„Wir kommen mit euch!“ riefen Sebius und Sturmius, wie aus einem Munde. „Könnt ihr denn euer Dorf allein zurücklassen?“
„Das geht schon,“ meinte der Häuptling. „Appolonius wird ja dableiben und ich habe auch noch meine Stellvertreter.“ Er rief einige andere Zwerge zu sich und gab ihnen ein paar kurze Anweisungen.
Dann sprach er enthusiastisch: „Es ist alles geregelt. Gleich Morgen in der Früh brechen wir auf. Ihr braucht schliesslich jemanden, der sich in der Gegend auskennt und meine Sehergabe, kann euch sicher auch von Nutzen sein.“
„Natürlich freut es uns, wenn ihr mitkommt,“ meinte Benjamin. „So haben wir wieder mal ein wenig Zeit zum Plaudern.“
Sebius und Sturmius nickten, mit zustimmendem Grinsen.
Pia gähnte ausgiebig und sprach: „Dann wird es jetzt Zeit, dass wir uns aufs Ohr hauen. Morgen müssen wir alle ausgeruht sein. Ist es eigentlich ein weiter Weg ins Pesttal?“
„Es liegt jenseits jener Hügel dort, in östlicher Richtung,“ gab Sturmius zurück. „Ungefähr ein bis zwei Tagesmärsche, ganz abhängig davon, wie viele Pausen wir einlegen.“
„Für diese Nacht, werden wir euch hier draussen ein weiches Nachtlager herrichten lassen,“ anerbot sich Sebius.
„Nur keine Umstände! Wir kümmern uns schon selbst darum. „Schliesslich haben wir ja einen Magier an unserer Seite,“ lächelte Pia.
„Dann also gute Nacht!“ „Gute Nacht!“
Malek zauberte einige weiche Decken und Kissen herbei und kurz darauf, kuschelten sich die drei Freunde in ihr gemütliches Bett unter den Sternen. Noch eine Weile lagen sie nachdenklich wach und starrten hinauf zu dem samtblauen, mit Lichtpunkten gesprenkelten Firmament. Die Bäume hoben sich wie dunkle Scherenschnitte von seinem Hintergrund ab. Ihre Blätter raschelten und wisperten leise und irgendwo war der Ruf einer Eule zu vernehmen. Ansonsten war nur das Knistern des wärmenden Feuers zu hören, dass in der Mitte des Dorfes brannte. Über ihnen erschien nun der silberne Vollmond. Sie schlossen ihre Augen und durch die friedvolle Ruhe dieses Ortes, glitten sie, schon sehr bald, hinüber in den Schlaf.
So sahen sie nicht mehr den mächtigen, geflügelten Schatten, der sich vor den Mond schob und mit gewaltigen Flügelschlägen am Himmel seine Kreise zog. Der Greif nämlich…, schlief nie…
Der Riese Zyklopus
Am kommenden Morgen, machten sich die drei Freunde und die zwei Zwerge schon früh auf den Weg. Sebius führte sie an. In seiner Hand trug er einen knorrigen Reisestock. Er schritt tüchtig aus und trotz seiner kurzen Beine, mussten die Geschwister und Malek sich bemühen, mit ihm und auch Sturmius, der an zweiter Stelle ging, Schritt zu halten.
Sie liessen den Wald, in dem sich das Dorf der Zwerge befand hinter sich und bald darauf, befanden sie sich in unebenem Gelände das voller Geröll und Steine war.
Fleischige, baumähnliche Pflanzen wuchsen hier. Sie besassen herzförmige Blätter und braune Früchte, welche mit einem roten Kelch ummantelt waren.
„Diese Pflanzen nennt man Zwergenbäume,“ erklärte Sebius. Er nahm lächelnd eine der Früchte in die Hand und drehte sie so, dass sich der rote Kelch oben befand. „Seht ihr? Sieht das nicht aus wie das rot bemützte Haupt eines Zwerges?“
„Das stimmt!“ rief Pia fasziniert. „Kann man sie essen?“
„Ja, das kann man. Sie sind durch ihren leckeren, nussigen Geschmack, eine sehr beliebte Zutat für verschiedenste Speisen. Aber man kann sie auch gut roh essen. Probiert mal!“
„Das schmeckt wirklich sehr gut,“ sprach dir Frau.
„Ich werde einige davon mitnehmen,“ sprach Sebius „man weiss ja nie, ob man sie nicht noch brauchen kann.“
So sammelten die Reisenden ein paar von den Früchten ein und dann setzten sie ihren Weg fort.
Dieser führte sie, einem Grat entlang, in die Höhe. Hier befand sich wieder einen dichten Gebirgswald. Es war ein ziemlich anstrengender, steiler Weg, ähnlich wie jener der damals auf den Heiligen Berg geführt hatte.
Die Zwerge jedoch, hielten ihr Tempo. Sie waren sehr ausdauernde Wanderer.
Auf einmal aber, hielt Sebius so abrupt an, dass seine Begleiter, die hinter ihm gingen, gegen ihn prallten.
„Irgendetwas nähert sich!“ schrie der ältere Zwerg. „Ich kann etwas spüren es… ist ein Riese!!“
„Waas!“ rief Benjamin „Wo?“
„Da drüben!“ Sebius deutete, mit zitterndem Finger, auf den Wald zu ihrer linken Seite. In diesem Augenblick erzitterte der Boden unter ihren Füssen und zwischen den Bäumen, erschien ein tatsächlich ein riesiger Mann! Er war bestimmt vier Meter gross.
„Das ist… Zyklopus!“ rief Pia entsetzt aus. Die Freunde erstarrten und legten die Hände an ihre Waffen. Der Riese aber, blickte Pia nur erstaunt an. „Woher… weisst du meinen Namen?“ fragte er mit dröhnender, aber nicht unfreundlicher Stimme.
Benjamin liess sich seine Unsicherheit nicht anmerken und blickte dem Riesen kühn in dessen bärtiges Gesicht. „Wir haben eben besondere Fähigkeiten,“ bluffte er.
„Seid ihr etwa Seher?“ fragte der Riese mit beinahe kindlicher Neugier.
„So etwas ähnliches.“
Die Reisenden bemühten sich um eine unberührte Miene und schwiegen, stets auf alles gefasst.
„Ihr wirkt etwas angespannt,“ meinte der Riese und dann geschah etwas, mit dem die fünf Freunde niemals gerechnet hätten: Zyklopus setzte sich auf den Boden und signalisierte ihnen damit, dass er keine Bedrohung darstellte.
Er wandte sich an Sebius. „Ihr Zwerge habt doch in fast jedem Stamm einen Seher, habe ich recht?“ Der Angesprochen nickte etwas überrascht. Er war es sich nicht gewohnt, sich auf so kameradschaftliche Weise, mit einem Riesen zu unterhalten. Zyklopus braune Augen mit den dichten, graubraunen Brauen, richteten sich nun wieder auf die Geschwister und Malek. „Die da, sind aber keine Zwerge.“
„Das stimmt,“ erwiderte Sturmius. „Sie kommen von weit her, aus einer… fremden Welt.“ Der Riese musterte Pia und die andern beiden eingehend. „Dann müsst ihr es sein, von denen ich geträumt habe. Ihr sollt von grosser Bedeutung für das ganze Omniversum sein.“
„Du… hast von uns geträumt?“ frage Ben, masslos erstaunt.
„Ja, aber das ist eine ziemlich lange Geschichte. Wollt ihr sie hören?“
„Aber natürlich!“ rief Pia und liess sich vertrauensvoll vor dem Riesen nieder. Die anderen taten es ihr, nach einigem Zögern, nach.
Zyklopus begann: „Vor einigen Jahren, ist mir etwas überaus Seltsames passiert. Meine Frau Amalie und ich, lebten damals ganz hier in der Nähe. Wir verliessen unsere alte Heimat, jenseits des Meeres und landeten schliesslich im Zwergen- Reich. Da es uns hier sehr gut gefiel, blieben wir gleich hier. Ohne jedoch genauer darüber nachzudenken, was für einen Einfluss das auf das Leben der Zwerge haben würde.
Zu jener Zeit waren wir noch sehr selbstsüchtig und haben uns einfach alles genommen, was wir wollten. Dabei nahmen wir keinerlei Rücksicht auf das kleine Volk und das Gleichgewicht in dieser Welt.
Eines Tages dann, begegneten wir plötzlich zwei fahrenden Händlern, die allerlei Arzneien verkauften.“
Pia und Benjamin wechselten einen vielsagenden Blick mit den Zwergen.
Doch der Riese achtete zum Glück nicht darauf. „Meine Frau und ich,“ fuhr er fort „wollten ein Mittel gegen Sodbrennen und ein anderes, um die überschüssigen Pfunde loszuwerden…“
Er grinstes breit. „Verrückte Sache, was?“ Aber die Hoffnung, stirbt bekanntlich zuletzt.“
Die Freunde konnten sich nun, ein leises Lächeln, ebenfalls nicht verkneifen. „Zu jener Zeit,“ fuhr Zyklopus fort „glaubten wir tatsächlich, dass wir alles mit irgendeinem Mittelchen loswerden könnten, sogar die überschüssigen Pfunde. Es wäre um so vieles einfacher gewesen, als durch irgendeine Diät abzuspecken. Die Händler nutzten unsere Unbedarftheit aus und reichten uns ein Mittel, dass scheinbar eine einschläfernde Wirkung hatte…“
Ein leises Zittern lief durch die Geschwister. Zum Glück waren sie damals gut verkleidet gewesen.
Zyklopus erzählte: „ Als wir wieder aufwachten, fanden wir uns weit draussen auf dem Meer wieder. Die Händler hatten uns offensichtlich auf ein Boot verfrachtet und dann hinausgeschickt. Das Boot fuhr wie von Geisterhand, immer in eine Richtung. In dieser Richtung lag unsere alte Heimat. Vorräte und Wasser hatten wir zu genüge dabei. Aber natürlich waren wir sehr zornig, dass man uns so übers Ohr gehauen hatte und schworen bittere Rache...“