„Dieser Ort hat etwas Magisches an sich,“ sprach der blonde Mann, während er den Wasservögeln einige Brocken Brot zuwarf. „Manchmal sitze ich einfach nur so da und beobachte, was sich um mich herum abspielt. Wusstest du, dass eine kindliche Nymphe dieses Gewässer bewohnt?“
„Eine kindliche Nymphe?“ fragte Sara erstaunt. „Ja. Sie ist noch ziemlich klein und findet sogar auf dem Rücken der Schwäne Platz.“
„Sie reitet auf den Schwänen?“
„Ja, manchmal schon. Es ist ein wahrhaft wundervoller Anblick. Kannst du solche Dinge denn nicht sehen?“
Sara erwiderte: „Eigentlich nur ganz selten.“
„Vielleicht schaust du nur zu wenig genau hin,“ lächelte Benjamin. „Dort hinten bei der kleinen Wasserfontäne z.B. spielen gerade einige Wasserfeen. Sie sind winzig klein, fast durchsichtig. Siehst du sie?“
Anfangs sah die junge Frau nichts, doch dann rief sie auf einmal: „Ja, du hast recht! Jetzt kann ich sie auch sehen. Sie sind wirklich süss!“ Glücklich lachte sie auf.
„Ja, das stimmt,“ erwiderte Ben. „Schön, dass du sie auch siehst.“ Er schaute Sara mit einem Blick voller Zuneigung an und diese wurde erneut ganz verlegen.
Noch eine ganze Weile verharrten die beiden, auf der Bank sitzend, an dem idyllischen Teich. Die kindliche Nymphe liess sich allerdings diesmal nicht blicken. Das Schwanenpaar erwies sich jedoch als so zutraulich, dass es sogar aus dem Wasser stieg und sich sogar von ihnen streicheln liessen.
Sara war tief bewegt und sprach: „Du kannst wirklich sehr gut mit Tieren umgehen Ben.“
„Dieses Kompliment kann ich nur zurückgeben,“ lächelte der blonde Mann. „Tiere spüren es, wenn man ihnen gut gesinnt ist. Nur mit Liebe, Freundlichkeit und Respekt, kann man ihr Vertrauen gewinnen, denn eigentlich sind sie und wir verwandt. So wie alle Kreaturen der Schöpfung, in gewisser Weise, verwandt sind. Leider haben das viele, vor allem die Zweibeiner, jedoch vergessen. Sie haben verlernt im Einklang mit der Schöpfung zu leben. Die Kluft zwischen ihnen und den anderen Rassen und Wesen wurde immer grösser und mit der Zeit ging dadurch das Gleichgewicht im Omniversum verloren. Allerdings denke ich, dass es wieder besser wird, wenn erst einmal die schwierigste Phase der Umwälzungen in der Welt vorüber ist.“
Sara wurde nachdenklich. „Meinst du, dass noch viele schlimme Dinge auf uns zukommen werden?“
„Es wird sicher nicht ganz einfach werden, aber solange wir auf das göttliche Licht vertrauen, einander gegenseitig Liebe schenken und helfen, wo wir können, dann werden wir das bewältigen.“
„Ein wenig Angst macht mir das Ganze schon,“ gab Sara zu. „Denn… viele Bezugspersonen gibt es in meinem Leben nicht mehr, seit meine Eltern gestorben sind. Ich habe… nur noch Magdalena und sonst niemanden.“
„Das stimmt nicht ganz,“ meinte Ben „du hast z.B. auch mich.“
„Aber das ist… nicht dasselbe. Du… hast ganz andere Aufgaben als ich und wirst schon sehr bald wieder fortgehen.“
„Das heisst aber nicht, dass ich nicht auch für dich da sein kann.“ Sara lächelte etwas verlegen und meinte dann: „Ich mache mir da nicht wirklich Illusionen.“
„Was meinst du damit?“ fragte Ben und irgendwie kam es der Frau vor, als ob er verletzt wäre.
„Nun ja…, du und ich… zwischen uns liegen nun mal Welten. Ich gebe mich deshalb nicht der Illusion hin, dass du dir wirklich ernsthaft Zeit für mich nehmen kannst oder willst.“
Benjamins Gesicht wurde immer länger und auf einmal fühlte sich Sara schuldig. Wie konnte sie diesen wundervollen Mann nur so vor den Kopf stossen? Aber sie war nun mal eine Realistin und ein Ende mit Schrecken, war besser als ein Schrecken ohne Ende. Wenn sie sich zu tief mit einem der Grossen Führer einliess, konnte sie nur verlieren, denn sie würde immer nur an zweiter Stelle stehen. An erster Stelle stand immer seine Mission. Ausserdem stammten sie und Benjamin aus ganz anderen Gesellschaftsschichten und auch aus ganz anderen Welten. Dennoch wollte sie nicht, dass der liebenswerte Mann böse auf sie war und sprach: „Es tut mir leid, ich… wollte dich nicht verletzen. Ich… sehe das nur einfach realistisch.“
Ben wirkte auf einmal ärgerlich und erwiderte: „Du redest Unsinn. Ich mag dich wirklich sehr und… ich meine das was ich sage auch ernst.“
Saras Herz klopfte auf einmal heftig gegen ihre Brust. Hatte ihr Benjamin gerade seine Liebe gestanden? Aber… konnte das wirklich sein? Vielleicht spielte er ja auch nur ein Spiel mit ihr. Obwohl… der blonde Mann wirkte eigentlich nicht so, als würde er derlei Spiele spielen…
Dennoch war sie gerade etwas überfordert mit der ganzen Situation. So erhob sie sich beinahe etwas zu ruckartig und meinte: „Ich… glaube, wir sollten jetzt wieder zurück. Humbold wartet bestimmt schon auf mich.“ Schnellen Schrittes, schickte sie sich dann an, Richtung Schloss davonzulaufen.
Silberstern
„Jetzt warte doch mal!“ rief Benjamin und hielt die junge Frau am Arm zurück. „Die werden schon noch etwas länger ohne dich auskommen. Eigentlich wollte ich mit dir noch zu den Stallungen rüber, um auch den Pferden noch etwas Brot zu bringen. Was meinst du?“
Sara zögerte einen Moment, dann erwiderte sie: „Also gut, aber nur noch ganz kurz. Ich wollte eigentlich sowieso mal wieder das Pferd meiner Tante besuchen. Er heisst Silberstern und ist wunderschön. Lord Malek hat ihr dieses Tier einst geschenkt, um seine früheren Verfehlungen wieder gut zu machen. Ich liebe Pferde sehr und reite auch öfters mit Silberstern aus, wenn ich Feierabend oder frei habe.“
„Oh, dieses Pferd würde ich gerne mal kennenlernen. Ich liebe Pferde wirklich sehr.“
„Ich auch!“ freute sich Sara und ihre Wangen bekamen dabei einen rosigen Schimmer.
Benjamin der erleichtert war, dass Sara sich nochmals hatte ablenken lassen, folgte jener zu den königlichen Stallungen herüber. Diese beherbergten etwa ein Duzend Pferde, aller Art.
Die meisten davon gehörten der Königsfamilie, doch einige waren auch das Eigentum der Angestellten. Malek hatte allen Verbannten, nach deren Rückkehr in ihre Heimat, einen Wunsch erfüllt und einige von ihnen wünschten sich, wie Magdalena, ein Pferd. Diese Tiere waren im Juwelenreich ja auch noch immer das Hauptfortbewegungsmittel. Einige von ihnen zogen auch Kutschen oder man spannte sie vor den Pflug.
Pferde wurden besonders hoch geschätzt, weil sie so klug, gütig und vielseitig einsetzbar waren.
Die Legende besagte, dass diese Tiere eigentlich Nachkommen der Einhörner waren, die sich einst dazu entschlossen hatten, sich mit den humanoiden Völkern anzufreunden und ihnen beizustehen.
Es gab auch heute noch Einhörner in dieser Welt. Doch man bekam sie nur ganz selten zu Gesicht. Meistens offenbarten sie sich den Unschuldigen, vor allem den Kindern, aber manchmal auch den Erwachsenen, die reinen Herzens waren. Ab und zu erschien eins dieser magischen Wesen auch um jemandem, der seinen Weg nicht recht finden konnte, dabei zu helfen, diesen zu finden und wieder ohne Furcht entlangzugehen. Jeder, der einst ein Einhorn gesehen hatte, wurde zu einem anderen Menschen. Die Lebensfreude kam zurück und eine neue Sicherheit kehrte in sein Herz und seine Seele ein. Einhörner hinterliessen in jedem, der das Glück hatte sie zu erblickten, ein Brandmahl reinster Liebe, das dann nie wieder verschwand.
Es war nun jedoch schon ewig her, seit sich das letzte dieser herrlichen Wesen, mit dem magischen Horn auf der Stirn, einem Menschen offenbart hatte. So blieb den Zweibeinern nichts anderes übrig, als sich nach jener Zeit zurückzusehnen, in der das noch anders gewesen war.
Im Laufe der Jahrhunderte, waren die Pferde dann zu einem Art Ersatz für die wundervollen Einhörner geworden. Denn auf ihrem Rücken konnte man noch einen kleinen Teil jenes Friedens, jener Vollkommenheit fühlen, die man einst in der Gegenwart der Einhörner hatte empfinden können.
„Wenn ich jeweils bei Silberstern bin,“ sprach Sara verträumt an Benjamin gewandt „dann fühle ich mich sogleich viel glücklicher. „Er hat auf mich so eine beruhigende, friedvolle Wirkung. Darum besuche ich ihn immer, wenn ich traurig bin.“
„Das kann ich gut nachvollziehen,“ erwiderte der junge Mann „mir geht es in Gegenwart dieser Tiere ganz ähnlich. Silberstern ist übrigens ein sehr schöner Name.“
„Wir haben ihn einst so genannt, weil er wirklich einen sternförmigen, hellgrauen Fleck auf der Stirn trägt. Das ist sehr aussergewöhnlich, bei einem rein weissen Schimmel- Hengst wie ihm.“
„Ich glaube, ich weiss jetzt, von welchem Pferd du redest. Ich habe Silberstern auch schon mal gesehen. Ein wahres Prachtstier! Ich glaube, keiner der Schimmel hier, besitzt so ein strahlend weisses Fell, wie er.“
„Ja, Silberstern ist wirklich aussergewöhnlich,“ schwärmte Sara. „Nicht nur von seinem Aussehen her, sondern auch von seinem Wesen. Er ist erstaunlich sanft und sehr klug. Sonst sind Hengste ja oftmals eher wild und unberechenbar.“
„Er muss wirklich etwas ganz Besonderes sein,“ pflichtete ihr Benjamin bei. „Allerdings. Mir kommt es manchmal sogar so vor, als würde Silberstern allen Menschen direkt ins Herz blicken. Wenn er jemanden nicht mag, kann er ziemlich bockig werden.“
„Ohjeh! Ich hoffe, das wird bei mir nicht der Fall sein.“
„Aber nein! Er mag dich bestimmt. Komm! Da drüben ist seine Box!“