Der Erden- Greif
Schliesslich machten sich die Freunde wieder auf den Weg. Nach einige Zeit stieg der Pfad ziemlich steil an und Malek fragte an Sebius gewandt: „Geht es mit dem Baby? Wir können uns sonst auch beim Tragen abwechseln.“
Der Zwerg erwiderte: „Das ist sehr nett von dir. Vielleicht später. Gerade geht es noch gut.“
„Aber wenn es doch zu anstrengend werden sollte, melde dich. Okay?“ „Okay!“
„So wie es aussieht ist die Kleine jetzt sowieso eingeschlafen,“ meinte Pia und blickte verzückt auf das schlafende Baby in Sebius Armen. „Sie ist einfach so bezaubernd!“
„Ja, das ist sie.“
Die junge Frau spürte auf einmal einen schmerzhaften Stich im Herzen. Auch für sie wurde es eigentlich höchste Zeit, dass sie Kinder bekam. Denn irgendwann würde sie dafür vielleicht zu alt sein. Sie dachte an ihren Liebsten Hungoloz und er fehlte ihr auf einmal wieder schrecklich. Wie würde es mit ihnen beiden weitergehen? Wie lange würde es dauern, bis Pia ihren Auftrag, im Dienste des Omniversums, endlich vollends erfüllt hatte? Was würde aus all den Welten werden? Es konnte noch endlos lange dauern, bis sie sich, zusammen mit Hungoloz, endlich zur Ruhe setzen konnte. Es konnte sich noch so vieles verändern und man wusste nie, was noch auf sie alle zukam…
Sie wurde aus ihrem düsteren Brüten gerissen, als Sebius rief: „Ich glaube, wir sind gleich da! Das Gelände flacht hier wieder etwas ab und auch sonst scheint mir die Umgebung geeignet für einen Greifen zu sein.“
Sie blickten sich alle gespannt um. Die Vegetation hier oben war sehr spärlich. Es gab nur noch etwas trockenes Gras und einige kleine, verwitterte Büsche. Überall lagen grosse Felsbrocken und Findlinge herum. „Da drüben, schaut!“ flüsterte Benjamin. „Da ist etwas!“
Alle folgten seinem Finger, der auf einen der grösseren Felsbrocken deutete. Ein kleiner, energetischer Sturm schien dahinter niederzugehen. „Da muss er sein!“ erwiderte Pia „denn sonst ist der Himmel überall klar.“ Ihre Herzen klopften auf einmal wie wild und eine plötzliche Furcht ergriff sie.
„Wir sollten uns ihm ganz vorsichtig nähern,“ ermahnte sie Malek. „Bleib du etwas hinter uns zurück Sebius! Nicht das dir oder der Kleinen noch etwas passiert.“
Der Zwerg nickte und blieb in sicherem Abstand zu dem mächtigen Findling stehen.
Die andern drei gingen mutig weiter. Bevor sie jedoch um den Felsblock, über dem das energetische Gewitter tobte, herumgingen, zögerten sie erneut. Benjamin verlor als Erster die Geduld und so war auch er der Erste, der den mächtigen Greif zu Gesicht bekam!
Dessen Erscheinung war jedoch so kraftvoll, dass der blonde Mann im ersten Augenblick fürchtete, davon zurückgeschleudert zu werden. Das Mischwesen sass einfach nur so da, auf einem bunten Bett der unterschiedlichsten Blumen, ruhend.
Sein mit funkelnden, goldenen Adlerfedern geschmückter Adlerkopf, mit dem scharfen, gebogenen Schnabel sass auf einem muskulösen, langen Hals. Von der Brust abwärts, hatte er einen goldbraunem Löwenkörper, mit riesigen, klauenbewehrten Tatzen.
Als er die drei Freunde erblickte, fegte sein langer Schweif über die Erde hinter ihm und wirbelte dabei eine Staubwolke auf. Seine scharfen, goldenen Adleraugen blickten durchdringend und die Freunde hatten irgendwie das Gefühl, als würden sie mitten in die tiefsten Winkel ihrer Seelen blicken. Der Greif war so gross wie ein mittleres Flugzeug. Seine aus goldenen Federn bestehenden Schwingen, lagen gerade dicht an seinem kräftigen Körper. Ihre Spannweite musste jedoch beachtlich sein.
Pia fasste sich als Erste wieder und sprach nun mit ehrfürchtig klingender Stimme, an das gewaltige Mischwesen gewandt: „Verzeih, dass wir deine Ruhe stören, oh mächtiger Greif! Wir kommen in Frieden und mit den besten Gedanken zu dir. Wie du vermutlich schon weisst, ist das Omniversum in grosser Gefahr und wir sind da um deine Hilfe zu erflehen.“
Der Greif schwieg eine Weile und musterte die Besucher erneut eingehend, dabei drehte er seinen mächtigen Kopf hin und her. Schliesslich sprach er mit einer gewaltigen, dröhnenden Stimme, welche den vieren durch Mark und Bein ging: „Dass dem Omniversum grosse Gefahr droht, weiss ich in der Tat. Warum jedoch, sollten eure Anliegen wichtiger sein, als jene anderer Lebewesen?“
Diese Frage verunsicherte Pia einen Moment lang, dann erwiderte sie jedoch mit fester Stimme: „Weil es unsere Aufgabe ist, das Omniversum in ein neues Zeitalter zu führen. Dazu gehört auch alles in unserer Macht Stehende zu tun, um die drei verderbten Ritter, die seit einiger Zeit in vielen Welten ihr Unwesen treiben, zu stoppen. Ausserdem leidet das Volk der Zwerge…“ sie deutete auf Sebius „gerade schreckliche Not. Ein fürchterlicher Kult, hat sich unter den hier eingewanderten Riesen breit gemacht. Dessen einziges Trachten es ist, das Zwergenvolk auszurotten. Das können wir keinesfalls zulassen und wir glauben auch, dass du das nicht zulassen kannst. Immerhin bist du ein gottgleiches Wesen, das dem grossen Schöpfergeist sehr nahesteht und das enorme Macht besitzt. Ich kann nicht glauben, dass dir die Geschöpfe des Omniversums nicht am Herzen liegen.“
„Selbstverständlich liegen sie mir am Herzen!“ erwiderte der Greif mit donnernder Stimme.
„Also gut, dann hilf uns doch bitte! Wir wollen dem Zwergenvolk beistehen und zugleich sind wir auf der Suche nach einem ganz besonderen Schlüssel. Nur mit diesem Schlüssel können wir verhindern, dass die bösen Reiter den finsteren Geist Obislav, der im Schwarzen Obelisken lebt, für ihre Zwecke einspannen.“
Der Greif musterte die Frau ein wenig herablassend. „Das ist aber auch nur nötig, weil ihr euch das Medaillon der vier Gewalten von diesen Rittern habt stehlen lassen.“
Pia spürte erneut einen schmerzhaften Stich im Herzen, als der Greif das sagte und wieder fühlte sie sich schrecklich schuldig. Tränen traten in ihre Augen und sie senkte mit einem leichten Nicken den Kopf. „Ja… dem kann ich wohl nicht widersprechen. Es… tut mir leid.“ Ihre Kehle war auf einmal, wie zugeschnürt und sie wusste nicht mehr was sagen. Das Gespräch mit dem Greif gestaltete sich schwieriger, als sie gehofft hatte.
Ben trat nun vor, legte seinen Arm beschützend um Pias Schulter und ergriff das Wort: „Eigentlich solltest du als so weises, hohes Wesen verstehen, dass wir keine Chance gegen diese Scheusale hatten. Damals wurden wir vom plötzlichen Auftauchen des fahlen Ritters überrascht und wir besassen auch noch keinerlei Waffen, die gegen ihn etwas hätten ausrichten können. Nun sieht das jedoch etwas anders aus und wir haben schon einige Erfolge, im Kampf gegen die Ritter, verzeichnen können. Aber das solltest du doch eigentlich wissen,“ fügte er dann etwas vorwurfsvoll hinzu. „Auch solltest du uns doch kennen. Denn wir sind schon seit Jahren keine Unbekannten mehr im Omniversum. Unsere Namen sind Pia und Benjamin Turner und wir werden als die Grossen Führer bezeichnet. Natürlich fehlt es uns in vielem noch an Weisheit und Wissen. Doch man riet uns, stets auf unsere Herzen zu hören und das tun wir auch. Das mit dem Medaillon ist zwar unglücklich gelaufen, aber wir sollten jetzt doch eigentlich das Beste daraus machen, nicht wahr?“