Seit dem Frühstück hatte Harry Vincent keines Blickes mehr gewürdigt. Im Unterricht zeigten Hermine, Draco und er mal wieder, was sie konnten. Und das war ziemlich viel. Nach VgddK hatten sie bei Professor Binns Geschichte der Zauberei gehabt. Draco glänzte mit einem fundierten Beitrag über die Gründung Gringotts infolge der Koboldaufstände. Dem gegenüber konnte Hermine den Bezug von Hogwarts zu den Kobolden darstellen. Harry stellte fest, dass er noch einige Lücken in Geschichte hatte. Er mußte das Thema unbedingt nacharbeiten. Trotzdem konnte er ein paar richtige Details beisteuern. Die meisten anderen Schüler schliefen mehr oder weniger fest ein. Harry grinste Hermine an, die rechts neben ihm saß, und wies mit der Feder zu Crabbe hinüber: „Die Elite der Zauberwelt schnarcht.“ Sie kicherte ein wenig, während Draco feixte.
Vincent und Gregory kamen Draco immer mehr wie Versager vor. Sie strengten sich nicht wirklich an und lästerten oft über Harrys Herkunft. Besonders letzteres konnte Draco überhaupt nicht leiden. Immerhin war Harry ein Malfoy, darüber gab es nichts zu diskutieren. Die Situation beim Frühstück hatte ihn furchtbar geärgert, aber ein Malfoy zeigte seinen Ärger nicht ungehemmt. Er würde sich bei Gelegenheit revanchieren. Einstweilen jedenfalls konzentrierte er sich auf Professor Binns Unterricht. Am Ende der Stunde gab der Professor für die meisten Schüler völlig überraschend Noten für die mündliche Arbeit. Jetzt feixte Draco noch einmal, denn Vincent bekam ein Troll. Allerdings schwiegen die Malfoybrüder diskret dazu.
Zusammen mit Gryffindor folgte die erste Flugstunde. Madame Hooch zeigte die erste Übung und Neville eine für Gryffindor untypische Panik. Der ängstliche Junge verlor bereits beim Aufsteigen auf den etwas zickigen Schulbesen die Kontrolle. Der Besen spürte die Unsicherheit des Lenkers. Direkt jagte er hoch hinaus in den Himmel und warf den glücklosen Gryffindor ab. Der Junge stürzte auf den Rasen. Er brach sich einen Arm und ein Bein. Sofort unterbrach Madame Hooch den Unterricht: „Sie bleiben alle hier unten, bis ich Mr. Longbottom in den Krankenflügel gebracht habe. Wenn jemand in meiner Abwesenheit auch nur auf den Besen steigt, hat das ernste Konsequenzen.“
Harry sah eine kleine Kristallkugel auf dem Rasen liegen. Offensichtlich gehörte sie diesem Longbottom, der wohl nicht nur sein Haustier verlor. Er hob sie unauffällig auf und steckte sie in seine Tasche. Inzwischen entbrannte ein weiteres sinnloses Wortgefecht zwischen den Gryffindors und den Slytherins, in dessen Mittelpunkt sich unglücklicherweise Hermine befand. Auch ihr hatte der Besen nicht richtig gehorcht. „Schlammblüter können eben nicht fliegen.“, sagte Vincent arrogant. „So redet man nicht mit einer Dame, Vincent.“, ermahnte ihn Harry kühl. „Wir sind Slytherins und keine Proleten.“ Diesen Ausdruck verwendete Narzissa immer, wenn sich Draco oder er nicht richtig benahmen. Was er wirklich bedeutete, wusste Harry zwar nicht, aber das war ihm gerade egal. Die Gryffindors schwiegen verdattert. Ein Slytherin wies einen anderen zurecht, weil der eine Gryffindor beschimpft hatte. „So etwas ist ungebührlich und schadet dem Ansehen unseres Hauses.“, stimmte Blaise seinem Freund zu. Seine Mutter bläute ihm ständig ein, wie wichtig gutes Benehmen war. Schließlich sollte er eines Tages eine gute Partie machen.
„Du bist doch auch nur ein Halbblut, Potter.“, motzte Crabbe zurück. Zum ersten Mal zeigte Harry, wieviel Malfoy inzwischen in ihm steckte. Arrogant lächelnd sagte er: „Dafür bin ich in unserer Hausmannschaft. Bei Dir hat‘s dafür ja nicht gereicht, Crabbe. Mr. Flint hält Dich für völlig unbegabt. Von wegen Elite…“ Hinter Crabbe sah er Madame Hooch zurückkehren. „Du kannst doch gar nicht fliegen. Wetten Du schaffst es nicht, dort drüben…“ Er zeigte auf den Gryffindorturm. „Einfach eine schlichte Runde um den Wimpel zu drehen. Wir fliegen um die Wette, Du zuerst. Blaise stoppt die Zeit. Dann fliege ich.“
Draco stutzte einen Moment. Es war gar nicht Harrys Art, sich gegen ein ausdrückliches Verbot eines Erwachsenen zu stellen. Dann folgten seinen Augen Harrys Blick und er verstand. „Du traust Dich nicht, Vincent.“, provozierte er seinen Mitschüler. Crabbe konnte das nicht auf sich sitzen lassen. Genauso, wie Harry es erwartete, bestieg Crabbe den Besen. Madame Hooch hatte den Disput nicht hören können, dafür sah sie Vincent Crabbe direkt in den herbstlichen Sonnenhimmel aufsteigen.
Sie rief ihn unmittelbar vom Besen hinunter: „Mr. Crabbe, was denken Sie sich eigentlich? In meinem Unterricht wird genau gemacht, was ich sage. Über Ihre ungeheuerliche Frechheit werde ich Ihren Hauslehrer und Eltern informieren.“ Vincent versuchte immer wieder zu Wort zu kommen, es gelang ihm jedoch nicht. Blaise warf Harry einen anerkennenden Blick zu. Bei den Zabinis wusste man eine geschickte Intrige durchaus zu schätzen. Hermine war noch immer überrascht, dass Harry und Draco für sie Partei ergriffen hatten. Ein schales Gefühl blieb dennoch, weil von ihren Mitschülern aus Gryffindor nichts dazu gesagt worden war. Ron versuchte noch immer zu verstehen, weshalb sich die Slytherins gestritten hatten. Vincent empfand sich als Verlierer, vor allem weil er wusste, dass Severus Snape sehr streng war. Außerdem stand sein Haus scheinbar hinter Harry.