Benjamin war sehr besorgt. Das, was der Greif hier von Sara erwartete, war schon sehr viel und der hoffe innständig, dass das Mädchen nun nicht vollends die Flucht ergriffen hatte. Der Gedanke, dass Sara sich in ihrer Panik irgendwo in dieser fremden Welt verlaufen hatte und ihr womöglich etwas zustossen konnte, war ihm unerträglich.
Warum nur wurde Sara ausgerechnet jetzt in so einen gefährlichen Kampf hineingezogen? Gerade jetzt da er und sie… Er unterbrach seine Gedanken. Nein! Er wollte jetzt nicht über solche Dinge nachdenken! Sie alle waren in grosser Gefahr und auch wenn der Feuergreif ihnen versichert hatte, dass es genauso sein musste, wie es war, konnte Ben sich mit diesem Gedanken gerade sehr schlecht anfreunden. Wenn es nur einen anderen Weg gegeben hätte! Wenn Sara nur nie hergekommen wäre! Und doch… war seine Freude grenzenlos gewesen, als er sie an diesem Ort angetroffen hatte. Irgendwie war er völlig durcheinander. Er wusste gerade kaum mehr, wo oben oder unten war. Die ganze Geschichte machte ihm zu schaffen, denn eigentlich hatte er versucht sich wieder mehr von Sara zu distanzieren. Nun war sie hier und ihr Leben stand unmittelbar auf dem Spiel, genau wie das Leben aller anderen Beteiligten, die ohne Waffe Triobalds Truppen entgegentreten sollten. Bestimmt würden viele von Triandras Trollen dieses Risiko gar nicht auf sich nehmen. Am Ende kam gar keiner von ihnen zum Tränensee und dann war alles sowieso vergebens.
Der Mann blieb stehen, denn er hatte leises Schluchzen in der Nähe vernommen. Das musste Sara sein! Erleichtert sah er sie unter einigen Bäumen auf einem Steinfindling sitzen. Am Zucken ihrer Schultern sah er, dass sie immer noch weinte. Sie wirkte in diesem Moment so zerbrechlich, dass es Ben tief in seinem Herzen anrührte. Langsam näherte er sich der jungen Frau und legte ihr sanft die Hände auf die Schultern. Sara blickte mit ihrer grossen, tränenfeuchten Augen zu ihm auf und nach ihrem Einverständnis, setzte er sich neben sie. Die junge Frau kuschelte sich hilfesuchend in seine Arme und schluchzte an seiner Brust weiter, bis Bens Shirt ganz durchnässt von ihren Tränen war. Sanft streichelte er ihr über den Rücken und die langen, schwarz gelockten Haare und wartete bis sie sich etwas beruhigt hatte.
Dabei merke er, wie sein Herz heftig zu klopfen begonnen hatte. Erneut wurden Gefühle in ihm wach. Gefühle tiefste Zuneigung und des Verständnisses, für Sara und ihre momentane Not.
Schliesslich beruhigte sich das Mädchen wieder etwas und löste sich etwas von ihm. Sie schien auf einmal wieder verlegen. „Tut mir leid…“ murmelte sie. „Ich… möchte dich nicht zu sehr mit meinen Ängsten und Sorgen belasten.“ „Du belastest mich doch nicht!“ sprach Ben liebevoll. „Ich kann dich gut verstehen. Das Ganze ist schon ziemlich harter Tobak. Da wundert es mich nicht, dass du Angst bekommst. Auch ich bin nicht sonderlich begeistert von der ganzen Sache. Allerdings ist der Greif ein sehr hochentwickeltes, weises Wesen und hat vermutlich Einblicke in Dinge, die uns einfachen Sterblichen verborgen bleiben.“
„Und das ist eben das Problem,“ meinte Sara bekümmert. „Solch hochentwickelte Wesen, verlieren oft den Blick für das einzelne Schicksal. Sie denken stets von einer höheren Warte aus, doch da sie selbst unsterblich sind, fehlt ihnen der Bezug zur Sterblichkeit. Sie scheuen sich deshalb nicht, gewisse Opfer für ein höheres Ziel zu bringen. Denn genau darauf läuft dieser Plan hinaus. Und ausgerechnet ich soll hier eine Hauptrolle spielen. Ich… kann das einfach nicht Benjamin! Es tut mir leid.“
„Ich glaube, du verkennst die grosse Liebe, die die höheren Wesen für uns hegen Sara,“ widersprach ihr Ben. „Sie wissen ganz genau, wie es in uns aussieht und sie wollen uns stets vor Leid bewahren. Manchmal versteht man einfach nicht sogleich, welch grosse Weisheiten in ihren Entscheidungen verborgen liegen. Du weisst, ich hatte schon mit einigen, der höheren Wesen zu tun und ihre Einschätzungen erwiesen sich am Ende stets als richtig und wahr. Die Greifen sind solche Wesen. Sie sind weder an Zeit noch Raum gebunden und können darum alle Ereignisse parallel betrachten und einschätzen. Nur auf der Linie der Zeit, scheint alles so festgeschrieben: Leben- Tod, Angst- Liebe, Opfer- Täter usw. Doch das gibt es noch so vieles mehr. Wir erhalten manchmal nur einen kleinen Einblick in die Wahrheiten, jenseits dieser Pole. Doch die höheren Wesen, bewegen sich ganz natürlich zwischen den Zeiten und Welten hin und her. Der Tod ist so auch immer wieder eine Geburt und wir müssen keine Angst vor dem haben, was jenseits dieser Schranken liegt.“
„Und da sind du und ich eben völlig anders. Ich… bin noch nicht so weit, ich kann das nicht so sehen wie du. Du bist der Grosse Führer, du opferst dich stets für eine höhere Ordnung auf. Ich jedoch… hänge noch zu sehr an meinem momentanen Leben und ich… sehe mich nicht in der Lage Tri- Chan glaubwürdig zu verkörpern, weil ich nun mal nicht Tri- Chan bin. Ich bin Sara, einfach nur Sara. Ich bin nichts Besonderes. Ich bin auch nicht auserwählt so wie du und Pia z.B.“
„Das wage ich zu bezweifeln,“ meinte Ben. „Du wurdest auserwählt, hier zu sein und es gibt einen Grund, warum du wie diese Urahnin der Trolle aussiehst. Ausserdem… finde ich schon…, dass du etwas Besonderes bist. Für mich auf jeden Fall.“
Er hatte diese Worte mit so einer tiefen Zuneigung in seiner Stimme gesagt, dass Sara aufhorchte. Sie schlug ihre grossen, blauen Augen zu ihm auf und schaute ihn prüfend an.
Nun war es wieder an Benjamin, verlegen zu werden. Dieser Augenaufschlag war ja auch zu umwerfend und er hüstelte leicht, um den Kloss, der auf einmal in seinem Hals steckte loszuwerden. Doch dann sprach er: „Du hast richtig gehört. Du bist für mich etwas Besonderes Sara und es schmerzt mich sehr, wenn du dich immer selbst so klein machst. Du bist genau richtig, wie du bist und all deine Gefühle…, ich kann sie so gut verstehen. Es sind Gefühle, die auch mich schon oft bewegten und noch heute bewegen. Du idealisierst mich ständig, dabei bin ich genauso wie du. Jedes Geschöpf hat seine ganz eigenen Aufgaben, sein ganz eigenes Feld, in dem er wirkt. Unsere beiden Felder haben sich aus irgendwelchen wundervollen Gründen verbunden. Vor uns liegt nun eine Aufgabe, die wir nur zusammen bewältigen können. Ich möchte dich gerne dabeihaben bei dieser Aufgabe Sara.
Denn…“ Ben hielt kurz inne, als müsse er nochmals durchatmen, bis er die entscheidenden Worte sprach: „Denn, du bedeutest mir wirklich sehr viel Sara. Ich kann es nicht mehr leugnen und ich will es auch nicht mehr. Ein wunderbares Schicksal hat uns zusammengebracht, genau in dieser Zeit, in diesem Raum. Dass du hier bist, in dieser Welt mit mir, das ist ein Zeichen…“ Er drehte sich nun zu ihr und sein Ausdruck war so voller Gefühl, dass Sara richtiggehend erschauderte.
„Ich liebe dich Sara! Aus tiefstem Herzen. Bitte stosse mich nicht weg, nur weil du dir deines eigenen Wertes zu wenig bewusst bist. Du bist das Wundervollste, was mir je passiert ist. Ich habe… noch nie so für jemanden empfunden. Und ich will es auch nicht mehr leugnen, nur weil wir aus anderen Welten kommen. Pia und Hungoloz haben den Schritt miteinander auch gewagt und sie sind dadurch vollständiger und erfüllter geworden. Das wünsche ich mir auch für uns. Vergessen wir doch all diese Bedenken! Hören wie lieber auf unser Herz! Was meinst du?“ Die junge Frau war einem Moment lang sprachlos. Sie konnte noch nicht wirklich glauben, was da gerade geschehen war. Benjamin liebte sie! Er liebte sie tatsächlich! Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Ihr kam es vor als würde sie träumen. „Jaja,“ brachte sie nur noch heraus. „Dann geht es dir wie mir?“ fragte der blonde Mann. „Würdest du es mit mir wagen Sara?“ Noch einmal stammelte die junge Frau „Jaja… natürlich! Auch ich liebe dich Benjamin. Schon vom ersten Moment an, als wir uns trafen. Aber bisher dachte ich immer…“ „Sag es nicht!“ bat der Mann und legte ihr sanft den Finger über den vollen Mund. Sein Gesicht befand sich nun ganz nahe an ihrem „Lass uns einfach den Moment geniessen!“ Seine Lippen näherten sich den ihren und dann küssten sie sich das erste Mal leidenschaftlich und ohne Scheu.