Draco hat darauf bestanden, am Bett seines Bruders zu warten, bis er wieder mit ihm reden konnte. Der blonde Malfoyjunge zeigte Madame Pomfrey gegenüber gleichermaßen Charme und Beharrungsvermögen. Letztlich hatte Severus ihn dann doch in den Slytherinschlafsaal schicken können: „Draco, keine Sorge. Wenn Harry die Augen aufmacht, bin ich hier und lasse Dich direkt holen. Jetzt gehst Du ins Bett. Keine Diskussion.“ In Anbetracht der allgemeinen Aufregung hatte Severus die Förmlichkeiten einstweilen beiseitegeschoben. Er hatte auf Malfoy Manor nur einen Hauself erreicht. Lucius und Narzissa besuchten wohl eine Vernissage und wurden erst weit nach Mitternacht erwartet. Severus erinnerte sich schwach an die Einladung zur Ausstellung, die er erhalten und wohlweislich ignoriert hatte. Dobby sollte der Herrschaft ausrichten, was geschehen war und das es Harry vermutlich gut ging.
Albus Dumbledore warf einen Blick in den Krankenflügel. Er wollte sich natürlich nach Harrys Befinden erkundigen, da jedoch sah er den Tränkemeister am Bett sitzen und zog sich zurück. Severus verhielt sich dem jungen Potter gegenüber eigenartig sanft und fürsorglich. Der Tag hatte eine Vielzahl von Überraschungen geboten. Kaum eine davon gefiel Albus. Das Auftauchen von Peter Pettigrew konnte in seiner Bedeutung nicht überschätzt werden. Sollte sich und davon war aus zu gehen, die Verurteilung von Sirius Black als Justizirrtum herausstellen, dann würde er in große Schwierigkeiten geraten. Dumbledore war aktuell der Großmeister des Zauberergamots. Auch seinerzeit spielte er eine bedeutende Rolle am Gamot. Die Sache jetzt war wirklich unangenehm. Wer hatte damit rechnen können, dass Pettigrew lebte?
Dazu kam, dass Sirius Black stets ein schwer zu lenkender Charakter gewesen war. Black folgte stets seinen eigenen Wegen. Albus kam zu dem Entschluß, dass es für die Stabilität der Zaubergemeinschaft besser wäre, wenn die Pettigrewgeschichte unter den Tisch gekehrt würde. Sollte Black zudem erfahren, wie Harry im Ligusterweg gehalten worden war, konnte es richtig schwierig werden. Von der Sache mit der damaligen Amnestie für Severus mal abgesehen. Ein paar Dinge gerieten ins Wanken und das besorgte den alten Mann.
Immerhin hatte Harry heute echte Opferbereitschaft gezeigt. Dies war der einzige erfreuliche Aspekt der Angelegenheit. Vielleicht hatte man den Jungen noch nicht verloren. Er schien ein empfindsames Kind zu sein, dass sich anderer annahm.
Das Erste, was Harry wieder wahrnahm, war Severus nachdenkliches Gesicht. „Professor Severus?“, fragte er noch ein wenig durcheinander. „Entweder Severus oder Professor Snape.“, meinte der Angesprochene präzisierend. „Wie geht es Dir, Harry?“, fragte er dann. „Wo bin ich eigentlich?“, stellte Harry eine Gegenfrage. „Im Krankenflügel von Hogwarts. Du hast starke Magie gewirkt, die Dich erschöpfte. Du bist ohnmächtig geworden und man hat Dich hierher gebracht. Woran erinnerst Du Dich? Was ist passiert, bevor Dich Hagrid gefunden hat?“ Der Junge erzählte bruchstückhaft von der Szene im Wald. „Diese Melodie, die Du gesungen hast, klang sie so?“ Severus Stimme strahlte voll und dunkel. Sie erfüllte den Raum, obwohl er leise sang, völlig. Beim ihm hörte es sich nicht so fremd an eher machtvoll. „Naja, so schön habe ich nicht gesungen. Das Einhorn tat mir leid. Dieses ganze silberne Blut klebte überall.“ Severus unterdrückte ein Grinsen, wegen des Komplimentes.
„Es kommt nicht darauf an, ob diese Melodie besonders schön klingt. Wichtig ist Dein unbedingter Wille, dem Verletzten zu helfen. Sie hilft gegen schwarze Magie oder besser gegen Verletzungen, die durch Dunkle Kunst entstanden sind. Dieser Zauber funktioniert durch die Übertragung Deiner Kraft auf den Verletzten, daher zählt man ihn zur Blutmagie. Diese Schule der Magie wird von vielen als schwarze Magie verteufelt. Ich persönlich denke, es ist in letzter Konsequenz egal, ob man helle oder dunkle Magie wirkt. Von echter Bedeutung sind Deine wahren Absichten. Einige meiner Freunde oder auch ich wirken ab und zu schwarze Magien. Allerdings besteht die Gefahr, dass Du über die Magie die Kontrolle verlierst. Einige Zauberer, die ihre Leidenschaften nicht bezähmen konnten, sind darüber verrückt geworden.“
Harry hörte genau zu und genoss die Intimität der Situation. Severus sprach ruhig weiter: "Diese Melodie entzieht Dir Deine Kraft. Wenn Du in einen Kampf verwickelt bist, musst Du genau entscheiden. Ist es wichtiger die Verletzung zu stoppen oder den Feind kampfunfähig zu machen?" Harry gähnte, trotzdem er genau zuhörte. "Ich verbiete Dir noch einmal schwarze Magie zu wirken, bevor wir sie geübt haben. Du könntest dabei sterben oder den Verstand verlieren." Die Junge nickte und schmiegte sich tiefer in das Kissen.
Er fragte nach dem Einhorn und schlief beruhigt ein, nachdem er erfahren hatte, dass es dem Tier gut ging. Harry hatte ohne wirklich zu wissen, was er tat schwarze Magie eingesetzt und sich dabei selbst fast gefährdet. Sein Lehrer und väterlicher Freund sorgte sich um ihn. Man musste dem Jungen mehr beibringen und ihm die Geheimnisse der Zauberei vertrauter machen. Das Talent und die Wissbegierde aber auch seine Radikalität machten Harry zu jemandem besonderen. Gab man ihm ein Ziel, würde er es erreichen. Er würde nicht den selben Fehler machen wie Dumbledore, und diesen Jungen unterschätzen, und ihm zu wenig erzählen oder beibringen. Einen Kämpfer nicht gut auszubilden wäre fatal.
Diese Gestalt die Einhornblut trank, erweckte in Severus eine böse Ahnung. Sollte Lucius Recht haben? Ein Einhorn zu meucheln, trug einen derart bösartigen Zug, den selbst den schwarzen Zauberer erschreckte. Er musste unbedingt mit Lucius reden. Dieser Vorfall zeigte, dass sie weniger Zeit hatten, als vermutet. Andererseits hatten sie den Trumpf in der Hand. Harry verfügte über sehr viel Magie. Genau darin lag der Schlüssel zur Macht. Er staunte darüber, wie viel Weitsicht Malfoy hatte. Jeden Schritt plante er genau und realisierte ihn präzise. Severus gefiel diese Vorgehensweise, weil er sich nicht benutzt fühlte. Albus und Voldemort hinterließen bei ihm stets den Eindruck eine Marionette zu sein. Lucius hingegen beteiligte ihn an jeder Entscheidung.
Lucius hatte sich mit Professor Myers auf einen ruhigen Balkon des Museums für Magische Kunst zurückgezogen, während Narzissa mit Cecely Zabini gemeinsam die Bilder betrachtete. Narzissa gab sich wie eine gewöhnliche Besucherin und hörte den Gästen interessiert zu. Außer Lucius und Mr. Flint ahnte niemand, dass es sich bei ihr um die scheue Künstlerin handelte. Mr. Flint versuchte vor jeder Ausstellungseröffnung Narzissa zu überreden sich zu öffnen, aber es gelang ihm nie. „Sie sind sich des Risikos bewusst, was die erfolgreiche Vertretung ihres Verwandten angeht, Lucius?“, fragte Myers leise, obwohl er vorsorglich einen Stillezauber über den Balkon gelegt hatte. „Das Risiko, das er ohne unsere Unterstützung freikommt, ist mir zu groß. Wenn er nicht an die Familie gebunden wird, könnte er meinem Sohn Schwierigkeiten machen. Wenn es um meine Söhne geht, riskiere ich grundsätzlich nichts. Das Auftauchen dieser dreckigen Ratte lässt nicht rückgängig machen. Wir müssen also handeln, bevor andere handeln. Am besten Sie besorgen noch heute Nacht eine Besuchserlaubnis für ihn. Die Kosten sind mir egal. Wenn er nicht kooperiert, brauchen wir eine angemessene Lösung. Sie verstehen?“