Die Freunde blickten den Mann in der weissen Robe prüfend an. Doch auch in seinem Gesicht konnten sie nichts erkennen, was ihnen Aufschluss über seine wahre Persönlichkeit oder Intention gegeben hätte. Das beunruhigte sie sehr, denn irgendwie hatten sie das Gefühl, dass da etwas nicht stimmte. Das liessen sie sich vorerst jedoch nicht anmerken, denn die Aussicht endlich etwas zu Essen zu bekommen, war gerade viel zu verlockend.
„Was steht ihr denn noch rum!“ sprach Bruder Tag zu ihnen, „wollt ihr unsere Gastfreundschaft etwa ausschlagen?“
Noch immer misstrauisch, setzten sich die Freunde nun zu den beiden Brüdern an den Tisch und begannen, zuerst nur vorsichtig, etwas von der ihnen dargebotenen Mahlzeit zu probieren. Ihr Hunger war jedoch so übermächtig, dass sie nicht mehr widerstehen konnten und sie begannen immer schneller zu essen.
Bruder Tag beobachtete das mit einem unergründlichen Ausdruck in den Augen, während Bruder Nacht ziemlich verärgert schien. Kurz darauf sprach er deshalb mit kalter Stimme: „Das reicht jetzt erst mal. Männer! Legt ihnen ihre Fesseln wieder an und bring sie zurück in die Höhle!“
Sogleich traten die Ninja-Gnomen zu den dreien und banden deren Hände wieder mit den Ketten zusammen. Die Freunde wechselten einen vielsagende Blick. Im Augenblick würden sie sich noch still verhalten müssen, um erst einmal einen richtigen Fluchtplan zu schmieden.
Als sie wieder zurück in der Höhle waren, begannen sie sich leise zu unterhalten. „Die ganze Sache ist mir äusserst suspekt,“ sprach Benjamin. „Diese… Brüder haben etwas an sich, dass mir gar nicht gefällt. Obwohl sie ihre wahren Intentionen gut zu verbergen wissen. Einiges konnten wir jedoch bereits in Erfahrung bringen. Bruder Nacht plant auf jeden Fall einen Angriff auf das Zentralviertel. Und… er gibt den Gnomen aus dem Norden das Gefühl, dass sie ihm wichtig sind. Darum folgen sie ihm auch treu und aus Überzeugung.“
„Ja, diesen Eindruck hatte ich auch,“ erwiderte Lumniuz. „Das macht die ganze Sache noch um einiges komplizierter. Auch ich traue diesen Brüdern nicht. Sie verfolgen irgendeinen Plan, den ich jedoch noch nicht so wirklich zu durchschauen vermag. Auch nehme ich Bruder Tag seine Freundlichkeit nicht wirklich ab.“
Pia nickte und sprach: „Das tu ich auch nicht. Ich denke es ist reine Taktik, um uns die Illusion einer vermeintlichen Sicherheit zu vermitteln. Er will uns manipulieren und… in gewisser Weise, ist es ihm auch gelungen. Ich jedenfalls war ihm sehr dankbar, dass er sich für uns eingesetzt hat. Vermutlich ist das so eine „Guter Cop, Böser Cop“ Nummer. Bruder Nacht spielt den Bösen und Bruder Tag, inszeniert sich als jener, der es ja nur gut mit uns meint. Vielleicht können wir das irgendwann sogar zu unserem Vorteil nutzen. Ich denke, es ist besser wir verhalten uns erst einmal ruhig und im richtigen Moment handeln wir dann.“
„Dieser Gnomen-Ninja sagte jedoch, dass es keinen Weg hier heraus gibt,“ gab Lumniuz zu bedenken. „Meint ihr, das stimmt wirklich?“
„Ich zweifle ehrlich gesagt daran. Denn irgendwie müssen ja die Ninja- Truppen diesen Talkessel auch verlassen können. Bestimmt bleiben sie nicht ständig hier. Sie müssen auch mal Vorräte besorgen oder sonstigen Aktivitäten, ausserhalb von hier, nachgehen. Halten wir einfach immer unsere Augen offen.“
„Das ist hier drin leider nicht so einfach,“ sprach Pia. „Eigentlich befinden wir uns schon in einer sehr verzwickten Lage. Bisher haben wir so etwas noch nie erlebt. Es gab immer einen Ausweg. Doch diesmal habe ich echt keinen Plan, wie wir hier jemals wieder rauskommen könnten.“
„Ach was!“ rief Benjamin. „Es wird sich bestimmt im richtigen Moment eine Lösung ergeben. Unsere Reise ist noch lange nicht vorbei und wir müssen einfach auf den Grossen Geist und die höheren Wesen vertrauen. Bestimmt wird man auch nach uns suchen und irgendwann findet man uns bestimmt.“
„Wenn wir bis dahin überhaupt noch leben,“ meinte Lumniuz mit unheilschwangerer Stimme.
„Also dich werden sie ziemlich sicher am Leben lassen,“ erwiderte Ben. „Du bist schliesslich der potenzielle Nachfolger von Mungoluz. Darum bist du als Geisel besonders wertvoll. „Was sie mit uns genau vorhaben… steht allerdings auf einem anderen Blatt.“
„Das klingt jetzt auch nicht unbedingt ermutigend,“ klagte Pia, welche spürte wie die Angst ihr mehr und mehr in die Knochen kroch.
„Ach was, das wird schon!“ meinte Benjamin erneut und versuchte seiner Stimme dabei einen möglichst zuversichtlichen Klang zu geben.
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Solaria die kleine Sonnenfee, befand sich ebenfalls in einer sehr misslichen Lage. Der Angriff, dieser seltsamen Gnomen-Ninjas, mit ihren Rauchbomben, hatte auch sie überrascht. Einen Moment lang war sie unvorsichtig geworden und schon hatte man ein dunkles Tuch über sie geworfen. Dieses war offensichtlich mit einer mächtigen Magie versehen gewesen, denn man konnte sie gefangen nehmen. Später hatte sie sich in einem, aus dickem Glas bestehenden Glasbehälter wiedergefunden, der sich in einem weissen Prunkzelt befand.
Auch der Behälter war offensichtlich mit Magie der dunkelsten Art verstärkt. Denn je mehr sie versuchte sich zu befreien, umso mehr wurden ihr ihre Kräfte von dieser Magie abgezogen. Es war, als würde sie Solarias ganze Lebenskraft einfach so absorbieren.
Schliesslich gab die kleine Fee den vergeblichen Versuch, sich zu befreien, vorerst auf. Sie musste sich eine andere Strategie ausdenken. So wandte sie sich nach innen, suchte mit ihrem bereits hochentwickelten Geist, nach der Energiesignatur der anderen Sonnentöchter. Gerade vor kurzem hatte sie die Gegenwart einiger von ihnen, ganz in der Nähe wahrgenommen. Ihr Geist tauchte tief in die ätherischen Energieströme ein und folgte dann den lichtvollen Spuren ihrer Schwestern. Endlich hatte sie sie gefunden. Sie waren wirklich ganz nahe. Was sie wohl im Erdreich machten? Solaria musste an die Höhlenelfen denken. Ob die Sonnenfeen wohl wegen ihnen gekommen waren? War es wirklich Zeit für ihre einst abgefallenen Geschwister, ins Sonnen- Reich zurückzukehren? Dieser Gedanke, erfüllte die kleine Fee mit Freude und ihre Seele nahm nun Kontakt mit den anderen Feen auf. Und… tatsächlich erhielt sie schon bald eine Antwort!