Jetzt fiel die Anspannung, die sich seit Tagen leise in Harrys Schultern gegraben hatte, von ihm ab. Das Essen schmeckte fast so gut wie zu Hause auf Malfoy Manor. Zum Abschluss konnte man ziemlich viel Naschkram bekommen. Aber da war er schon satt. Aufgeregt redeten die kleinen und großen Schüler miteinander. Man machte sich bekannt und freundete sich bereits an. Gregory Goyle hatte es leider auch nach Slytherin geschafft. Außerdem lernte Harry an diesem Abend auch Pansy Parkinson kennen und Theodore Nott, der ziemlich still schien. Millicent Bulstrode erinnerte Harry unangenehm an eine Bulldogge. Sie mochten sich nicht.
Die vielen neuen Gesichter und Eindrücke strengten die Kinder letztlich doch an. Die meisten freuten sich auf ihre Zimmer und schmiedeten Pläne für die Wochenenden. Die Malfoybrüder hatten bereits klare Pläne. Sie würden sich zum Zusatzunterricht mit Mr. Eleven und anderen Lehrern treffen. Außerdem stand Quidditchtraining mit Marcus auf dem Programm.
Severus Snape hatte sich entschieden, seine neuen Schüler selbst in die Slytherin Kerker zu bringen. Die anderen Hauslehrer hatten so etwas auch schon mal gemacht, also wunderte man sich nicht so sehr darüber. Schließlich wollte er auf jeden Fall sicherstellen, dass seine beiden Schützlinge auch die Plätze bekamen, die er vorgesehen hatte. Also schritt er zügig vor seinen Schüler die Stufen in die Kerker hinunter. Die Erstklässler bestaunten die sich selbst bewegenden Treppen. Snape erklärte mit kühler Sachlichkeit, dass die Treppen durchaus ihren eigenen Kopf hätten. Natürlich galt dies keineswegs als Argument für Verspätungen. Überhaupt erfuhren die Kinder alles über die Schulregeln. Draco schwirrte der Kopf davon. Wie vereinbart sprach er seinen Paten künftig im Unterricht und in Gegenwart anderer Schüler mit Professor Snape an.
Sie liefen tief hinunter in den unteren Teil des Schlosses. Der Eingang zu den Slytherinräumen befand sich hinter einer Öffnung der unscheinbaren Steinmauer. Das aktuelle Passwort lautete: „Siegeswille.“ Die Mauer öffnete sich und gab einen langgezogenen Raum mit rohen Steinwänden frei.
Sie waren jetzt tatsächlich unter dem See, was Harry besonders gefiel. Er stellte sich vor, wie die Wassermenschen über seinem Kopf hin und her schwammen. Der Gemeinschaftsraum erinnerte beide Jungs an zu Hause. Die grünen Kugellampen gab es in Malfoy Manor auch in Lucius Arbeitszimmer genauso wie die Schrumpfköpfe an der Wand. Harry hatte sich ein bißchen erschreckt, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Aber jetzt erschienen sie ihm völlig normal. Nicht besonders hübsch, aber okay. Um den Kamin standen breite grüne Sessel mit silbernen Lehnen und hohe Lehnstühle.
Severus hatte die Betten für Draco und Harry gut ausgewählt. Sie konnten direkt aus dem Fenster auf die Unterwasserwelt sehen und hatten besonders viel Platz für ihre Sachen. Das Gepäck hatten die Hauselfen bereits in den dazugehörigen Schränken verstaut. Neben ihren kuscheligen Himmelbetten standen bereits jeweils zwei schwarze Nachtschränkchen, obwohl sonst jeder Schüler nur eines zur Verfügung hatte. Auf einem Nachtschrank stand der Käfig von Hedwig, auf einem anderen hatte Rudi seine Voliere. Beide schienen guter Dinge. Die Jungs putzten sich ihre Zähne nur flüchtig und huschten dann in ihre Betten. Der ereignisreiche Tag forderte von allen seinen Tribut. Harry kuschelte sich unter die feine Leinenbettwäsche, die Draco kratzig fand. Er amtete tief den Duft von Meeresstrand und Orangenblüten ein, den er in Italien lieben gelernt hatte und schlief sofort ein.
Severus Snape empfand große Zufriedenheit. Er warf eine Handvoll Flohpulver in seinen Kamin und erreichte den sehr neugierigen, aber noch immer schmollenden Lucius. „Guten Abend.“, begrüßte er seinen Freund. „Möchtest Du Dich entschuldigen, Severus?“, fragte Lucius kühl. Bei Merlin, Malfoy konnte eine echte Diva sein. „Nein.“, gab er ebenso kühl zurück. „Eigentlich wollte ich Dich über die Häuser Deiner Söhne informieren, aber wenn Du jetzt streiten willst..“. Er setzte eine effektvolle Pause.
Widerwillig gab Lucius nach: „Vielleicht ist es auch gar nicht so sinnvoll, wenn die Jungs ein eigenes Zimmer haben. Unter Umständen war ich zu Dir ein wenig undiplomatisch.“ Mehr Entschuldigung war von einem Malfoy nicht zu bekommen. „Also. Draco ist erwartungsgemäß nach Slytherin gekommen. Er wurde sehr gut aufgenommen.“, erzählte Severus. Jetzt spielte er sein kleines Spiel mit Lucius, der mittlerweile wirklich neugierig war. „Harry wohnt jetzt im Haus seiner Eltern…“ Er schob noch eine weitere wirkungsvolle Pause ein. Tatsächlich blieb Harrys Vater jedoch entspannt, was Severus kindischer Weise ärgerte. „Es gefällt ihm in Slytherin sehr gut.“
Lucius Laune verbesserte sich schlagartig. Schritt für Schritt kam er seinen Zielen näher. Seine Investition lief gut an. Harry entsprach genau den Wünschen, die er mit der Adoption verbunden hatte. Gehorsam, anpassungsfähig und sehr talentiert zeigte er seinen Nutzen. Harrys positiver Einfluss auf Dracos Leistungswillen und Disziplin trug bereits Früchte.
Überschwänglich bedankte er sich bei Severus für die Information und entschloss sich, den Jungs eine Kleinigkeit zum guten Schulstart zu schicken. Severus empfahl einen weiteren Satz Hausaufgabenhelfer für jeden und Lesezeichen mit Notizfunktion. Außerdem besprach Lucius mit ihm eine größere Spende für die Hauskasse, damit einige Nettigkeiten für den Gemeinschaftsraum angeschafft werden konnten. Severus wusste, dass wenn die Malfoys etwas spendeten, würden andere Eltern nachziehen. Er kannte diesen Effekt bereits aus den anderen Jahrgängen. Er sah dem neuen Schuljahr positiv entgegen.