„Was möchtest Du denn besprechen?“ Severus goß sich einen schwarzen Tee und etwas Limonade Draco ein. Draco liebte den schweren Duft von Kräutern, der Severus oft umgab. Die Einrichtung des Quartiers hier in Hogwarts unterschied sich deutlich von Spinner´s End. Severus schlichter, eleganter und puristischer Stil zog sich durch alle seine Wohnräume. Überall herrschte exakte Ordnung und Akkuratesse.
„Harry hat gestern erzählt, dass er früher hungern musste und Müll gegessen hat.“ Lucius meinte immer mal, dass Draco zu weichherzig sei - der einzige Makel seines Sohnes. Man konnte es auch anders sehen. „Ja, Harry hat sein Essen manchmal aus dem Müll zusammengesucht. Die Dursleys haben Harry oft hungern lassen. Er lebte in einer Art Schrank unter der Treppe und musste als ihr Hauself für sie arbeiten. Vernon Dursley schlug ihn häufiger und tat auch anderes mit ihm.“ Verstörung lag in den silbergrauen Augen, die irgendwann einmal Frauen und Männer verwirren würden. „Anderes mit ihm? Was denn?“ Natürlich verstand Draco nicht, was damit gemeint war. Seine Eltern behüteten ihn ständig und in jeder Hinsicht. Gerade weil er oft kränkelte, sorgte Narzissa sich um ihn und verwöhnte ihn auch. Lucius sorgte sich weniger, verwöhnte ihn aber dennoch.
Aus diesem Grund tat ihm trotz der Anstrengungen Hogwarts gut. Severus wog die Worte genau ab: „Man kann einem Menschen mehr antun, als ihn zu schlagen und hungern zu lassen. Dursley hat das getan.“ Naiv war Draco beileibe nicht. „Er hat ihn gefoltert? Mit einen Cruciatus?“ Von unverzeihlichen Flüchen hatte er schon öfter gehört. Severus überlegte kurz: „Vielleicht ist es tatsächlich wie ein Cruciatus – ja, man könnte es als unverzeihlich betrachten. Vernon Dursley hat versucht, Harrys Würde zu nehmen. Eines Tages wird er dafür bezahlen – teuer bezahlen.“ Selten genug zeigte Severus seine Gefühle so offen wie in diesem Moment. Vernon Dursley musste etwas Entsetzliches getan haben, dessen war sich Draco sehr sicher. Eines Tages würde dieser Muggel dafür bezahlen, dafür würde er selbst sorgen. Er hatte den Wahlspruch der Familie Malfoy tief verinnerlicht: „Liebe die Deinen rückhaltlos und vernichte Deine Feinde erbarmungslos. Tue, was immer für beides nötig ist.“ Er gähnte herzhaft und schloß kurz die Augen. „Wie seid Ihr eigentlich auf dieses Thema gekommen?“, fragte Severus interessiert. Es lag nicht in Dracos Natur, Fehler ohne weiteres zuzugeben, allerdings respektierte er Severus zu sehr, um ihn zu belügen. Bei einem anderen Erwachsenen hätte er es vielleicht sogar probiert.
Severus hörte dem Jungen ernst zu. Was er hörte, gefiel ihm nicht. Schon seit Wochen bemerkte er, wie gestresst die Kinder waren. Bereits mehrfach hatte er versucht, mit Lucius darüber zu sprechen. Bewusst tadelte er Draco für sein Versäumnis mit den Haustieren nur sehr leicht. Die Kinder hatten die Sache bereits unter sich geregelt. Ein weiteres Eingreifen würde hier nicht helfen. Viel wichtiger war es, Lucius zur Einsicht zu bringen, dass dieses Programm seine Söhne zerstörte. Er entschloss sich zunächst, das Pensum ohne Lucius Zustimmung zu reduzieren. Mitten in seine Überlegungen platzte ein energisches Klopfen.
„Ja, bitte.“, sagte er ruhig. Marcus Flint trat hektisch ein: „Professor, Harry muss sich furchtbar übergeben. Madame Pomfrey meint, er hätte sich wahrscheinlich vergiftet. Sie sollen kommen.“ Severus zögerte keine Sekunde und eilte in den Krankenflügel. Bei Vergiftungen durfte man keine Zeit verlieren. Draco blieb erschreckt zurück. Severus fluchte lautlos. Was hatte der Junge denn nur angestellt? Eilig begab er sich zum Krankenflügel. Die leise Sorge, Harrys Begeisterung für Zaubertränke könnte damit zu tun haben, schob er beiseite. Hatte jemand einen Giftanschlag auf den Jungen versucht? Schwebte er womöglich in Lebensgefahr? Mit Giften war nicht zu spaßen.
Er fand den bleichen Harry mit verweinten Augen über eine selbstreinigende Schüssel gebeugt und spuckend. Madame Pomfrey saß neben ihm und ermunterte ihn, viel Wasser zu trinken. „Was hast Du geschluckt?“, fragte er scharf nach. Madame Pomfrey zuckte mit den Schultern: „Das habe ich ihn auch schon gefragt. Aber er redet nicht mit mir.“ Severus schickte sie mit einer leichten Kopfbewegung fort. Alleine hatte er bessere Chancen, eine Antwort von dem Jungen zu bekommen. „Harry, was hast Du gegessen oder getrunken?“ Harrys Kopf blieb über der Schlüssel und der Blick tief gesenkt. „Du hast heimlich einen Trank gebraut, nicht wahr? Ich habe gesehen, wie Du die Zutaten genommen hast. Etwas ist schiefgegangen, oder? Was wolltest Du herstellen?“ Das bleiche Gesicht färbte sich innerhalb von Sekundenbruchteilen tiefrot. „Den Trank der klaren Gedanken.“ hauchte das tiefbeschämte Kind. Der Trank der klaren Gedanken war ein probates Kopfschmerzmittel, das eher einfach herzustellen war. Allerdings gab es da ein Detail…
„Dafür hast Du die gemahlenen Echsenzähne gebraucht – genauer gesagt rechtsgewachsene Echsenzähne. Wenn Du die linksgewachsenen benutzt hast, hast Du ein sehr kräftiges Brechmittel hergestellt. Wo ist der Rest meiner Zutaten?“ Widerwillig, aber ohne Zaudern gab Harry die verbliebenen Pulver und Kräuter zurück. Severus Vermutung erwies sich als zutreffend. Der Junge hatte tatsächlich die falschen Echsenzähne genommen. „Das Brechen hört in zwei Stunden von selbst auf. Weil Du gestohlen hast, werde ich Dir kein Gegenmittel geben und auch Madame Pomfrey sagen, dass das nicht notwendig ist. Sobald Du nicht mehr brechen musst, ißt Du etwas trockenen Zwieback. Dann kommst Du direkt zu mir. Wir sprechen dann über die Angelegenheit.“
Ein wenig leid tat dem Tränkemeister sein Schüler schon, dennoch blieb er bewusst kühl und streng. Harrys Verhalten musste Konsequenzen haben, aber er würde den Jungen nur minimal bestrafen. Sich über drei Stunden zu übergeben war aus seiner Sicht ausreichend. Allerdings durfte Harry auf keinen Fall stehlen. Außerdem musste Severus mehr über den Hintergrund der Aktion erfahren. Solange der Junge aber in diesem Zustand war, machte ein Gespräch keinen Sinn.