Der Kampf war hart, doch da Obislav bereits ziemlich geschwächt war, schaffte es Pia schliesslich, ihn zu überwältigen. Sie drückte die böse Kreatur mit ihrem ganzen Gewicht zu Boden und hielt ihr den weissen Diamantdolch an die Kehle.
Obislav röchelte und flehte um Gnade. „Bitte, bitte tut mir nichts! Ich verspreche, ich werde euer ergebener Diener sein und mich abwenden von meinen finsteren Pfaden. Bitte, bitte, ich kann so viel für euch tun! Vertraut dem guten Obislav!“
Pia blickte die Kreatur angewidert an, zögerte jedoch etwas zu lange, bis sie dieser den Todesstoss versetzte.
Und dann… wurde sie erneut von einer gewaltigen Energiewelle nach hinten geschleudert! Der Herr der Finsternis hatte sich nicht weiter durch Benjamin und Lumenia ablenken lassen und tat nun alles, um den dunklen Geist des Obelisken zu schützen.
Pia schlug, einige Meter weit entfernt, hart auf den Boden auf. Stöhnend rappelte sie sich wieder auf und sah, dass auch Benjamin und sogar Lumenia am Boden lagen. Sie rührten sich beide nicht. „Nein!“ schrie sie und wollte sich zornig auf den Herrn der Finsternis stürzen.
Doch auf einmal, begann das ganze, dunkle Gebirge, um sie herum zu ächzen und zu stöhnen. Der Boden unter Pia wankte und begann Wellen zu schlagen. Sie konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten.
Der böse Herrscher hatte seine Arme erhoben und machte sich daran, das Gebirge über ihr und den anderen zum Einsturz zu bringen. Risse entstanden im Boden und die ersten Felsbrocken krachten auf die Frau und ihre Helfer herab.
Obislav kicherte und suchte Schutz hinter den behuften Beinen des Herrn der Finsternis. „Es wird Zeit, dass ich euch endlich ein Ende setze!“ dröhnte dessen gewaltige, schreckliche Stimme, über das Getöse der einstürzenden Felswände hinweg.
Doch Pia hatte nur noch eins im Sinn: Sie wollte zu ihrem Bruder. So versuchte sie den Felsen und den Rissen in der Erde so gut als möglich auszuweichen und liess sich schliesslich neben Benjamin zu Boden fallen. „Wir brauchen den Stab der Sternenfeen!“ schrie sie.
Doch noch bevor sie diesen überhaupt aus dem Beutel ziehen konnte, wurde ihr selbiger durch die Macht des Gehörnten entrissen. Mit einem teuflischen Lachen, rief dieser: „Den werdet ihr nun nicht mehr brauchen! Habt ihr wirklich geglaubt, ihr habt eine reale Chance gegen mich? Euer Schicksal war schon, von Anbeginn her, besiegelt!“
„Nein!“ schrie Pia und warf sich schützend über ihren Bruder, der bewusstlos geworden war. Immer mehr Felsen und Steinbrocken fielen herab, trafen die Frau an Kopf und Rücken. Auch wenn sie das Gewand der Klarheit weiterhin schützte, spürte sie die Schläge und sie wusste nicht, wie lange sie dem noch würde standhalten können. Tiefe Resignation ergriff sie.
„Bitte!“ schrie sie zum Himmel empor „Grosser, göttlicher Liebegeist hilf uns! Hilf uns!“
Der Ritter des Lichts
Und dann… auf einmal, wurde es ihr seltsam warm ums Herz. Alles schien plötzlich nur noch in Zeitlupe abzulaufen. Sie sah die Felsbrocken zwar herabstürzen, doch seltsamerweise erreichten diese die Frau und ihren Bruder nicht mehr. Ein goldenes, warmes Licht, breitete sich um und über ihnen aus. Wie ein warmer Mantel hüllte es sie ein. War sie womöglich schon gestorben, fühlte sich Sterben so an?
Nein! Sie war nicht tot. Erstaunt hob sie ihren Blick. Auch Benjamin wachte zum Glück wieder auf und in seinen weit aufgerissenen Augen, spiegelte sich nun ebenfalls das goldene, tröstende Licht.
Auch der Herr der Finsternis und Obislav sahen es und auf einmal spiegelte sich schreckliche Furcht in ihren Augen.
„Es ist genug!“ vernahmen die Geschwister nun eine milde, liebevolle Stimme. Zuerst erkannten sie nicht, woher sie kam. Doch dann erschien auf einmal eine strahlendweisse Lichtsäule und… aus dieser Lichtsäule trat eine leuchtende Gestalt. Sie nahm immer mehr Konturen an und schliesslich erschien vor ihnen ein herrlicher, weissgewandeter Ritter.
Auf seinem Wams schillerte die Applikation eines Grals, in allen Regenbogenfarben. Der Ritter trug einen weissen Umhang, der mit goldenen, flügelförmigen Fibeln an seinen Schultern befestigt war. Auf seinem Kopf prangte ein Helm ohne Visier. Alles, sogar das edle Zaumzeug seines strahlendweissen Reittieres, war mit silbernen und goldenen Beschlägen und Stickereien verziert.
Das Antlitz des Ritters war ebenmässig und erfüllt von Liebe und Sanftheit. Er hatte so gar nichts mit den anderen Rittern gemein, mit denen es die Geschwister bisher zu tun bekommen hatten.
Das wellige Haar des Mannes hier, war schulterlang und goldbraun und seine Augen leuchteten im reinsten Blau, einem Blau, dass die Geschwister noch nie zuvor gesehen hatten.
Tiefe Glückseligkeit und innerer Frieden erfasste sie, als sie die wundersame Gestalt erblickten und sie konnten nicht anders als auf die Knie zu fallen und sich aus tiefstem Herzen beim göttlichen Liebeslicht für die grosse Gnade zu bedanken, welche ihnen hier zuteilwurde.
Das Erscheinen dieses besonderen Ritters hatte etwas zu bedeuten. War er nicht sogar einst Manuel erschienen?
Weniger begeistert schienen der Herr der Finsternis und Obislav vom Erscheinen des strahlenden Reiters zu sein, denn sie blickten ziemlich ängstlich auf ihn. Obislav zitterte sogar förmlich vor Furcht.
Der Ritter streckte nun seine Lanze gegen die schwarze, schleimige Kreatur aus und sprach: „Deine Zeit ist gekommen, du finsterer Geist! Dein Dasein findet hier ein Ende! Du hast schon genug angerichtet! Für dich gibt es keine Hoffnung mehr, so sehr es mich auch schmerzt. Darum werde ich dich für immer in das grosse Nichts verbannen!“
„Nein, nein! Bitte tu das nicht!“ flehte Obislav und wand sich bettelnd vor dem Ritter. Doch dieser sprach: „Es ist zu spät!“
Bei diesen Worten drang ein goldener Lichtstrahl aus der Lanze des Ritters und Obislav… löste sich darin ganz einfach auf!
Der Ritter liess seine Lanze, mit einem etwas betrübten Ausdruck in den blauen Augen, wieder sinken und trieb nun sein Pferd näher an den Herrn der Finsternis heran, welcher noch immer wie erstarrt war. In seinen roten Augen erschien ein ängstlichen Flackern.
„Und nun zu dir… Abgefallener!“ sprach er und es erschien den Geschwistern, als würde nun auch der Herr der Finsternis von einem ängstlichen Zittern durchströmt werden. Dennoch hielt er dem Blick des weissen Ritters trotzig stand.
Dieser sprach traurig: „Was ist nur aus die geworden… mein Bruder?“
„Ich bin nicht dein Bruder!“ zischte der Angesprochene. „Schon lange nicht mehr.“
„Aber einst warst du es. Was nur hat dich dazu bewogen, das wundervolle, göttliche Licht gegen solche eine Finsternis zu tauschen?“
„Du weisst das ganz genau,“ erwiderte der Gehörnte kalt. „Das Licht hat mir nichts gebracht. Denn ich habe vom göttlichen Geist nie das bekommen, was ich verdient hätte. Er hat dich und all die anderen, mir schon zu Anbeginn, vorgezogen. Lange habe ich ihm treu gedient, doch ich wurde nie dafür belohnt.“
„Das war eben dein Problem, du hast immer einen Lohn erwartet. Dabei ist die Liebe des grossen, göttlichen Lichtes, doch der allergrösste Lohn.“ Unser Schöpfer hat dich stets geliebt, so wie ich dich geliebt habe.“
„Pah!“ stiess der finstere Herrscher angewidert hervor. „Ich pfeife auf eure Liebe! Liebe ist bedeutungslos. Macht und Einfluss sind es, die wirklich zählen!“
„Und genau damit liegst du falsch mein… Bruder. In der Welt der Abtrennung machte das vielleicht bisher den Anschein. Doch schlussendlich ist die ganze Schöpfung auf das Prinzip der Liebe aufgebaut. Das kannst du nicht verstehen, weil du schon lange keinen wirklichen Zugang mehr zur Liebe hast. Diese Welt der Abtrennung und auch das Schattenuniversum, welche auch grösstenteils durch dein Wirken entstanden sind, werden jedoch schon bald ihr Ende finden. Ein neues Zeitalter bricht an und du wirst all deine Macht und deinen Einfluss verlieren. Deine Zeit war schon immer begrenzt, so wie die Zeit der vergänglichen und auch der Schattenwelt begrenzt war. Es ist an der Zeit in das Alleins zurückzukehren. Mutter Gaia und auch alle anderen Welten, die noch immer an die Vergänglichkeit gebunden sind, werden befreit werden und zurückkehren in die Arme des Göttlichen.“
„Du willst also die Welten sozusagen vernichten?“
„Oh nein, nicht vernichten, sondern verwandeln. Es sind schon klare Pläne dafür geschmiedet worden. Viele Geschöpfe wurden bereits in die Himmelsstädte entrückt und nun da Obislav endlich aus dem Verkehr gezogen wurde, gibt es auch keinen Weg mehr für deinesgleichen, in höhere Welten einzufallen. Du und die anderen Kreaturen der Finsternis, werden immer weniger Einfluss auf die Geschehnissen in den Welten haben.“
„Ich glaube kaum, dass sich die drei apokalyptischen Reiter so schnell geschlagen geben. Auch sie sind schon fleissig daran, Pläne für ihren Aufstieg zu schmieden.“
„Ihre Bemühungen werden schlussendlich jedoch zerschlagen werden, genauso wie es mit deinen Bemühungen sein wird. Hier an diesem Ort, werden deine Machenschaften ein für alle Mal enden.“
„Ach was! Ich habe schon so vieles erreicht. Die Geschöpfe, besonders auf der Erde und den erdnahen Welten, werden sich selbst zerfleischen und dann, wenn sie alles verloren haben, werden sie mich schliesslich als ihren neuen Gott anerkennen!“
„Ach Bruder,“ sprach der Weisse Ritter. „Mein Herz blutet, wenn ich solche Worte aus deinem einst heiligen Munde höre. Doch ich habe schon länger befürchtet, dass du schon viel zu verstockt bist, um wieder in deine einstige Heimat zurückzukehren. Dennoch habe ich bis zum Ende darauf gehofft, dass du einst bereuen und deine Verblendung ablegen würdest.“
„Ich habe nichts zu bereuen und ich bin auch nicht verblendet. Ich sehe alles ganz klar, viel klarer als du.“
„Das kannst du dir das natürlich weiterhin einreden. Doch die Tatsache bleibt, dass du machtlos bist, dass du immer schon machtlos warst, dem gegenüber, was unser Schöpfer und seine Getreuen verkörpern. Wie gerne hätte ich deine Umkehr miterlebt. Ich hätte dich mit offenen Armen empfangen. Doch nun… ist es wohl zu spät. Wir müssen dich leider aus dem Verkehr ziehen.“
„Nein! Das werdet ihr niemals schaffen. Ich bin genauso mächtig wie du!“ brüllte der Herr der Finsternis und wollte sich auf den Weissen Ritter stürzen. Doch eiserne Fesseln drangen aus dem Boden und umschlangen den finsteren Herrn.
Mehrere Lichtgestalten mit Flügeln und Lanzen, tauchten auf einmal auf und ergriffen diesen.
„Bringt ihn weg!“ sprach der weisse Ritter. „Es wird Zeit, dass endlich ein neues Friedensreich aufgebaut wird.“
Die Lichtgestalten, befolgten die Anweisungen und packten den Herrn der Finsternis auf beiden Seien. Dieser versuchte sich weiterhin mit aller Macht zu wehren, doch es nützte nichts. Er wurde von den Wächtern abgeführt und verschwand. Das Einzige, was man noch eine Weile hörte, waren seine gellenden Verzweiflungsschreie. Dann wurde es ganz still und die Turners fielen, gleich darauf, in einen tiefen, erholsamen Schlaf…