Dudley ärgerte sich sehr über die Sache mit Harry, der jetzt wohl wie ein richtiger Prinz aufwuchs. Seine Klamotten mochten vielleicht ein wenig seltsam gewirkt haben, freakig eben, aber sie sahen auch sehr teuer aus. Außerdem hatten die anderen Jungs ihm ziemlichen Respekt eingeflößt, vor allem dieser kleine Blonde mit den grauen Augen. Dieser Typ machte einen auf turboarrogant, trotzdem gefährlich schien der auch sein. Seufzend beugte sich Dudley über die Jugendherbergsverköstigung, ohne zu ahnen wie sehr sein eigenes Leben durch eben jenen blonden Jungen geprägt werden würde. Eines Tages würden ihn sein Cousin und dessen Adoptivbruder ihn das Fürchten lehren, doch auch dieser Tag lag noch fern. Jetzt jedenfalls aß er gedankenversunken seinen Teller Grießbrei mit Früchten und fragte sich tatsächlich, was Harry jetzt wohl trieb.
Auch Harry seufzte sehr unzufrieden, denn sein geplantes Soufflee schien sich zu Desaster zu entwickeln. In sich zusammengesunken stand es in den kleinen Förmchen. Er hatte keine Idee, nun zu tun sei und traute sich nicht zu den anderen ins Wohnzimmer zurückzukehren. Eigentlich hatte er nur nachsehen wollen, ob alles in Ordnung war und öffnete den Ofen. Das blöde Soufflee fiel komplett in sich zusammen. Harry schämte sich sehr, weil es ausdrücklich im Rezept gestanden hatte. „Während der Garzeit den Ofen nicht öffnen.“
Scone traute dem Frieden, dass Master Malfoy selbst kochen wollte, von Anfang an nicht. Wenn das Ergebnis nicht schmeckte, da war er sich sicher, machte ihn der gestrenge Master sicherlich dafür verantwortlich oder reagierte sich einfach nur ab. Scones Voraussicht sollte sich als richtig erweisen, denn der junge Master Potter sah sehr unglücklich ein zusammengefallenes Bratkartoffelsoufflee an. Scone konnte selbst für einen Hauselfen begnadet kochen. „Master Potter sollte zu den anderen Herren gehen. Er braucht sich nicht zu sorgen, Scone repariert das Soufflee für ihn.“ Scones Englisch klang etwas holperig. Vermutlich durfte er eine so hoch stehende Person, wie Master Potter nicht ansprechen. Als er sich dessen erinnerte, klappte er ängstlich die Ohren ab. „Danke, Scone. Danke, Du bist toll.“ Harry strahlte den Hauself an und drückte ihm spontan einen Kuss auf die Stirn. Dann drückte er den Hauself noch einmal kräftig.
Diese Überschwänglichkeit mochte man für einen Slytherin und erst recht für einen Malfoy für unpassend halten, dennoch zeichnete sie verantwortlich für Harrys ausgeprägte Spontanität und sein Temperament. In einem anderen Leben wäre es sicher ein wunderbarer Zug geworden. In einer Welt, in der er nicht in Familie Malfoy gekommen wäre, hätte er sich vielleicht für Gryffindor entschieden. Vielleicht wäre er der beste Freund von Ronald Weasley geworden – wer konnte das schon sagen. Vielleicht hätte er die Idee verabscheut, dass magische Wesen Zauberern zu dienen hätten. Vielleicht hätte er sich nicht nie mit Draco angefreundet. Vielleicht hätten sie sogar gegeneinander gekämpft. Absurd nicht wahr? Doch Harrys Überschwänglichkeit könnte sich eines Tages in dieser Welt sehr leicht in Zorn oder Reizbarkeit umschlagen. Womöglich würde er ein Choleriker werden, wie es Abraxas Malfoy gewesen war? Wer könnte es heute sagen? Über diese Dinge dachten jedoch weder Harry noch Scone nach.
Stattdessen huschte Harry erleichtert wieder ins Wohnzimmer und log zum ersten Mal bewusst. „Alles in Ordnung. Das Essen ist gleich fertig.“, sagte er und wurde mit diesem Verhalten wieder ein Stück mehr zu einem Mitglied der Familie Malfoy.
Kurz darauf stand tatsächlich ein sehr gutes Bratkartoffelsoufflee auf dem Tisch und auch die Pasta duftete herrlich. Die ausgelassene Stimmung der anderen beim Essen und das allseitige Lob dafür ließen Harry schnell das unliebsame Erlebnis mit dem Kaninchen beiseiteschieben. Er wollte nicht mehr an das eigenartige Gefühl denken, dass das warme Blut auf seiner Hand verursacht hatte. Man redete über Quidditch und das nächste Spiel. Gryffindor spielte gegen Hufflepuff. „Cedric Diggeroy soll richtig gut sein.“, meinte Draco, der Cedric eigentlich gerne zum Vorbild gehabt hätte. Leider kam Cedric aus Hufflepuff, damit konnte er kein Vorbild sein, obwohl er Coolness hatte, richtig gut im Unterricht war und auch viele Freunde hatte. In Slytherin gab es derzeit niemanden vergleichbares. Die Ravenclaws langweilten nur und Gryffindor – nun ja.
Langsam neigte sich der wunderbare Ausflug dem Ende entgegen, dachte Draco als sie später im Bett lagen. „Weißt Du, “ begann er seinem Bruder zu erzählen, während sie beide unter den kuscheligen Decken lagen. „als Dad das erste Mal gesagt hat, dass Du zu uns kommen sollst, hatte ich einen richtigen Wutanfall. Ich dachte, Mum und Dad hätten mich nicht mehr lieb und Du würdest sie mir womöglich wegnehmen. Jetzt schäme ich mich manchmal richtig dafür. Wir beide zusammen, denke ich, können die Welt erobern. Dann sind Mum und Dad richtig stolz auf uns.“ Ein wenig müde und von all den Eindrücken dieses Tages ziemlich überfordert, gähnte Harry in das dunkle Zimmer mit diesem Duft nach Wald und See hinein. Diese Welt war anders, als alles was er bisher gesehen hatte, aber zu ihm war sie magisch und gut. Er hatte ein Zuhause, Menschen, die ihn liebten, eine richtige Familie und lebte ein Märchen.
Trotzdem schlief er in dieser Nacht nicht gut. Grausame Träume quälten ihn so sehr, dass er gegen vier Uhr früh verschwitzt und ängstlich aufwachte. Da klang eine Stimme in seinem Kopf, die ihm drohte und böse Dinge sagte. Auch fühlte er noch einmal das Blut der getöteten Kreatur über seine Haut laufen. Er stand auf und duschte sich kalt ab. Dann zog er sich an und ging hinaus auf die Terrasse, wo Scone bereits wieder putzte. Der kleine Hauself brachte Harry selbstverständlich einen Kakao. So gehörte es sich schließlich auch.
Der Junge saß in eine Decke gehüllt mit Blick auf den See. Dort bemerkte er etwas Seltsames. Ein riesiger, wunderschöner Hirsch zeichnete sich silbrig glänzend am anderen Ufer ab. Das Tier schien zu ihm hinüber zu sehen und ihn zu grüßen. Sein Pate hatte ihm von Krone, dem Spitznamen seines biologischen Vaters erzählt. Die Animagusgestalt von Krone war ein Hirsch gewesen. Harry erinnerte sich aber weitaus mehr an Lucius Worte über James Potter, den Mann der seine Familie nicht schützen konnte. Er wendete sich kühl von der Gestalt am See ab und seinem Zauberkunstbuch zu.