Alle starrten den jungen Elfen an und sie erkannten erst, wieviel Ähnlichkeit er doch mit Hungoloz, aber auch mit Makraloz hatte. „Du… hast meine Augen…“ sprach letzterer nun und seine Stimme zitterte. „Ich kann es… kaum fassen. Ich wusste nichts davon, dass… Mandalina schwanger war, als… wir uns wieder trennten. Wir waren… doch nur so kurz zusammen. Sie war der Meinung, dass wir nicht wirklich zusammenpassen würden. Ich weiss auch nicht, weshalb sie das dachte. Warum bloss sagte sie mir nichts? Ich hätte sie doch unterstützen und dich wenigstens aufwachsen sehen können. Ich wäre für dich dagewesen, wie für Hungoloz.“ Er legte Tartaloz die Hand auf den Nacken und zog ihn zu sich heran. Dabei küsste er ihn auf die Stirn. „Du bist mein Sohn… ich habe tatsächlich noch einen Sohn! Es tut mir so schrecklich leid, dass ich nicht für dich da sein konnte.“
„Du wusstest ja nichts von mir,“ erwiderte Tartaloz ohne einen Vorwurf in der Stimme. „Aber… meine leibliche Mutter hat mich im Stich gelassen. Sie wollte mich nicht behalten, aber sie brachte mich auch nicht zu dir. Was für eine Mutter tut so etwas?“
„Du darfst ihr nicht zu grosse Vorwürfe machen,“ versuchte Bankraloz zu vermitteln. „Sie hatte bestimmt ihre Gründe für ihr Verhalten.“
„Was sollen das schon für Gründe sein!“ rief der junge Elf und man spürte seine Verletztheit.
Hungoloz rief: „Aber Hej! Du hast jetzt eine neue Familie. Wir sind immerhin Brüder, ist das nicht genial! Ich habe tatsächlich einen kleinen Bruder!“ Er klopfte Tartaloz voller Zuneigung auf die Schultern und die beiden umarmten sich herzlich. Der jüngere Elf lachte nun wieder und sprach: „Du hast recht. Hej, der neue König des Waldes ist mein Bruder! Ich bin ein Adliger. Wer hätte das gedacht!“
„Genau! Das müssen wir gleich den anderen sagen! Was meinst du Vater?“ Makraloz wirkte etwas nachdenklich. Man merkte, dass er die ganze Sache noch immer verarbeiten musste. „Ich würde gerne, noch ein wenig warten. Das alles… ist gerade etwas viel.“ Er erhob sich und legte Tartaloz noch kurz mit väterlicher Liebe die Hand auf die Schulter, dann verliess er, leicht schwankend, das Baumhaus.
Tartaloz blickte Hungoloz und seinen Zieh-Vater etwas hilflos an. „Warum benimmt es sich so? Ist es so schlimm, den anderen aus dem Dorf zu erzählen, dass er noch einen Sohn hat? Schämt er sich womöglich doch für mich?“
„Nein, bestimmt nicht!“ beschwichtigte ihn Hungoloz. „Er leidet vermutlich einfach darunter, dass er nicht früher davon gewusst hat. Er macht sich Vorwürfe, weil er nicht für dich da sein konnte und wahrscheinlich verletzt es ihn, dass Mandalina nicht mit offenen Karten gespielt hat.“
„Aber dafür kann ich doch nichts!“
„Natürlich nicht!“ meinte Bankraloz beschwichtigend und legte den Arm um seinen Ziehsohn. „Niemand kann etwas dafür, was geschehen ist.“
„Doch! Meine leibliche Mutter kann etwas dafür!“ Tartaloz Stimme klang verbittert.
„Wir wissen alle nicht wirklich etwas über die Beweggründe ihres Verhaltens. Vielleicht war sie ja schwer krank oder sie konnte aus anderen Gründen nicht für dich sorgen.“
„Dann hätte sie doch Makraloz um Hilfe bitten können. Er hätte ihr sicher geholfen!“ „Natürlich hätte er das,“ meinte Hungoloz, „wir beide hätten das. Doch wie Bankraloz sagt, es gab vielleicht Gründe, von denen wir alle nichts ahnen.“
„Aber nur wegen ihr, blieb mir meine Herkunft all die Jahre verborgen. Ich habe mich so oft gefragt, was aus meinen leiblichen Eltern geworden ist und…“ Er hielt inne, als er den bekümmerten Ausdruck auf Bankraloz‘ Gesicht sah. „Es tut mir leid… Vater. Ich weiss ihr wart immer für mich da und du und Mama werden immer meine Eltern bleiben. Nur… ich hätte schon gerne gewusst, woher ich komme.“
„Das verstehe ich doch,“ erwiderte der ältere Elf. „Für jeden ist es wichtig, seine Wurzeln zu kennen.“ Stolz schwang nun in seiner Stimme mit „Mein lieber Junge. Der Bruder des neuen Königs des Waldes und der Enkelsohn des einstigen Königs des Waldes. Ist das nicht wundervoll!?“
„Ja, aber es ändert sich dadurch nichts an unserem guten Verhältnis,“ versicherte Tartaloz. Bankraloz lächelte ihm liebevoll zu. „Das weiss ich. Du wirst bei uns auch immer eine offene Tür vorfinden! Aber vielleicht braucht dich jetzt gerade dein leiblicher Vater mehr. Was meinst du, willst du ihm nicht nachgehen? Ihr habt so vieles zu besprechen.“
„Meinst du?“
„Ja, geh ruhig. Es ist in Ordnung. Wir sehen uns später beim Abendessen.“ Er drückte seinen Ziehsohn nochmals kurz an sich und dann verliess dieser seinerseits das Baumhaus und machte sich auf die Suche nach Makraloz.
Der Vater von Hungoloz hatte sich währenddessen auf einem verrottenden, umgestürzten Baumstamm, nicht fern des Dorfes niedergelassen. Er starrte vor sich hin und versuchte all die Ereignisse erst einmal zu ordnen. Viele Fragen quälten ihn dabei. Besonders dachte er über Mandalinas seltsames Verhalten nach. Sie hatte ihm damals gesagt, dass ihre Liebe keine Zukunft habe und sogar als sie sein Kinder im Bauch getragen und geboren hatte, hatte sie ihn nicht aufgesucht. Warum nur? Was hatte es mit alledem auf sich..?
„Wie fühlst du dich?“ fragte auf einmal eine Stimme hinter ihm. Tartaloz stand vor ihm. Stattlich und schön und diese Augen… sie waren den seinen so ähnlich! So blau wie das Meer, in dem sich ein leicht bewölkter Himmel spiegelte. Warum war ihm das nie aufgefallen? Warum hatte er nicht gespürt, dass dies sein Sohn war? Nun gut, er hatte Tartaloz schon immer sehr gemocht und sich auch in vielem mit ihm verbunden gefühlt, aber nun hatte das alles noch eine viel grössere Dimension erhalten. All das war so aufwühlend und verwirrend. Und so erwiderte er leise: „Ich bin etwas durcheinander.“
Tartaloz setzte sich neben ihn und sprach: „Dann sind wir schon zu zweit.“
Mitgefühl durchfloss Makraloz. Ja, für den Jungen, musste das alles noch schwieriger zu verarbeiten sein, als für ihn selbst. Immerhin hatte er gerade erfahren, dass seine leibliche Mutter ihn nicht gewollt hatte und dass sie ihm so die Möglichkeit genommen hatte, ein grundlegendes Urvertrauen aufzubauen. Konnte Makraloz alles was schiefgelaufen war, jemals wieder gut machen? Würde jemals wirkliche Nähe zwischen Tartaloz und ihm entstehen können? Wieder seufzte er und blickte, um ein wenig von seiner Beklemmung abzulenken, hinauf in den nun wieder blauen Himmel. Keine einzige Wolke war zu sehen. „Es ist wieder heller und klarer geworden, seit Darkuloz verschwunden ist, findest du nicht auch?“ fragte er.
Tartaloz folgte seinem Blick und antwortete: „Ja, ich denke du hast recht!“ Wieder Schweigen.
„Es ist nicht deine Schuld…“ sprach der jüngere Elf dann schliesslich und seine blauen Augen blickten erwachsen. „Ich weiss du wärst für mich dagewesen, wenn du von mir gewusst hättest.“
„Auf jeden Fall! Das schwöre ich dir!“ „Vielleicht hatte ja alles seine Richtigkeit so wie es kam. Der grosse, göttliche Geist sieht alles und hatte bestimmt seine Gründe, warum er mich zu Bankraloz und Mayra geschickt hat.“ „Ja, du hast recht. Alles hat irgendeinen Grund, auch wenn man ihn nicht immer gleich verstehen kann. Ich wüsste einfach gerne, warum Mandalina so gehandelt hat und was schlussendlich aus ihr geworden ist.“ „Vielleicht finden wir es eines Tages zusammen heraus.“
Makraloz lächelte: „Das hoffe ich sehr…“ Und dann sprach er, als würde er sich selbst aus seiner Lethargie befreien wollen: „Jedenfalls werde ich dir jetzt all das geben, was ein Vater seinem Sohn geben kann. Ich werde ab heute und hier, stets bei dir sein und dich überall unterstützen, wo es nötig ist. Wir werden die verlorene Zeit, so gut wir können, nachholen und… ich werde gleich heute beim Abendessen verkündigen, dass du mein Sohn bist.“ Tartaloz nickte und freute sich übern den neu erwachten Enthusiasmus seines leiblichen Vaters. „Du hast recht! Dann kehren wir jetzt doch ins Dorf zurück und freuen uns, dass wir einander endlich gefunden haben!“ Schwundvoll sprang Tartaloz bei diesen Worten von dem alten Baumstamm auf, als… auf einmal ein leises Klimpern zu vernehmen war…