Yeshe wusste nicht so wirklich, was er von alledem halten sollte. Vor allem erschien es ihm ziemlich unglaublich, dass ausgerechnet er zu diesen Auserwählten gehören sollte, von denen die Sylphen gesprochen hatten. „Trotzdem… das alles war schon ein gewaltiges Erlebnis. Er erhob sich von dem weichen Lager und trat hinaus auf das Deck des Schiffes, das noch immer unterwegs zur Himmelsstadt war.
Die Reise dorthin schien doch länger zu sein, als er gedacht hatte. Vielleicht war er aber auch nur sehr kurz ohnmächtig gewesen. Zwei der Sylphen begleiteten ihn. Der Ausblick, den man von hier oben genoss, war unglaublich! Der Himalaya unter ihnen glitzerte und funkelte, in der aufgehenden Sonne. „Ein ganz besonderer Ort, an dem du da gelebt hast,“ meinte eine seiner Begleiterinnen. „Der Himalaya ist ein mächtiger Kraft Platz. Man nennt ihn sogar das Kronen Chakra der Welt. Durch ihn und unter ihm, fliessen noch immer gewaltige, magische Energie- Ströme. Er bildet eine Brücke, zwischen Himmel und Erde und ist wie ein mächtiger Tempel des Gottesgeistes.“
„Ich dachte, der Gottesgeist wohnt in uns allen.“
„Das stimmt. Doch in dieser Hinsicht gibt es kein entweder oder, sondern nur ein sowohl als auch.“
„Das… leuchtet mir ein,“ erwiderte der Tibeter. „Ich ahnte schon immer, dass ich an einem ganz besonderen Ort lebe und fühlte mich den Geistern und unseren Ahnen immer sehr verbunden.“
„Das wissen wir und du hast diese Verbindung auch wirklich gelebt und praktiziert. Ebenso wie die meisten deiner Klosterbrüder. Darum seid ihr jetzt auch hier. Wir beobachten euch schon lange, denn wir halten uns gerne in den Luftströmen des Himalayas auf. Der Wind ist kraftvoll hier!“
„Ja, das ist er wirklich. Das Leben an diesem Ort, ist deshalb auch nicht immer einfach, denn die Natur und das Wetter verlangen dem hier ansässigen Menschen stets eine Menge ab. Doch gerade das liebe ich so an dieser Gegend…“
Yeshe liess seinen Blick nun wieder zur Himmelsstadt herüberschweifen, die nun schon einiges näher gerückt war. Deren Zinnen und Gemäuer funkelten fast genauso, wie die schneebedeckten Wipfel des Himalaya Gebirges. Das Licht brach sich darin und erzeugte dabei bunte Funken, welche über die feingeschliffenen Oberflächen tanzten.
Das Luftschiff flog einen weiten Bogen und der junge Mönch konnte nun die Gemäuer von Shambala, dicht an sich vorbeiziehen sehen. Sein Herz klopfte wild. Das alles erschien ihm wie ein wundervoller Traum, aus dem er fürchtete, schon bald wieder erwachen zu müssen. Das Luftschiff stieg etwas höher hinauf und drehte noch ein paar Kreise über der magischen Stadt. Kurz darauf, entdeckte Yeshe einen Art Anlegeplatz. Einige der anderen silbrig- weiss schimmernden Schiffe, befanden sich bereits hier. Es gab einige Stege. An einem von ihnen legten sie nun selbst an. Erneut blickte sich der Mönch ungläubig um. Als er die Wolkentreppe entdeckte, welche über der Stadt, weiter nach oben führte fragte er: „Was ist das für eine Treppe dort?“
„Das ist die sogenannte Himmelstreppe, erklärten ihm die Sylphen. „Himmelstreppe?“
„Ja, sie führt in einige höhere Ebenen des Himmels.“
„Wir Buddhisten kennen keinen Himmel, wir kennen nur das Nirwana- ein Zustand der absoluten Glückseligkeit. Doch Nirwana ist kein Ort, sondern es findet in uns selbst statt.“
„Dem ist nicht zu widersprechen,“ erwiderten die Luftgeister. „Doch auch hier gilt erneut wieder die Formel, sowohl als auch. Die innere Entwicklung steht in enger Verbindung mit den höheren Himmeln.“
„Aber… ich dachte es gibt sowas wie einen Himmel als Ort nicht.“
„Oh doch, den gibt es. Und unsere innere Entwicklung gestaltet diesen Ort auch stets mit. Das hat mit dem Gesetz der Anziehung und der Schöpferkraft zu tun.“
„Sind wir denn tatsächlich dazu fähig selbst zu schöpfen?“
„Ja natürlich. Alle Lebewesen sind dazu befähigt. Aber ganz besonders jene die sich ihrer selbst voll und ganz bewusst sind. So können Menschen wie du, z.B. das Gute, wie das Böse erschaffen.“
„Wirklich? Ich habe nie daran geglaubt, dass wir so mächtige Fähigkeiten besitzen. Zwar glaube ich, dass jene welche zur Erleuchtung gelangt sind, tiefere Einblicke in die Dinge erhalten können. Ich selbst, bin jedoch noch weit davon entfernt, erleuchtet zu sein.“
Die Sylphe lächelte vielsagend: „Meistens sind jene, die sich selbst als gering ansehen, auch jene, welche die grössten Fähigkeiten besitzen. Die sogenannte Erleuchtung, kann sich jedoch in mannigfaltigen Formen ausdrücken. Es gibt nicht nur die eine Art von Erleuchtung.“
„Das verstehe ich nicht,“ erwiderte der Mönch.
„Du wirst es irgendwann begreifen. Je länger du dich hier aufhalten wirst, umso deutlicher wirst du dir der Vielfalt deiner wahren Existenz bewusst werden. So und jetzt wird es Zeit auszusteigen. Komm!“
Die Töchter der Luft klappten nun eine Ausstiegsrampe aus und Yeshe verliess, zusammen mit seinen Möchsbrüdern, das Schiff.
In der Himmelsstadt herrschte reger Betrieb. Geschöpfe aller Art, tummelten sich hier und Yeshe blickte sich ungläubig um. Der Steg, auf dem sie gingen, leuchtete weiss in der Sonne und war weich und elastisch. Überall sah man unzählige Sylphen, die sich um die Neuankömmlinge kümmerten.
„Wir werden euch jetzt erst einmal ins Menschenquartier bringen,“ meinte eine von ihnen. Yeshe und seine Brüder nickten nur still, denn all die unglaublichen Eindrücke, nahmen sie gerade vollends in Anspruch. Noch immer konnten sie kaum fassen, was sie da erlebten. Shambala gab es also wirklich und sie waren nun Teil davon geworden!