Jemand schüttelte sie und langsam öffnete Sara wieder die Augen. Ihre Lider flatterten. „Du musst aufstehen, sofort!“ Über ihr stand ein dunkelhaariger Mann, ebenfalls mit roter Nase und dunklem, halblangen Haar, das bereits etwas in silbergrau überging. „Wir müssen uns verstecken, sonst töten sie uns. Komm, komm!“ Er zerrte sie auf die Füsse.
„Wer bist du?“ fragte die Frau, noch immer etwas benommen.
„Mein Name ist Trion. Ich will dir helfen. Los, wir müssen uns verstecken! Da rüber!“ Er zog sie hinter sich her zu dem grossen, igluförmigen, halbzerfallenen Gebäude. Hinter ihnen tobte noch immer die Schlacht, zwischen den Reitern und deren Gegner. Pfeile zischten ihnen um die Ohren. Sara und Trion hoben schützend die Arme über ihre Köpfe und suchten immer wieder irgendwo Deckung, bis sie endlich das besagte Gebäude erreichten. „Schnell rein da! Da unten gibt es einige Katakomben!“ Sie stürzten in das Innere des Hauses und Sara stellte im Vorbeilaufen fest, dass sich hier einst eine Art heilige Stätte befunden haben musste, denn an der einen Wand, stand ein leicht erhöhter Altar und darüber prangte, an der Wand, eine goldene Sonnenfreske. Alles war jedoch von Schutt zugedeckt und die Freske an einigen Stellen schon stark verblasst. Einige Stühle lagen in wildem Durcheinander herum und auch hier war überall Staub und Schutt.
Trion lief sogleich rüber zum Altar. Er bückte sich und schob die längliche Seitenwand desselbigen zur Seite. Eine dunkle Öffnung erschien.
„Da rein!“ befahl der Mann.
Sara gehorchte. Noch immer war ihr schwindlig von dem Sturz und ihr Kopf schmerzte. Vor ihr lag nun undurchdringliche Finsternis und sie zögerte einen Moment.
„Du musst weiter gehen. Der Gang ist niedrig, aber man kann ihn auf Knien oder gebückt durchqueren.“
„Aber… ich sehe gar nichts. Ich weiss nicht was da vor mir liegt.
„Bald wird es etwa heller werden. Nur schnell weiter, sonst finden uns diese miesen Bastarde doch noch.“
Sara blieb nichts anderes übrig, als Trions Worten zu vertrauen und so ging sie, halb auf Knien, halb kauernd weiter, bis… sie vor sich endlich einen goldenen Lichtschimmer wahrnahm.
Dieses Licht, so stellte sie schliesslich fest, stammte aus einer weiteren Öffnung im Boden. Als sie hinunterblickte, sah sie einen mit Kerzen und Fackeln erleuchteten Keller. Eine Leiter führte dort herunter. „Du kannst hinabklettern,“ hörte sie Trions Stimme hinter sich. „Das ist unser Geheimversteck.“ Erleichtert setzte sich Sara an den Rand der Öffnung und suchte mit ihrem Fuss nach der ersten Sprosse der Leiter. Wenigstens sah man hier wieder etwas.
Sogleich als sie unten ankam, wurde sie von weiteren, rotnasigen Leuten umringt. Auf einmal wurde ihr jedoch sterbensschlecht und sie verlor erneut das Bewusstsein.
Als Sara schliesslich wieder aus ihrer Ohnmacht erwachte, lag sie auf einem weichen Lager, das man für sie hergerichtet hatte. Mehrere besorgte Gesichter blickten auf sie hinab, darunter auch das von Trion.
„Sie sieht wirklich genauso aus,“ flüsterte eine ehrfürchtige weibliche Stimme.
„Wie hübsch sie doch ist,“ schwärmte eine andere.
„Es ist ein Wunder!“ eine weitere.
„Lasst sie doch erst einmal richtig zu sich kommen!“ sprach die Stimme Trions tadelnd. Seine sanften Augen, blickten besorgt. „Sie hat eine ziemlich böse Verletzung am Hinterkopf und vermutlich eine Gehirnerschütterung. Sie braucht jetzt etwas Ruhe.“ Die anderen Leute entfernten sich nun leicht murrend, nur Trion blieb da.
„W…wo bin ich?“ fragte Sara ihn mit kraftloser Stimme.
„Unter Freunden,“ erwiderte der Mann und lächelte freundlich.
Auf einmal kehrten alle Erinnerungen an die eben geschehenen Ereignisse zurück und erschrocken rief Sara: „Aber… was ist mit meinem Pferd?“
„Nur keine Sorge,“ beschwichtigte sie Trion „dein Reittier konnte sich in Sicherheit bringen. Einige meiner Leute, suchen bereits nach ihm.“
Etwas beruhigter fragte Sara nun: „Aber… was ist geschehen? Ich habe mich auf meinem Ausritt irgendwie verirrt und wollte in dem Dorf um Hilfe und Unterkunft bitten. Doch… da kamen auf einmal diese aggressiven Reiter! Sie… hätten mich bestimmt getötet.“
„Ja, das könnte gut sein. Es hat auch diesmal wieder einige Toten gegeben.“ Trions Augen wurden traurig. „Meine Leute sind im Kampf leider nicht sehr geübt. Immerhin hatten wir seit ewigen Zeiten, keine solchen Auseinandersetzungen mehr. Seit einigen Monden jedoch, ist es immer schlimmer geworden und wir müssen jetzt täglich um unser Leben fürchten.“
„Das tut mir sehr leid. Davon wusste ich nichts. Ich arbeite eigentlich im Schloss der hundert Juwelen. Doch… wie gesagt, ich habe mich wohl irgendwie hierher verirrt.
„Im Schloss der hundert Juwelen?“ fragte Trion „aber… das liegt doch in einer anderen Welt.“
Sara zuckte zusammen. „Was sagst du da? Das kann doch nicht sein! Wo… bin ich denn hier gelandet?“
„Wir befinden uns im Lande des Tagmondes. Das Dorf hier heisst Dorf des Halbmondes.“
„Wie bitte?!“ Sara wollte aufspringen, doch sogleich zwang sie der Schmerz in ihrem Kopf und starker Schwindel, wieder in die Kissen zurück.
„Aber… das kann nicht sein!“ In ihren Schläfen pochte schmerzhaft das Blut und sie war kreidebleich geworden.
„Nicht dass du uns noch einmal in Ohnmacht fällst,“ sprach Trion und legte besorgt seine Hand auf ihre Stirn.
Sara fasste sich wieder etwas. „Welches Volk lebt hier?“ fragte sie, kam sich aber sogleich ziemlich dumm vor, denn eigentlich war es ja offensichtlich.
Trion erwiderte erstaunt: „Natürlich, die Trolle. Es ist eine Welt der Trolle.“ „Dann… seid auch ihr… Trolle?“
„Selbstverständlich!“ ein etwas zweifelnder Ausdruck, erschien auf Trions Gesicht (bestimmt zweifelte er an ihrem Verstand). „Welches Volk sonst hätte eine so unverkennbare, rote Knollennase, wie wir.“
„Aber… das kann schlichtweg nicht sein! Ich… lebe sonst im Lande der hundert Juwelen. Wie um alles in der Welt… bin ich hierhergekommen! Ich… oh Gott, ich glaube ich werde langsam verrückt. Vielleicht ist das ja alles auch nur ein böser Traum und ich werde schon bald wieder daraus erwachen.“
„Also ein Traum ist es bestimmt nicht,“ versicherte ihr Trion „auch wenn ich manchmal selbst froh wäre, all diese Streitereien zwischen den verschiedenen Trollensippen, wären nur ein böser Traum. Das sind sie aber leider nicht.
Nichtsdestotrotz ist die Geschichte, die du mir da erzählst, ziemlich fantastisch. Denn um von einer Welt in die andere zu reisen, müsstest du ja entweder die Sphärenwanderung beherrschen oder vielleicht ein besonderes Artefakt besitzen, das die Grenzen zwischen den Welten aufheben könnte.“
„Aber… ich habe kein solches Artefakt,“ gab Sara zurück „und ich beherrsche auch die Sphärenwanderung nicht. Ich bin einfach, wie üblich, mit Silberstern ausgeritten und dann… war ich auf einmal hier.“
„Das Ganze ist wirklich sehr ungewöhnlich,“ der Troll runzelte die Stirn. „Auch hier hat dein Auftauchen für einige Verwirrung gesorgt. Es kommen nur sehr selten andere Spezies ausser Trollen hierher.“
Sara nahm Trions letzte Worte, kaum mehr wahr. Ihre Gehirnzellen arbeiteten auf Hochtouren. Irgendeine Erklärung musste es doch für diese absurde Situation geben! Auf einmal ging ihr ein Licht auf und sie rief: „Die Bäume! Ja es müssen diese Birkenbäume gewesen sein!“
Trion schaute etwas verwirrt drein und Sara erzählte ihm nun die ganze Geschichte. „Als ich zwischen diesen Bäumen, mit den verflochtenen Kronen hindurchritt, hatte ich auf einmal das Gefühl, ich würde von einem grossen Spinnennetz gestreift und ab da… kannte ich mich nicht mehr aus. Genau! Diese beiden Bäume müssen wohl eine Art Portal zwischen den Welten gebildet haben.“
„Aber… das ist unmöglich! Es gibt keine solchen Portale von Welt zu Welt. Gäbe es sie, würde das ein gewaltiges Chaos anrichten.“
„Aber vielleicht hat sich ja etwas verändert. Ich hörte, dass grosse Umwälzungen im ganzen Omniversum im Gange sind. Vielleicht gibt es dadurch jetzt mehr Portale zwischen den Welten.“
„Das kann ich mir nur schwerlich vorstellen. Ich müsste wohl die beiden Bäume mal genauer in Augenschein nehmen. Würdest du denn den Weg dorthin zurückfinden?“
„Das kann ich nicht sagen. Ich war, seit ich dieses Baum Tor durchschritt ziemlich orientierungslos.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. Wenn das alles wirklich wahr ist, dann ist dir etwas Einzigartiges widerfahren. Normalerweise stehen Sphärentore nicht so einfach in der Gegend rum. Deine Anwesenheit hier, muss also eine tiefere Bedeutung haben.“
„Meinst du wirklich?“
„Ja und ich habe da auch schon eine Vermutung. Wie fühlst du dich, fühlst du dich imstande kurz mit mir zu kommen?“
„Nun ja, mein Kopf schmerzt zwar noch immer ziemlich, aber es wird schon gehen.“
Sara erhob sich langsam und Trion unterstützte sie mit seinem Arm. Die anderen Anwesenden, wichen ehrfürchtig zur Seite aus und musterten Sara eingehend, dabei tuschelte sie teilweise aufgeregt miteinander.
Die junge Frau verstand nicht, warum sich hier alle so seltsam verhielten und versuchte es so gut als möglich zu ignorieren. Trion führte sie in ein weiteres, etwas kleinere Kellergewölbe. Dieser war besonders hell erleuchtet.
Die Trolle hatten hier einen behelfsmässigen Altar aufgestellt, der jenem ähnelte, den sie vorhin gesehen hatten. Auch hier prangte an der Wand darüber eine gemalte Sonne, jedoch mit einem gleichschenkligen Kreuz in ihrem Zentrum. Doch da war noch etwas anderes und das nahm Saras Aufmerksamkeit nun fast gänzlich in Anspruch. Es war ein grosses, äusserst lebensechtes Ölgemälde, das neben der Sonnenfreske hing und dieses zeigte…
„Aber…“ stotterte die Frau „das kann nicht sein. Das… bin ja ich! Aber wie…“ Die Worte erstarben auf ihren Lippen. „Wer… hat das gemalt?“
„Das wissen wir nicht. Wir haben dieses Gemälde damals hier unten gefunden, als wir diese Räumlichkeiten entdeckten. Hinten auf der Leinwand stand dann, dass es Tri- Chan zeigt.“
„Tri- Chan? Wer ist das?“
„Sie soll eine unserer Vorfahrinnen gewesen sein, eine ganz besondere Vorfahrin, noch dazu...