Lucius Unzufriedenheit mit sich selbst hatte in den vergangenen Tagen überhand genommen. Schon seit zwei Wochen wollte er dringend mit seinen Söhnen sprechen und schaffte es einfach nicht nach Hogwarts. Zunächst bereitete ihm die Vorbereitung für die Entlassung von Sirius Black eine Menge Arbeit. Vor allem weil man von Seiten des Ministeriums wenig Interesse an dieser unangenehmen Personalie hatte. Letztlich war neben gezielten Indiskretionen gegenüber dem Tagespropheten vor allem eine erhebliche Summe Bestechungsgeld der Schlüssel zum Erfolg. Er fragte sich noch immer, wie es Myers möglich gewesen war, so schnell und kostengünstig einen Besuch in Askaban zu organisieren. Doch Mr. Myers lächelte auf diese Frage nur stumm. Der Mann konnte seine Geheimnisse zu gut bewahren.
Heute jedoch wollte Lucius Draco und Harry endlich besuchen. Es gab viele gute Nachrichten und sehr gute Noten, deshalb fand er es angemessen, einige kleine Nettigkeiten mitzubringen. Auf keinen Fall sollten die Jungs den Eindruck haben, man würde ihre Leistungen nicht honorieren.
Er wischte sich eine hässliche Erinnerung an Abraxas aus dem Kopf. Damals war Lucius gerade dreizehn gewesen. Er kam mit einem Zeugnis voller „Ohnegleichen“ nach Hause nur in VgdK und Alte Runen hatte er ein „Erwartungen übertroffen“. Sein Vater sagte nur sehr kühl: „Du lässt dich gehen.“ Abraxas hatte ihn dann wie einen rebellischen Hauselfen bestraft. Lucius schwor sich an diesem Tag, seine Kinder niemals zu schlagen. An diesen Schwur hielt er sich. Draco hatte sich frühzeitig hohen Erwartungen gegenüber gesehen, aber bestraft wurde er nur selten. Nicht ein einziges Mal wäre Lucius auf die Idee gekommen, seine Söhne im Erziehungszimmer zu empfangen. Sein Vater hatte ihn dort regelmäßig erwartet. Mit Harry waren die Dinge noch einfacher geworden. Die Jungs gehorchten einfach perfekt.
Lucius zog sich einen warmen Umhang über die Schultern und warf eine Handvoll Flohpulver in den Kamin. Sekunden später stieg er aus dem Kamin in Severus Privatquartier. Man begrüßte sich herzlich, aber nicht überschwänglich. „Die Kinder frühstücken noch. Sie werden gleich herkommen“, sagte Severus. Die Uhr schlug gerade neun. „Warum lernen sie nicht?“, bohrte Lucius direkt nach. Der Professor war froh darüber, dass Lucius das Thema Arbeitspensum so hervorragend vorbereitete.
„Ich bin heute zeitlich eingebunden und habe ihnen konkrete Aufgaben gestellt. Allerdings wollte ich den Lehrplan ohnehin mit dir besprechen. Mir schweben mehr Praxis und weniger Theorie vor. An den Wochenenden sehe ich mehr Quidditch und Exkursionen, gegebenenfalls Übungskämpfe.“ Severus machte eine Pause, die Lucius zum Nachfragen nutzte: „Was soll das bringen?“ Wenigstens ein bisschen Abwechslung und Spaß, dachte Severus und sagte sehr pädagogisch: „Eine zielgerichtete Erweiterung ihres Horizontes. Sie sind Slytherins keine Ravenclaws, die ihre gesamte Bildung nur aus Büchern haben. Vom Spuren Lesen bis zum Duellieren erwirbt man Fähigkeiten durch Übung. Schach fände ich auch nützlich. Es schult das Denkvermögen ungemein.“
Lucius war sich selbst nicht eins, allerdings leuchteten Severus Argumente gut ein. „Was willst Du streichen?“, interessierte er sich. „Arithmantik, dafür haben wir viel getan und erst in dritten Klasse wird Arithmantik relevant. Außerdem finde ich, dass wir Kräuterkunde nach draußen verlegen sollten. In Geschichte der Zauberei genügt wirklich eine zusätzliche Stunde in der Woche, sonst löst Draco Binns noch ab.“ Die Schmeichelei überzeugte Lucius letztendlich. „Also gut. Aber es bleibt wichtig, dass sie die Besten sind.“
In diesem Moment klopften die Jungs gut gelaunt an. Draco lief seinem Vater direkt in die Arme, während Harry lächelnd wartete. Das bittere Gefühl, dass Lucius seit der Erinnerung an seinen Vater, empfunden hatte, verschwand mit Dracos Umarmung völlig. „Hallo, Dad“, grüßte Harry ihn liebevoll und merkte erst jetzt, wie sehr er seinen Vater vermisst hatte. „Kommt mit, ihr Rabauken. Ich wollte mit euch nach Hogsmeade gehen, dann können wir uns in Ruhe unterhalten und bummeln.“ Die Jungs waren sofort Feuer und Flamme – auch wenn Sonntag war, hatten einige kleine Läden geöffnet. Unter anderem konnte man im Honigtopf und bei Zonkos auch sonntags bummeln. Diese Information hatten Harry und Draco von Marcus bekommen, die schon oft in Hogsmeade gewesen waren. „Wir bringen Hermine, Blaise und Marcus irgendwas Nettes mit“, stellte Draco fest. „Ohja. Vielleicht Berti Botts Bohnen, oder Schokofrösche, oder Karmellbonbons…“, überlegte Harry sehr angetan von der Idee. Lucius schlug vor, erst mal zu sehen, was es gäbe. Er fand es gut, dass seine Jungs so gute Beziehungen pflegten. Mr. Nott hatte ihn erst vor ein paar Tagen im Ministerium angesprochen, wie begeistert sein Sohn Theo von Draco und Harry sei.
Sie gingen durch den Haupteingang hinaus, dabei bemerkten sie nicht, wie ihnen Albus Dumbledore nachdenklich hinterher blickte. Er konnte keine Einwände erheben, wenn Eltern ihre Kinder auch am Wochenende besuchten. Es gab auch nichts dagegen zu sagen, wenn sie sich nur beim Hauslehrer anmeldeten. Trotzdem gefiel Albus dieses Bild nicht. Severus schritt zügig neben Lucius in Richtung Hogsmeade. Die Kinder begleiteten sie gut gelaunt. Harry Potter lief fröhlich neben Draco Malfoy her. Offensichtlich waren die Jungen sehr innig im Umgang miteinander. Albus überlegte noch immer, was zu tun war. Auch die bevorstehende Entlassung von Sirius Black bereitete ihm Kopfschmerzen. Obwohl er einiges unternommen hatte, um die Sache zu verlangsamen, beeilte man sich im Ministerium, die Personalie vom Tisch zu bekommen. Das Auftauchen von Peter Pettigrew störte wirklich ungemein.