Ungläubig blickte Hiromi an sich herunter. Ihr ganzer Körper strahlte in einem unglaublich hellen Licht und als sie erneut in die Sonne sah, bemerkte sie ganz deutlich, wie sie durch ein goldenes Lichternetz mit selbiger verbunden war. Sie begann nun Klänge zu vernehmen, Klänge so wunderschön und vielfältig wie eine Symphonie. Es waren die Klänge der Sonne selbst und die Klänge der anderen Sonnenfeen, überall im Omniversum. All diese Eindrücke übermannten sie wie eine Welle und sie hatte noch ziemliche Schwierigkeiten, das alles zu verarbeiten. Sie sah wie sich das Licht der Sonne und auch ihr eigenes Licht in unterschiedliche Farben aufspalteten. Alles war durchtränkt mit diesen Farben. Jede Blume, jeder Grashalm, auf welche das Sonnenlicht fiel, spiegelten diese Farben in unterschiedlicher Intensität wider. Hiromi blickte herüber zu den Kristallbergen. Diese funkelten und glitzerten, wie noch niemals zuvor. Doch das Unglaublichste war, sie konnte mit ihrem Blick durch diese Berge hindurchtauchen, das Land dahinter sehen, all die Landschaften, weit, weit herum, erblickte sie. Auch konnte sie etwas Spezielles fokussieren und dieses dann näher heranzoomen. Überall erkannte sie die unterschiedlichsten Lebensformen, als kleinere und grössere Lichter. Jede Lebensform hatte dieses Licht in sich. Nur die Ausprägungen und die Grössen, waren unterschiedlich.
„Das ist kaum zu glauben!“ dachte sie tief bewegt bei sich „So sehen die Sonnentöchter also die Welt!“
Sie versuchte nun ihren Fokus wieder auf das Höhlenlabyrinth hinter sich zu lenken und sogleich nahm sie einige besonders hell strahlende Lichtsignaturen wahr. Das mussten die anderen Sonnentöchter sein. Sie konnte sie also tatsächlich ausmachen. Von neuer Faszination getrieben, hielt sie nach weiteren Lebenssignaturen Ausschau und sie erkannte die etwas Blasseren der Erdgnomen. Auch bei ihnen gab es jedoch unterschiedliche Ausprägungen.
Plötzlich aber, stutzte sie: Weit, weit im Norden, erblickte sie etwas Beunruhigendes. Es gab nochmals zwei Lebenssignaturen, doch diese waren schwarz wie die Nacht! Dass sie diese überhaupt erkennen konnte, erstaunte sie, denn sie hatten tatsächlich keinerlei Licht in sich. Sie wirkten eher wie schwarze Löcher, jedoch in eine organische Lebensform eingebettet. Ganz in ihrer Nähe dieser dunklen Schatten, abgeschottet vom Rest der Welt, erkannte sie nochmals das Licht einer Sonnentochter. Ganz in deren Nähe wiederum, befanden sich drei ziemlich helle Signaturen und einige weitere von Gnomen.
„Bei allen Sonnen!“ dachte sie bei sich. „Was bedeutet das?“ Sie versuchte die helleren Signaturen zu fokussieren und tatsächlich erkannte sie in einer von ihnen Lumniuz und in den zwei anderen die Grossen Führer. Was aber taten diese so nahe bei den dunklen Kreaturen. Hiromi versuchte die Gefühle der ihr bekannten Personen zu erspüren und merkte, dass diese ziemlich hilflos und ängstlich waren. Sie bewegten sich auch kaum. Ob sie wohl in Schwierigkeiten waren? Hiromi wandte sich um und flog schnell zurück zu den anderen, um sie über ihre Beobachtungen zu unterrichten.
Die Erdmutter spricht
Die Tage in der Gefangenschaft bei den Ninja Gnomen und ihren Anführern, vergingen für Lumniuz und die Turner Geschwister nur schleppend. Zwar wurden sie jetzt wenigstens zweimal täglich zum Essen freigelassen, doch noch immer wussten sie nicht, wie sie wieder von hier wegkommen sollten. So hofften sie einfach inbrünstig, dass ihnen bald etwas einfiel oder sie von irgendjemandem gefunden wurden.
Eines Tages kam erneut einer der Ninja Gnomen zu ihnen. Er löste ihre Fussfesseln und sprach: „Unser ehrenwerter Bruder Tag, erweist euch die Gunst, eines besonderen Wunders teilhaftig zu werden.“
„Eines Wunders?“ fragte Benjamin skeptisch.
„Ja, los bewegt euch!“ Die Freunde trauten der Sache nicht wirklich, doch sie konnten momentan nichts anderes tun als zu gehorchen.
Der Gnomen Ninja führte sie über die Wiese, diesmal herüber zum weissen Prunkzelt, welche mit goldenen und weissen Kordeln verziert war.
Ein angenehmes Licht, strömte daraus hervor. Sie wurden hineingeführt und sogleich erkannten sie, woher dieses Licht kam.
„Da ist Solaria!“ rief Pia entsetzt aus, und lief zu dem grossen Glas, in dem die kleine Sonnenfee eingesperrt war. Sogleich wurde sie jedoch hart von hinten gepackt und zurückgerissen. Es war der Gnom, der sie begleitet hatte.
„Nana! Nur nicht so grob Arbaniuz!“ vernahmen sie jedoch sogleich die Stimme von Bruder Tag. Der Gnom liess Pia wieder los und trat ein paar Schritte zurück.
„Ihr habt Solaria gefangen genommen?“ fragte Benjamin wütend. „Wie konntet ihr nur? Sie ist eine Sonnenfee!“
„Ach tatsächlich?“ Bruder Tag stellte sich dumm. „Das war mir nicht so wirklich bewusst. Allerdings haben unsere Getreuen diese kleine Lichtkugel als ziemlich gefährlich eingestuft. Darum mussten wir sie aus dem Spiel nehmen. Sie ist auf jeden Fall eine sehr angenehme Lichtquelle.“
Ein boshaftes Funkeln glomm kurz in seinen blauen Augen auf.
„Wie nur habt ihr das geschafft? Eine Sonnenfee lässt sich normalerweise nicht so einfach gefangen nehmen,“ meinte Lumniuz, in der Hoffnung irgendetwas Nützliches von dem weissgewandeten Mann zu erfahren.
„Ach… wir haben da so unsere Tricks…,“
„Was den genau für Tricks?“ hakte Benjamin nach.
Doch Bruder Tag lachte nur und gab darauf keine Antwort. Stattdessen sprach er: „Aber reden wir nicht mehr von meiner neuen Lichtquelle. Ich wollte euch eigentlich etwas anderes zeigen. Wir feiern heute so etwas wie einen Gottesdienst.“
„Einen Gottesdienst?“
„Ja, ich bin der Priester dieser Gemeinschaft hier und ich feiere mit unseren Getreuen öfters mal einen Gottesdienst.“
„Was denn genau für einen Gottesdienst?“ fragte Pia misstrauisch. „Ich kann mir kaum vorstellen, dass ihr religiös seid.“
„Ihr verkennt mich vollkommen,“ erwiderte der Angesprochene und wirkte nun ziemlich beleidigt. „Kommt mit! Ich bringe euch zu unserer heiligen Stätte.“
Bruder Tag geleitet sie nun wieder aus dem Zelt heraus und herüber zu einer naheliegenden Felswand. Er zeichnete ein Symbol darauf und tatsächlich glitt die Wand leise zurück. Vor ihnen lag nun ein mächtiges Höhlengewölbe, das von mehreren Feuerschalen erhellt wurde. In der Mitte des Gewölbes befand sich ein riesiger Erdhaufen. Mehrere Gnomen, vor allem Weibliche, mit denselben weissbraunen Roben bekleidet, wie damals jene, die Bruder Nacht das Essen gebracht hatte, hatten sich hier versammelt. Sie rezitierten irgendwelche Formeln und sangen auch verschiedene rituelle Lieder. Dabei gingen sie immer wieder um den Erdhaufen herum und schwenkten dabei Ritualschalen mit duftenden, brennenden Kräutern darin.
Bruder Nacht war nirgends zu sehen und auch keiner der Ninja Gnome. Da war nur Arbaniuz, der sie bewachte.
„Was um alles in der Welt hat es mit alledem bloss auf sich?“ dachten die Freunde besorgt.
Als Bruder Tag eintrat hielten die anwesenden Gnominnen und Gnomen sogleich in ihrem Tun inne und verbeugten sich ehrfürchtig vor ihm. „Sei gegrüsst, mächtiger Bruder Tag! Wir haben die Ritualstätte vorbereitet und warten nun auf eure Führung!“
Der Weissgewandete nickte ihnen wohlwollend zu, trat zu dem Erdhügel heran und hob seine Arme: „Oh grosse Mutter, aus der wir alle geboren sind, erhöre uns! Zeige dich deinen treuen Dienern! Erhelle sie mit deiner Weisheit und offenbare uns den Weg!“
Dann rezitierte er ebenfalls einige Formeln, welche die Freunde jedoch nicht verstanden.
Der Erdhügel begann sich nun auf einmal zu bewegen und ein kühler Lufthauch, zog durch die Höhle, der die Freunde erschaudern liess.
Und dann auf einmal, tauchte aus der Erde eine Frauengestalt auf!
Sie trug ein braunes Samtkleid. Edle Stickereien schmückten den Brustteil diese Gewandes. Sie hatte langes, braunes Haar und braune Augen.
„Mein Gott!“ rief Pia. „Sie sieht aus wie die Erdmutter!“
Die Augen der edlen Dame richteten sich sogleich auf sie, doch blickten sie nicht so warm und sanft, wie die Freunde es sich von ihrer einstigen Begegnung mit der Erdmutter gewöhnt waren.
Sie wirkten streng und ziemlich hart. „Ich sehe nicht nur aus wie die Erdmutter, ich bin die Erdmutter,“ sprach sie dann verärgert. „Du müssest mich doch eigentlich kennen.“
„Nun ja…“ sprach Pia etwas unsicher, „man sollte es meinen.“
„Was willst du damit sagen? Zweifelst du etwa an mir?“
Pia überlegte fieberhaft, was sie antworten sollte, um sich und ihre Begleiter nicht noch mehr in Schwierigkeiten zu bringen. So erwiderte sie: „Doch, doch. Ich bin nur… überrascht, dass du ausgerechnet hier bist.“ Bruder Tag meinte salbungsvoll: „Unsere grosse Mutter kann überall sein. Wir dienen ihr besonders treu, darum erweist sie uns auch ihre Gnade.“ „Wenn ihr wirklich so voller Gnade seid…,“ sprach Benjamin, direkt an die Erdmutter gewandt, „dann würdet ihr nicht zulassen, dass man uns hier gefangen hält.“
Die Augen der Erdmutter richteten sich nun auf ihn und durchbohrten ihn damit richtiggehend. „Ihr seid aus einem ganz bestimmten Grund hier. Meine liebsten Gnomen- Kinder haben grosses Leid durch die unterschiedlichsten Vertreter ihrer eigenen Rasse erfahren. Das gilt es nun wieder auszugleichen. Sobald der Ältestenrat des Zentralviertels den Verbesserungsvorschlägen, die wir ihm unterbreiten, zustimmt, werden wir euch wieder freilassen.“
„Aber das ist höchst unmoralisch!“ rief nun Lumniuz. Die Erdmutter verliess ihren Erdhügel nun und ging auf ihn zu. Beinahe bedrohlich umkreiste sie ihn mehrmals und sprach dabei. „Genau du, bist nun wirklich nicht in der Position von Moral zu sprechen. Auch du bist mitschuldig am Leid meiner geliebten Kinder des Nordens.“
„Aber die wahre Erdmutter würde so etwas nie billigen,“ erwiderte Lumniuz mutig. „Sie ist voller Liebe und Gnade. Vor ihr sind alle Geschöpfe gleich. Das ist bei euch aber nicht so. Warum also gebt ihr euch als Erdmutter aus?“
„Ich gebe mich nicht als Erdmutter aus!“ rief die Angesprochene zornig und stampfte auf den Boden. Dieser erzitterte förmlich unter ihren nackten Füssen. Erschrocken stellten die Freunde fest, dass sie doch sehr viel Macht besass. Wer diese falsche Erdmutter auch immer sein mochte… Sie bedeutete eine grosse Gefahr!