Neue Freundschaften
Auch Micha war nun schon eine ganze Weile in der Himmelsstadt. Er war von deren Schönheit und Harmonie richtiggehend überwältigt gewesen. Vor allem zu Beginn. Die Luft- Feen kannte er ja schon von früher. Dennoch war er stets, wenn er sie sah, von ihrer Zartheit und Ausstrahlung entzückt. Trotz all dieser Schönheit jedoch, musste Micha oft an sein zu Hause denken. Was mochte dort vor sich gehen? Waren sein Vater und die anderen wohl in Ordnung? Er hoffte es sehr und war sehr froh, dass zumindest seine Mutter und sein Bruder Marius, mit ihm hergekommen waren.
Vor kurzem hatte er sogar Sara und Hungoloz kennengelernt. Bei einem reichhaltigen, gemeinsamen Mahl, das die Sylphen für alle Neuankömmlinge ausgerichtet hatten, waren sie sich das erste Mal begegnet. Der majestätisch wirkende Waldelf, mit dem glänzenden, goldenen Haar, und den spitzen Ohren fiel im sogleich auf. Er war besonders schön anzusehen, mit seinen goldenen Augen und der hochgewachsenen, schlanken aber zugleich kräftigen Gestalt.
Einige andere des Waldvolkes begleiteten ihn und aus ihrem respektvollen Verhalten dem blonden Elfen gegenüber, schloss Micha, dass dieser so etwas wie ein König sein musste.
Etwas scheu suchte Petes Sohn das Gespräch mit dem Elfen und dieser erwies sich als sehr angenehmer, sympathischer Gesprächspartner. Anfangs wusste Micha jedoch nicht, dass es sich bei diesem Elfen um den Liebsten von Pia handelte. Erst als dieser seinen Namen nannte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
„Dein Name ist Hungoloz?“ fragte er erfreut „dann bist du der Gefährte von Pia Turner?“
„Die Augen des Elfen leuchteten vor Freude auf. „So ist es! Du kennst Pia?“ fragte er erfreut.
„Ja, ich habe sie und ihren Bruder, damals bei der Suche nach den Feuerblumen begleitet.“
„Tatsächlich? Dann bist du Micha, der in Maleks Heimatwelt lebt?“
„Ja genau. Oder vielmehr… ich lebte bis vor kurzem dort, bis ich abgeholt wurde.“
Hungoloz schüttelte Micha nun herzlich die Hand.
„Ich habe schon viel von dir gehört. Du sollst Valiocha den Feuerdrachen getötet haben.“
„Ja das stimmt. Natürlich habe ich auch alles über deine Heldentaten gehört.“
„Ach, so viele Heldentaten waren das jetzt auch nicht,“ winkte Hungoloz bescheiden ab.
„Doch, doch, du hast immerhin gegen einen der Ritter gekämpft und bist siegreich aus diesem Kampf hervorgegangen.“
„Ich hatte aber auch eine Menge Hilfe dabei.“
„Das hatte ich auch, als ich gegen Valiocha kämpfte.“
„Entschuldigt…,“ mischte sich auf einmal ein schwarzhaariges Mädchen mit strahlendblauen Augen, ins Gespräch: „Ich habe zufällig gehört, dass ihr über Pia und Benjamin gesprochen habt. Ihr kennt sie also?“
„Ja natürlich!“ erwiderte Micha. „Das hier ist Hungoloz, der Liebste von Pia und ich bin der Lehrling des grossen Zauberer Maleks.“
Die drei stellten sich einander nun vor und Hungoloz meinte: „Wir haben auch schon viel von dir gehört Sara. Du bist jetzt mit Benjamin zusammen, habe ich recht.“
„Genau!“ Die Wangen des Mädchens nahmen einen rosigen Schimmer an. „Er und ich… sind seit unserer Reise ins Reich der Trolle ein Paar.“
„Das ist ja mal ein glücklicher Zufall!“ freute sich der Elf und umarmte Sara spontan. Micha tat es ihm nach. Die drei verstanden sich auf Anhieb sehr gut und so entstand zwischen ihnen eine schöne Freundschaft.
Tags darauf schlenderte Micha wieder einmal allein durch die strahlenden Alleen und Gassen der Himmelsstadt. Die meisten der Entrückten hatten sich hier schon gut eingelebt und übernahmen nun immer mehr kleinere oder etwas grössere Aufgaben.
Micha tat sich mit der Akklimatisierung immer noch etwas schwer, weil er einfach zu oft darüber nachdachte, was wohl unten auf seiner Heimatwelt geschah. Dabei hätte er seinen Aufenthalt hier doch eigentlich in vollen Zügen geniessen sollen. Was aber war mit jenen, die zurückgeblieben waren? War es wirklich die richtige Entscheidung gewesen, einfach fortzugehen? Aber sein Vater hatte seine Söhne und seine Frau unbedingt in Sicherheit wissen wollen. Michas Gedanken schweiften weiter zu Malek, Manuel und den Turner Geschwistern. Wie es ihnen wohl gerade erging? Bestimmt hatten sie mit vielen Unannehmlichkeiten zu kämpfen. Wenn sie das alles nur überlebten!
Sein Gedankenkarussell fand ein jähes Ende, als er auf einmal seitlich angerempelt wurde.
„Heh!“ rief er ärgerlich und blickte sich um.
Ein Mädchen, das etwa in seinem Alter war, rief: „Oh entschuldige! Aber ich möchte unbedingt den heutigen Feen- Tanz sehen.“ Mit diesen Worten lief es einfach weiter.
Micha folgte dem Mädchen spontan und holte es kurz darauf auch ein. Erstaunt stellte er fest, dass dieses ihm ziemlich ähnlich sah. Sein rotblondes, lockiges Haar, flatterte hinter ihm her. Seine grossen Augen in dem mit Sommersprossen gespickten, feingeschnittenen Gesicht, leuchteten wie grüner Peridot.
Während das Mädchen immer weiterlief, fragte Micha: „Du willst an einen Feen- Tanz? Von so einem Tanz weiss ich noch gar nichts.“
„Dann bist du wohl nicht so wirklich auf dem Laufenden,“ erwiderte das Mädchen ein wenig ungeduldig. „Die Sylphen führen heute einen Tanz vor. Das muss ein unglaubliches Schauspiel sein.“
„Das klingt grossartig. Ich würde dich gerne begleiten.“
„Mach was du willst! Aber wir müssen uns wirklich beeilen!“
Als die beiden, kurz darauf, zu dem grossen Fest- Areal kamen, auf dem die Vorführung stattfand, hatten die Luftgeister bereits mit ihrem Tanz begonnen.
„Oh nein!“ stöhnte das Mädchen. „Wir sind zu spät! Das darf doch nicht wahr sein! Jetzt kann ich gar nichts mehr sehen. Es sind viel zu viele Leute.“
„Tut mir sehr leid,“ meinte Micha zerknirscht.
Das Mädchen liess sich resigniert auf ein Mäuerchen fallen und meinte: „Ich bin ja selbst schuld, ich hätte einfach früher losgehen sollen.“
Micha fühlte sich sehr schuldig und überlegte fieberhaft, wie er das Problem doch noch lösen konnte. Irgendwie quälte in der Gedanke, dass dieses besondere Mädchen nun so unglücklich war.
Er blickte sich suchend um, doch es gab nirgends einen erhöhten Standpunkt, von dem aus man die Vorführung doch noch gut hätte sehen können.
Sein Blick fiel auf eine der Sylphen, welche am Rande des Festgeländes schwebte, und auf einmal kam ihm eine Idee. Er hatte schon oft beobachtet, wie die Luftgeister, mit ihren magischen Windkräften, Wolken geformt hatten. Vielleicht war das die Lösung!
Er lief zu der Sylphe und wechselte ein paar Worte mit ihr. Die anmutige Fee, blickte zu dem Mädchen herüber und nickte lächelnd. Dann hob sie ihre feingliedrigen Hände über ihren Kopf, so dass sich ihre Fingerspitzen berührten. Kurz darauf geriet die Luft um ihre Hände in Bewegung und ballte sich immer mehr zu einer watteweichen, weissen Wolke zusammen, welche nun die Form eines offenen Blütenkelches annahm. Die Sylphe winkte das rothaarige Mädchen, immer noch lächelnd, zu sich und Micha heran. Die besondere Wolke war nun zu Boden gesunken.
„Steigt auf!“ forderte die Tochter der Luft die beiden Jugendlichen auf. „Ihr bekommt heute einen Logenplatz!“
Micha grinste das gleichaltrige Mädchen triumphierend an und reichte ihm seine Hand. „Meine Dame!“ meinte er dann galant „bitte aufsteigen!“
Das Mädchen strahlte über das ganze Gesicht und folgte der Aufforderung nur zu gerne.
Die Sylphe bestieg nun ebenfalls das Wolkengefährt und dann hob sich dieses in die Lüfte empor.
„Wow! Das ist so toll!“ jubelte das Mädchen. „Von hier oben kann man alles ganz genau sehen!“ Sie warf Micha einen dankbaren Blick zu. „Das war sehr lieb von dir und dabei weiss ich noch nicht einmal deinen Namen.“
Der Junge nannte ihn dem Mädchen und dieses meinte: „Ich heisse Veronika.“
„Es freut mich sehr dich kennenzulernen Veronika!“ Die beiden reichten sich nun das erste Mal richtig die Hand, dann jedoch wurde ihre Aufmerksamkeit auch schon wieder von dem wundervollen Schauspiel, unter ihnen, in Anspruch genommen.
Der Tanz der Sylphen war wundervoll und bewegte die Jugendlichen tief im Herzen. Wie Federn schwebten die anmutigen Wesen umher, vollführten einzigartige Kunststücke und sangen wundervolle Lieder. Ihre festlichen Gewänder und ihre langen silbrigen Haare, wehten dabei im Wind.
Ihre zarten, glockenhellen Stimmen, durchdrangen den Raum, leuchtenden Wellen gleich, die sich wie Balsam auf jede Seele legten. Und… Frieden und Liebe zog dabei in die Herzen der Zuhörer ein.
Micha blickte verstohlen zu Veronika herüber. Sogleich hob sie jedoch ebenfalls ihren Kopf und ihre beiden grünen Augenpaare begegneten sich, in einem Moment vollendeter Verbundenheit.
Das Herz des Jungen, begann plötzlich heftig zu schlagen und er wandte sich schnell wieder ab.
Die Sylphe beobachtete das alles und ein leises, versonnenes Lächeln huschte dabei über ihr strahlendes Antlitz.