.“ Er schrie, so laut er konnte: „Episkey!“ Der Spruch half trotzdem nicht. Da aber fiel Harry ein, das er einen anderen Zauber gelesen hatte. Es war ein Spruch zum Heilen von schwarzmagisch zugefügten Wunden. Es war eine eigenartige Melodie, die er in einem von Lucius Büchern über Dunkle Kunst, gefunden hatte. Dieses Buch unterschied sich von anderen. Sein Einband glänzte samtig und strahlte Wärme ab. Es war etwas besonderes gewesen.
Damals hatte es ihn einfach begeistert, dass das Buch selbst sang. Die Melodie klang eigenartig tröstlich - irgenwie magisch. Deswegen hatte sein Unterbewusstsein sich die Worte und die Melodie halten. Früher hatte er sich immer Trost gewünscht. Es waren fremde Worte, die seine Kraft übertrugen. Seine Wille war vollständig davon beherrscht, diesem Geschöpf zu helfen. Und so drang sein Unterbewusstsein an die Oberfläche, durch seinen tiefen Wunsch diesem Geschöpf zu helfen, und er sprach diese fremden Worte, die seine Kraft in die Heilung übertrugen. Die Melodie des Zaubers und die Willenskraft Harrys verbanden sich. Die Energie bewegte sich zu dem hilflosen Geschöpf und umgab es schützend. Langsam kehrte es in das Reich der Lebenden zurück.
So geschwächt sank er ohnmächtig auf den Waldboden. Hagrid und Ron hatten den schier unmenschlichen Schrei gehört und eilten in die Richtung, aus der er kam. Es dauerte einen Moment, bis sie ihn fanden.
Ihnen bot sich ein märchenhaftes Bild. Ein Einhorn beugte sich zärtlich über Harry und stupste ihn mit der Nase sanft an. Mit einer Handbewegung hielt der Halbriese den ungestümen Gryffindor zurück. Er selbst näherte sich langsam und respektvoll dem reinen Geschöpf. Er erkannte eine tiefe und frische Narbe, die sich quer über die Flanke des Tieres zog. Er brauchte einen Moment um zu verstehen, dass dieser erstaunliche Junge dem Einhorn das Leben gerettet hatte. Harry regte sich leicht. Der warme Atem des Tieres strich über ihn und aus unendlicher Ferne hörte er fremde Worte des Dankes. Er lächelte und schlief wieder ein…
Hagrid hob den Jungen vorsichtig auf und deutete dem Zauberwesen ihm zu folgen. „Wir helfen Dir, meine Schöne. Komm und folge uns.“ Es folgte ihnen tatsächlich bis zu Hagrids Hütte. Er informierte den Schulleiter, der sofort mit Unterstützung kam, und kümmerte sich dann um die beiden Kranken. Er flößte dem Einhorn einen Stärkungssaft ein, den er immer in der Hütte vorrätig hatte. „Geben Sie das Mr. Potter.“, wies er den Gryffindor hektisch an. Das Zeug war eigentlich für magische Tiere, schmeckte furchtbar und half nicht. Bevor man Harry in das Schloss und den Krankenflügel brachte, berührte das Einhorn ihn nochmal mit seinem Horn. Aber davon spürte Harry nichts. Er hatte sehr viel seiner Energie dieser Kreatur geschenkt, die ihm nun ihren Segen gab. Die anwesenden Zauberer und Hexen beobachteten die Szene beeindruckt. Einhörner galten als freie und reine Geschöpfe, die den Kontakt zu Menschen stets mieden. Dieses Tier jedoch schenkte einem Zauberer seine Gunst.