Alle schauten sich entgeistert und ziemlich ratlos an. Mungoluz hielt jedoch den Finger vor den Mund, um alle zur Ruhe zu ermahnen. Er wollte genau mitbekommen, was da vor sich ging.
Die Erdmutter sprach gerade: „Meine allerliebsten Kinder! Schon bald wird es so weit sein und wir werden diese Welt ganz und gar verändern. In dieser neuen Welt werdet ihr endlich den euch vorbestimmten Platz einnehmen! Ihr wart fleissig und sehr tapfer und habt es verdient, dass man euch endlich mehr Aufmerksamkeit schenkt. Ihr habt Respekt und Achtung verdient, denn ich- die grosse Erdmutter, habe euch auserwählt! Ihr habt mir stets gut gedient und dafür sollt ihr reich belohnt werden!“
„Aber wie lange müssen wir noch darauf warten, oh Mutter?“ fragte einer der Gnome, behielt jedoch seine unterwürfige Haltung weiterhin bei. „Gerade vor kurzem wurden wir von den Gnomen aus den anderen Vierteln bedroht. Sie lassen uns einfach nicht in Ruhe. Wann können wir denn endlich in den Zentralsektor einmarschieren?“
Die vermeintliche Erdmutter machte eine salbungsvolle, beschwichtigende Geste und sprach: „Schon bald, schon sehr bald. Morgen Nachmittag um die dritte Stunde, werden wir alle unsere Anhänger im grossen, nördlichen Tal versammeln und dann das weitere Vorgehen besprechen. Ich werde natürlich da sein und euch mit meiner Präsenz stärken. Habt nur weiterhin Vertrauen in meine Weisheit. Ich werde mich bald wieder melden.“
Mit diesen Worten verschwand die vermeintliche Erdmutter wieder. Mungoluz und seine Getreuen schauten sich entsetzt an. Sie wollten nicht glauben, was sie da gehört hatten. Die Erdmutter selbst, stachelte die Nordoks also dazu an, ins Zentralviertel einzumarschieren? Und nicht nur das, sie bezeichnete diese auch noch als ihr auserwähltes Volk? Aber wie konnte so etwas bloss sein? Die Erdmutter war doch sonst stets gütig und voller Liebe. Was für einen Grund hätte sie gehabt, einen Teil des Gnomen Volkes vorzuziehen und wozu hätte sie den Konflikt im Erdreich noch mehr schüren sollen, da es doch so wichtig war, das Gleichgewicht zu erhalten? Nein! Da stimmte etwas ganz und gar nicht!
Die dunkelgekleideten Gnome hatten sich nur wieder zerstreut und Mungoluz flüsterte an seine Leute gewandt: „Das klingt gar nicht gut. Wir müssen dieses Tal unbedingt finden und wir müssen ausserdem die Leute im Zentralsektor warnen.“ Er wählte zwei seiner Getreuen aus und wies diese an, sofort zu ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren und alle dort darüber zu informieren, was die Nordoks in Kürze geplant hatten. Die beiden Boten nickten und liefen dann im Laufschritt in die anderer Richtung davon.
„Aber…“ fragten einige, die zurückgeblieben waren „wenn das jetzt wirklich die Erdmutter gewesen ist? Was für einen Grund könnte es geben, dass wir bei ihr so in Ungnade gefallen sind?“
„Das war nicht die Erdmutter,“ sprach Mungoluz überzeugt. „Ich kenne sie. So etwas würde sie niemals sagen.“
„Ja, ich glaube auch nicht, dass sie es war,“ kam ihm nun auch Morcheluz zu Hilfe. „Ich habe die Erdmutter zwar noch nie gesehen, aber von ihr gehört und ich glaube nicht, dass sie so etwas tun würde. Schliesslich ist sie voller Liebe, allen Erdgeistern gegenüber. Aus dieser Liebe ist niemand ausgenommen, da bin ich sicher.“
Mungoluz nickte dem jüngeren, hageren Gnom wohlwollend zu und legte ihm kurz die Hand auf die Schulter.
Dass einige seiner Leute überhaupt annahmen, dass diese… Kreatur vielleicht doch die Erdmutter sein könnte, beunruhigte ihn zutiefst. So sprach er: „Hier ist etwas ganz Finsteres im Gange. Wir dürfen uns nicht von solchen Erscheinungen blenden lassen, denn die Ränke des Bösen können mannigfaltig sein. Gehen wir weiter und finden wir endlich dieses vermaledeite Tal! Vermutlich werden auch Lumniuz und die Turners dort gefangen gehalten!“
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Nach dem sogenannten Gottesdienst, verschwand die vermeintliche Erdmutter wieder und Bruder Tag meinte an Pia, Benjamin und Lumniuz gewandt: „Versteht ihr nun besser, warum wir tun, was wir tun?“
Ben erwiderte mutig und ziemlich verärgert: „Nein, ich für meinen Teil verstehe überhaupt nichts. Pia und ich kennen die Erdmutter persönlich und sie würde niemals so herrisch zu uns sprechen. Was für ein falsches Spiel spielt ihr… Bruder… was auch immer, da?“
Bruder Tag setzte erneut seine unschuldigste Miene auf und sprach: „Ich habe keine Ahnung, was ihr damit meint.“
„Ach kommt!“ kam nun auch Pia ihrem Bruder zur Hilfe. „Das alles ist doch eine reine Farce! Glaubt ihr wirklich, wir fallen darauf herein? Glaubt ihr, wir lassen uns für dumm verkaufen!?“
„Ich bin ganz ihrer Meinung,“ stimmte Lumniuz den Geschwistern mit finsterer Miene zu. „Es kann niemals richtig sein, einen Bürgerkrieg zwischen den Gnomen zu befeuern, auch kann es nicht sein, dass die Erdmutter irgendwelche Gnome bevorzugt und sie sogar als ihr auserwähltes Volk bezeichnet.“
Er wandte sich nun an der Ninja Gnom, der sie bewachte: „Seht ihr denn nicht, dass das alles falsch ist, Arbaniuz? Seht ihr nicht, dass ihr da in eine ganz übles Spiel verwickelt worden seid? Bestimmt haben die Gnome der anderen Viertel euch unrecht getan, sich zu wenig um eure Probleme gekümmert. Aber bitte… lasst uns gemeinsam eine Lösung finden! Gebt mir und all den anderen Gnomen, die schuldig an euch geworden sind, die Chance unsere Fehler wieder gut zu machen. Wendet euch ab von diesen falschen Anführern… dieser falschen Erdmutter! Ich flehe euch an! Das Schicksal des ganzen Omniversums hängt davon ab! Erinnert euch daran was eure wahre Bestimmung ist! Wir alle sind Erdgeister, es ist von immenser Bedeutung, dass wir das Element Erde im Gleichgewicht halten!“
Und tatsächlich machte es einen kurzen Moment lang den Anschein, als würde ein unsicheres Flackern in den Augen von Arbaniuz erscheinen. Doch Bruder Tag ging sogleich dazwischen. „Es reicht!“ rief er mit zorniger Stimme. „Mein Bruder und ich waren es, die den Nordok Gnomen neue Hoffnung gaben. Wir haben sie ausgebildet, ihnen alles geschenkt, was ihnen seit jeher verwehrt worden ist. Die Gnade er Erdmutter liegt auf ihnen und auf uns. Also hört auf euer Gift zu verspritzen! Ihr seid doch nur neidisch, weil ihr auf der ganzen Linie versagt habt! Meine Geduld ist am Ende. Ich habe es im Guten versucht, doch ihr seid blind und taub für die Wahrheit! Ab jetzt, werde ich andere Saiten aufziehen! Arbaniuz, bring diese Abtrünnigen zurück in die Höhle! Mein Bruder und ich werden Morgen Gericht über sie halten!“
Der schwarzgekleidete Gnom, zögerte erneut einen kurzen Moment, dann jedoch tat er wie ihm geheissen.
Den drei Freunden war klar, dass es für sie hier nun immer gefährlicher wurde. Sie mussten handeln, bevor sie wieder festgekettet wurden. So wechselten sie ein paar vielsagende Blicke.
Als sie dann bereits ein Stück des Rückweges zurückgelegt hatten, rief Benjamin auf einmal: „Jetzt!“ Gleich darauf, rempelte er ihren Bewacher mit aller Kraft an, so dass dieser zu Boden ging.
„Wir müssen uns verteilen! Irgendwo muss es einen Ausweg geben!“ rief der blonde Mann und packte das Schwert von Arbaniuz. Dies war mit seinen gefesselten Händen gar nicht so einfach. Doch er schaffte es schliesslich.
„Ich versuche Solaria zu befreien!“ rief Pia. „Sie könnte uns helfen!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, lief sie herüber zum weissen Zelt, das ja gerade leer war. Lumniuz und Benjamin suchten in verschiedenen Richtungen nach einem Ausweg aus dem Tal.
Als Pias Bruder kurz nach oben blickte, nahm er dort auf einmal ein seltsames, magisches Flackern wahr! Einige blaue Blitze entstanden, von denen es schien, als würden sie dem Gerüst einer kuppelartigen Konstruktion entlanglaufen. Die Blitze wurden immer zahlreicher, ein kleiner Gewittersturm schien urplötzlich über dem Tal zu wüten. Und in diesem Moment sah Benjamin, dass sich tatsächlich eine magische Kuppel über alles breitete. Er nahm diese als ein lilafarbenes Leuchten wahr, welches nun jedoch durch die zahlreichen Blitze immer mehr Löcher bekam und sich mehr und mehr aufzulösen begann.
Noch während das geschah, schrie Lumniuz von irgendwoher: „Da ist ein Durchgang entstanden! Schau!“ Benjamin fuhr herum und starrte ungläubig in die Richtung, aus der die Rufe seines Freundes kamen. Tatsächlich hatte sich durch das allmähliche Auflösen der magischen Kuppel auch der Rest der Umgebung merklich verändert. Was nur geschah hier...?