Abschiedsschmerz
Wiedersehen mit Manuel
Leider vergingen auch die beiden kommenden Tage und Nächte, viel zu schnell und schliesslich wurde es endgültig Zeit für die Freunde aufzubrechen.
Während Lumniuz mit Malek auf dem Kutscherbock sass und sich munter mit ihm unterhielt, hatten die Geschwister hinten im Wagen, Platz genommen. Die Plane darüber, war zurückgeschlagen worden, so dass sie freie Sicht auf den vorbeiziehenden Wald hatten.
Pia jedoch, nahm alles um sich herum kaum wahr. Sie sass traurig und niedergeschlagen auf der hölzernen Bank und grübelte vor sich hin. Immer wieder reisten ihre Gedanken zu ihrem Liebsten Hungoloz zurück und eine tiefe Leere, machte sich dabei in ihrem Inneren breit. Alles kam ihr auf einmal trostlos, sinnlos und schrecklich einsam vor. Ihre Verantwortung als grosse Führerin, wurde für sie immer mehr zu einer Last. Warum nur, hatten die Hohen Geister ausgerechnet sie für diese Mission auserwählt? Dabei wünschte sich Pia im Moment doch nichts sehnlicher, als eine ganz normale Frau zu sein.
„Hätte ich doch nur nicht all diese Verpflichtungen!“ dachte sie verbittert. „Dann hätte ich bei Hungoloz bleiben können…“
„Manchmal ist es eine Last die Grossen Führer zu sein,“ erklang auf einmal Benjamins Stimme an ihrer Seite. Pia zuckte zusammen. Sie hatte ihren Bruder ganz vergessen und staunte nun darüber, dass er ihre Gedanken scheinbar aufgenommen hatte. „Woher… weisst du, worüber ich gerade nachgedacht habe?“ fragte sie erstaunt.
„Das war nicht so schwierig herauszufinden,“ entgegnete Ben verständnisvoll. „Ich habe dich sehr genau beobachtet und es ist ganz natürlich, dass du dich nach Hungoloz sehnst. Unter solchen Umständen, stellt man seine Berufung schon mal in Frage.“
„Aber… es tut so weh! Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist!“ „Es ist wohl einfach Liebe. Tiefe, innige Liebe, die dich und Hungoloz verbindet.“
„Das stimmt, ich kann gerade an nichts anderes mehr denken. Es macht mich ganz verrückt! Ich will bei ihm sein und würde am liebsten alles hinschmeissen.“
Benjamin schaute sie ernst und mitfühlend an.
„Aber du weisst auch, dass dies nicht möglich ist. Du kannst dich deiner Bestimmung nun mal nicht entziehen.“
„Aber ist das alles auch wirklich meine Bestimmung?“ rief Pia verzweifelt. „Würde ich nicht viel mehr an Hungoloz‘ Seite gehören?“
Benjamin lachte: „Ach Schwesterlein! Du weisst doch ganz genau, dass wir nicht einfach alles hinschmeissen können! Der Auftrag, den wir vom Grossen Geist erhalten haben, ist um so vieles grösser als wir! So viel grösser, als unsere eigenen Leben. Es gibt einen Grund, warum wir zu den Grossen Führern wurden. Auch wenn wir es nicht immer verstehen! Wir dürfen jetzt nicht aufgeben und müssen darauf vertrauen, dass sich alles so entwickelt, wie es sein soll. Natürlich haben wir manchmal unsere Ängste und Zweifel, das ist ganz natürlich. Aber wichtig ist doch, dass wir uns unserer Aufgabe stets bewusst sind.“
Pia starrte nachdenklich vor sich hin, dann sprach sie hilflos: „Ich weiss gerade nicht mehr, was wirklich meine Aufgabe ist.“
„Natürlich weisst du das!“ Benjamin legte liebevoll den Arm um seine Schwester. „Sonst wärst du doch nicht mit uns gekommen, sondern gleich im Wald geblieben.“
„Vielleicht hätte ich das ja tun sollen. Ich bin mir da auf einmal nicht mehr so sicher.“ Pias Stimme klang verbittert. „Ach was! Du bist dir doch vollkommen im Klaren, dass die Rettung und Heilung des Omniversums, an erster Stelle steht! Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du es bereuen würdest, wenn du deine Mission einfach aufgeben würdest. Dafür ist deine Liebe zu allen Geschöpfen zu gross.“
Pia knabberte gedankenverloren an ihren Nägeln, während sie über Benjamins Worte nachdachte.
Dann sprach sie schliesslich, mit der Andeutung eines Lächelns, auf ihrem Gesicht: „Ja, vermutlich hast du recht.“
Benjamin rief: „Gut, so gefällst du mir schon besser!“
„Du musst mich für sehr egoistisch halten.“
„Aber nein! Du bist einfach unsterblich verliebt, mir ginge es in deiner Situation wohl ähnlich. Zweifel gehören wohl einfach zu unserem Weg. Es ist schliesslich nicht das erste Mal, dass sie uns quälen.“
„Das stimmt,“ meinte Pia und irgendwie wurde es ihr wieder leichter ums Herz.
„Du wirst deine Zweifel auch diesmal überwinden,“ meinte Ben überzeugt. „Wir können noch so viel Wunderbares bewirkten. Stell dir nur vor, was wir nur schon im Waldreich alles erreicht haben!“
„Das stimmt!“ Die blonde Frau lachte nun gelöst auf. „Und wir können wirklich stolz auf uns sein!“
„Richtig!“
„Ich bin sehr froh, dass du mein Bruder bist!“
„Ich bin sehr gerne dein Bruder!“ lächelte Benjamin. „Nun hören wir aber auf Trübsal zu blasen und freuen uns auf unser Wiedersehen mit Manuel! Er wird glücklich sein, wenn wir zu ihm zurückkommen und danach schauen wir zusammen, wie es weitergeht. Okay?“
„Okay!“
*********
Tatsächlich war die Freude gross, als die Freunde wieder im Kristallschloss ankamen. Als sie die obersten Gemächer selbigen erreichten, lief ihnen Manuel entgegen und umarmte sie herzlich.
„Ich seid wieder zurück? Wie schön! Ich habe euch vermisst!“
„Wir dich auch!“ lächelte Pia. „Du hast ja richtig gute Arbeit geleistet, mit dieser neuen Pollen- Medizin!“
„Ja! Die Feuerblumen sind faszinierende Pflanzen! Er macht mir sowieso grossen Spass, mich mit Kräuterkunde und Alchemie zu befassen. Wohl noch ein Erbe aus meinem vergangenen Leben als Ululala!“
„Ganz bestimmt!“ lachte Benjamin und klopfte Manuel anerkennend auf die Schulter. „Aber ihr habt ja auch einiges geleistet im Waldreich, hörte ich!“ meinte der 20- jährige, während sie sich auf den Weg zum kleinen Salon machten, wo bereits ein paar leckere Kekse und verschiedene, feine Teesorten auf sie warteten. „Setzt euch doch und erholt euch erst einmal von eurer Reise. Mögt ihr etwas Tee? Ich habe die Mischungen alle selbst zusammengestellt.“
„Dann natürlich gern,“ schmunzelte Malek. „Wir müssen deine neuen Kreationen auf jeden Fall ausprobieren.“
Die Tees waren wirklich sehr lecker und die Freunde, sparten nicht mit Komplimenten.
„Seid ihr gut gereist?“ wechselte Manuel schliesslich etwas verlegen das Thema. „Ja, sehr gut. Aber es ist schön wieder hier zu sein. Man fühlt sich im Regenbogenschloss immer so… geborgen und aufgehoben. Das war schon früher so.“ sprach Ben. „Das ist wahr,“ stimmte Malek zu. „Ich bin immer besonders gerne hier gewesen.“
„Habt ihr schon Pläne wie es mit eurer Mission weitergehen soll?“ fragte Manuel. „Wir müssen uns das noch überlegen. Wir wissen, dass an vielen Orten unsere Hilfe gebraucht wird. Doch die Goldenen Tannen im Waldreich, haben uns auch noch einen Tipp gegeben, um eventuell an den Schlüssel zu kommen, mit dem wir ins Reich des Schwarzen Obelisken gelangen könnten.“
„Wirklich? Erzählt!“ forderte sie Manuel neugierig auf.
Und so berichteten die Geschwister von dem, was die heiligen Bäume ihnen über die rätselhaften Greife erzählt hatten.
„Das klingt sehr spannend. Macht ihr euch bald wieder auf den Weg?“
„Wenn wir ganz sicher sind, wohin uns unsere Reise als nächste führen soll, dann ja,“ erwiderte Pia. Doch dann hielt sie inne uns blickte Manuel prüfend an.
„Was meinst du damit, wann wir uns wieder auf den Weg machen? Wir dachten du kommst mit uns?“
Manuel blickte etwas verlegen auf den Boden. „Das dachte ich zuerst auch. Aber jetzt… da ich schon so lange hier im Kristallreich bin, will ich eigentlich nicht schon wieder weg von hier.“
„Aber… wir dachten, du siehst es ebenfalls als deine Berufung uns zu begleiten?“ Zudem haben uns ja einige höhere Wesen auch gesagt, dass du mit uns kommen sollst.“
„Ja ich weiss, es tut mir leid! Aber im Moment ist hier mein Platz. Es gibt noch so viele Antworten, die ich finden muss. Ich muss mir noch über so vieles klarwerden.“ „Aber… du hast noch immer das Gewand der Klarheit. Die Windfrau hätte dir das doch nicht gelassen, wenn es deine Aufgabe gewesen wäre, hier zu bleiben!“ protestierte Benjamin enttäuscht. „Ich dachte wir sind Freunde für immer!“
„Das sind wir doch auch. Aber… ich will im Augenblick nichts mehr, als hier zu bleiben. Es ist mein altes zu Hause, vergesst das nicht! Ausserdem braucht Lumniuz auch etwas Hilfe, seit Hungoloz fort ist.“
Manuel wandte sich nun flehend an Pia: „Du liebst doch Hungoloz auch und… du willst mit ihm das Leben verbringen, habe ich recht?“
„Ja schon, aber das muss warten, weil es noch so viel zu tun gibt. Ich weiss, es ist manchmal nicht leicht und ich hatte auch meine Zweifel, aber jetzt weiss ich, ich bin genau am richtigen Ort.“
„Für mich ist gerade das Kristallreich der richtige Ort,“
„Aber… es ist noch lange nicht ausgestanden. Die drei bösen Ritter treiben noch immer irgendwo ihr Unwesen und wir müssen uns um das Medaillon und all die armen Geschöpfe kümmern, die unter den grossen Umwälzungen im Omniversum leiden.“
„Ich sage ja nicht, dass ich euch, zu einem späteren Zeitpunkt, nicht wieder begleiten werde. Doch zurzeit will ich will… einfach nur Ululala sein.“
„Aber du bist nicht mehr Ululala!“ begehrte Ben auf. „Du bist Manuel Collins! Ein Mensch wie wir, auch wenn du dich wieder an dein Leben als Ululala erinnerst. Was hat das ganze Rückführungsritual gebracht, wenn du dich nun doch noch in deinem alten Leben als Magier verlierst?“
„Ich verliere mich nicht darin. Das Wissen um dieses vergangene Leben, hat mich erst richtig vollkommen gemacht. Ich fühle mich wohl im Kristallschloss. Noch nie zuvor habe ich mich so wohl und glücklich gefühlt! Bitte versteht das doch!“
Die Geschwister seufzten und schwiegen resigniert. Malek musterte den jungen Mann etwas betrübt. Doch dann sprach er: „Nun gut, wenn es dein ausdrücklicher Wunsch ist hierzubleiben, dann werden wir dir nicht im Weg stehen.“
Er schaute die Turners ernst an und schliesslich nickten die beiden ergeben. „Also gut, wir werden deine Entscheidung respektieren Manuel, auch wenn es uns sehr traurig stimmt.“
„Ich danke euch,“ erwiderte der 20-jährige, etwas bekümmert.
„Also ich freue mich natürlich, wenn du hierbleibst,“ mischte sich nun Lumniuz ins Gespräch, der bisher geschwiegen hatte. „Seit Hungoloz fort ist, war es wirklich etwas gar einsam hier.“ Er wandte sich an die Geschwister: „Ich denke, wir müssen einfach alle Vertrauen haben. Jede Entscheidung, die wir treffen, hat ihren guten Grund. Vielleicht vermag dieser Gedanke euch etwas zu trösten.“ Und tatsächlich fühlten sich Pia und Benjamin durch diese Worte etwas getröstet.