Die Welt des Eichengeistes
Die drei Wundereicheln
Pia
Beeindruckt und zugleich sehr aufgewühlt, bleiben wir einen Moment lang schweigend, am Ufer des kleinen Teiches, stehen. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, ist die Zeit schon wieder ziemlich fortgeschritten. „Irgendwie muss ich mich erst wieder etwas sammeln, bevor ich meditieren kann,“ spreche ich schliesslich an meine Begleiter gewandt. „Wollen wir noch eine kurze Pause dort unter jener schönen Eiche machen und eine kleine Stärkung zu uns nehmen?“
„Ja, das würde ich auch begrüssen,“ erwiderte Manuel „diese seltsame Vision klingt immer noch in mir nach und ich fühle mich in diesem Zustand noch nicht dazu fähig, mich auf unser eigentliches Ziel- den blauen Kristall, zu fokussieren. Ich habe Angst an einem falschen Ort zu landen.“
„Am besten gleich beim schwarzen Ritter, damit wir ihm den Garaus machen können,“ meinte Benjamin mit Groll in der Stimme. „So einfach wird dieser nicht zu besiegen sein,“ gebe ich zu bedenken. „Wir müssen uns gut vorbereiten und können nicht riskieren, dass durch eine frühzeitige Konfrontation mit den Rittern, unsere eigentliche Mission gefährdet wird.“ „Ist schon klar, war auch nur halb ernst gemeint. Aber gerade spüre ich sehr viel Wut in mir. All die Opfer, die diese Ritter schon gefordert haben und noch haben wir keinen Plan, was wir gegen sie tun können. Ich glaube kaum, dass sie sich so einfach ausschalten lassen.“
„Das glaube ich auch nicht,“ stimmte ihm Malek zu, während wir uns alle unter die Eiche setzten und unsere Lunchpakete und etwas zu trinken aus unseren Beuteln nahmen.
Ich lehne mich an den Stamm des mächtigen Baumes, welcher schon uralt und knorrig ist. Das weite, grüne Blätterdacht, breitet sich wie ein schützender Schirm über uns aus. Ich glaube förmlich das Leben in diesem Baum pulsieren zu fühlen. Es erscheint mir wie ein Herzschlag, der sich immer mehr mit meinem Herzschlag verbindet. Ich liebte Bäumen schon immer. Sie sind beseelt von besonders weisen, liebevollen und freundlichen Geistern und haben mir schon oft Trost gespendet. Ich rede oft mit den Baumgeistern, seit ich damals als Kind erfuhr, dass alles beseelt ist. Wie viele, gute Ratschläge habe ich von den Baumgeistern schon erhalten. Ach, wenn mir der Geist dieser Eiche nur auch helfen könnte, Antworten auf die zahllosen Fragen zu finden, die mich gerade quälen. Wenn ich nur daran denke, wie aussichtslos unsere Situation gerade scheint. Am liebsten würde ich ganz in der stillen Präsenz dieses Baumes versinken und alle Sorgen vergessen! Und ohne es mir wirklich bewusst zu sein, verbinde ich mit intensiv mit dem Geist der Eiche und befinde mich auf einmal an einem gänzlich anderen, seltsamen Ort!
Ich stehe in einem halbdunklen Gang, dieser Gang scheint irgendwie innerhalb des Baumes zu sein, denn seine Wände und seine Decke bestehen aus demselben Holz wie der Stamm, an den ich gerade gelehnt bin. Eigenartige Blumen und Pflanzen wachsen hier, die irgendwie magisch leuchten. Es riecht nach Holz, Harz und Erde. Etwas weiter vorne, erblicke ich ein Licht und gehe darauf zu. Es wird heller und heller und schliesslich stehe ich in einem Art Gewölbe, wo sich rundherum seltsame, fensterartige Öffnungen befinden, die so hoch sind wie Terrassentüren. Eine klare, aber irgendwie fliessende Substanz, durch die man jedoch hindurchsehen kann, befindet sich anstelle von richtigen Scheiben dazwischen. Das ganze Gewölbe ist ein wunderschöner Garten, in welchem ebenfalls herrliche Blumen, in allen leuchtenden Farben, blühen. Eine etwas erhöhte Plattform befindet sich genau in der Mitte des Gartens und dort sitzt auf einem bequemen Sessel eine uralte Frau! Sie trägt ein langes Gewand, ganz aus Eichenblättern und eine, ebenfalls aus Blätter gefertigte Haube, die mit Eicheln und Blumen verziert ist. Als ich nähertrete, lächelt die Frau freundlich und ihre tiefgrünen Augen blitzen.
„Hallo mein liebes Kind, schön, dass du mich hier besuchst!“
„Wo um alles in der Welt bin ich?“ frage ich erstaunt.
„Kannst du dir das nicht denken? Du bist im Inneren der Eiche! Ich bin ihr Geist, oder ihre Seele, wie immer du es nennen magst.“
„Ich bin… im Innern eines Baumes?! Aber wie…?“
„Du bist sehr bedrückt und hast bei mir Zuflucht gesucht.“
„Aber… so etwas habe ich niemals beabsichtigt!“
„Die wundervollsten Dinge passieren immer dann, wenn man es am wenigstens erwartet!“ lächelt die Eichenfrau „wenn man das Denken ausschaltet und sich einfach mit dem Leben verbindet, erhält man oft die grössten Geschenke!“
„Aber… so etwas ist mir noch nie passiert. Ich habe zwar schon oft unter Bäumen meditiert und mich mit ihnen verbunden. Ihre Geister erschienen mir auch manchmal, aber noch nie…“
„Hat dich einer in sein Reich eingeladen. Nun, einmal ist immer das erste Mal!“ wieder lächelt der Baumgeist verschmitzt.
„Aber… warum?“
„Du und deine Begleiter befinden sich gerade in einer sehr schwierigen Phase und darum wollte ich dir etwas geben.“
Die Eichenfrau fasst in ihre Haube und entfernt drei Eicheln daraus. „Das hier,“ spricht sie dann „sind ganz besondere Wunder- Eicheln. Wenn du einen Wunsch hast, sprich in aus und wirf die Eichel auf den Boden, dann wird er sich erfüllen, sofern er sich nicht mit der ewig, göttlichen Ordnung widerspricht.“
Ich nehme die Eicheln ehrfürchtig an mich und muss an ein Märchen denken, dass ich schon immer sehr geliebt habe. Darin waren es jedoch Zaubernüsse und keine Eicheln gewesen, die Wünsche erfüllt hatten. „Aber wie kann ich wissen, welche Wünsche der göttlichen Ordnung entsprechen?“ „Du wirst es fühlen und wenn doch nicht, dann reagieren die Eicheln einfach nicht, dann kannst du sie wieder einstecken und weiterverwenden. Wurde dir jedoch ein Wunsch erfüllt verschwindet die Eichel. Überlege darum stets gut, für was du sie einsetzen willst.“
„Da muss ich nicht lange überlegen. Ich wünsche mir einfach, dass die schlimme Seuche, welche alle Welten des Omniversums gerade heimsucht, ein für alle Mal vom Erdboden getilgt wird!“
„Für solch grosse Dinge, haben meine Eicheln leider nicht genug Kraft!“ „Dann nehme ich auch nicht an, dass wir damit die Ritter, die neuerdings überall ihr Unwesen treiben, damit verschwinden lassen können?“
„Ach mein Kind, wenn es so einfach wäre… du weisst doch selbst, dass dies nicht möglich ist. Denn auch wenn diese schrecklichen Ritter grosses Elend über die Lebenden bringen, sind sie doch auch das Ergebnis der Dunkelheit, in so manchen Herzen. Ansonsten würde ihre Macht gar nicht so gross sein.“
Ich nicke nachdenklich. Ja damit hatte die Eichenfrau wohl recht. Die Ritter mussten aus einer Finsternis entstanden sein, die schon seit längerem bestanden hatte.
„Aber was soll ich mir denn dann wünschen? Ich weiss es wirklich nicht!“ spreche ich verzweifelt.
„Du wirst es wissen, wenn der richtige Moment kommt. Verliere nicht den Mut, verfolge dein Ziel weiter und bedenke, dass ihr stets geführt und geleitet worden seid! Vertraue weiter und lass dich nicht von Kummer und Unsicherheit übermannen, dann wird sich alles zum Guten wenden!“
Der Baumgeist beugt sich nun etwas vor und nimmt liebevoll meine Hände in seine. Eine wohlige Wärme durchströmt mich und mein Herz wird wirklich etwas getröstet. Ich spüre dabei eine ganz besondere Geborgenheit, welche mir die Bäume schon so oft vermittelt haben. Nur war es diesmal noch intensiver, weil der Baumgeist mich diesmal höchstpersönlich berührte.
„Du meinst… wir schaffen es?“ frage ich hoffnungsvoll.
„Aber natürlich schafft ihr das! Davon bin ich überzeugt. Vertraut auf die Führung des Grossen Geistes, der in allem und durch alles lebt. Er kann euch zum Ziele führen, er weiss um alle Wahrheiten und er ist auch IN euch! Denke stets daran! Ihr habt eure Bestimmung, wie ich die meine habe, indem ich zur Wächterin der Sieben Pforten erwählt wurde. Warum gerade ich, ich weiss es nicht. Aber es ist nun mal so.“
Ich schaue auf die Öffnungen, die sich in dem Garten in dem wir stehen, überall befinden und tatsächlich sind es insgesamt sieben Stück!
Die Eichenfrau erhebt sich und geht zu einem der Tore. „Schau hindurch!“ weist sie mich an. Ich tue wie mir geheissen und jenseits des einen Portals, erblicke ich eine rötlich-gelbe Einöde, mit zerklüfteten Felsen und Bergen. Die Sonne scheint mit gleissender Helligkeit darauf. Alles ist vollkommen ausgetrocknet, mit Ausnahme eines kleinen Rinnsals, das sich zwischen der unwirtlichen Felsenlandschaft hindurch windet und dessen Ränder von grünen, kleinen Pflänzchen und Blumen gesäumt sind.
„Ich… kenne diesen Ort!“ rufe ich aus. „Es ist das Reich der Feuergeister. Damals mussten wir dorthin, um das Feuer der ewig, göttlichen Liebe zu holen, womit wir den Zauberer Malek wieder zum Guten zu führen vermochten.“
„Richtig,“ stimmt mir der Baumgeist zu. „Dieses Fenster, oder vielmehr diese Pforte, führt in jene Welt, ebenso wie die anderen sechs Pforten, die meisten führen in die verschiedensten Elementwelten.“
„Das heisst, ich könnte da einfach hindurchgehen und… wäre dort?“ „Richtig!“
„Faszinierend! Dann hast du eine ähnliche Funktion, wie Aurelia die Kristallfrau?“
„Nicht ganz, Aurelia kann alle Pforten öffnen, ich habe nur Zugang zu diesen sieben hier und auch sie haben sich erst vor kurzem geöffnet. Dagewesen sind sie schon so lang ich denken kann, aber ich konnte sie zuvor nicht durchqueren, bis vor einigen Wochen. Auf einmal gingen sie auf und eine geheimnisvolle Stimme sprach zu mir: „Sei gegrüsst, Wächterin der Sieben Pforten! Die Vereinigung des Omniversums ist nah! Sei bereit und stets auf der Hut!“ Seit diesem Ereignis frage ich mich ständig, was es mit diesen Pforten auf sich hat und warum sie sich vor allem auf einmal geöffnet haben. Ich werde wohl darauf warten müssen, dass die Antworten zu mir kommen…“ „Das muss ich vermutlich auch,“ seufze ich. „Ich hoffe einfach, es werden sich bald einige meiner vielen Fragen lösen. Auf jeden Fall, danke ich dir sehr für deine Gastfreundschaft, liebe Eichenfrau und für die Wunder- Eicheln. Ich werde sie in Ehren halten. Leider muss ich nun wieder gehen. Die anderen warten auf mich.“
„Ich hoffe sehr, Aurelia weiss einen Rat, wie man diese Seuche und die Ritter bekämpfen kann.“
„Das hoffe ich auch! So leb denn wohl, Wächterin der Sieben Pforten!“ „Du bist mir immer willkommen Grosse Führerin, dasselbe gilt auch für deine Begleiter, denn ich weiss, dass ihr alles daransetzt, um das Omniversum zu retten! Solltet ihr mal eins dieser Tore hier brauchen, lasst es mich wissen!“ Tief berührt erwidere ich: „Tausend Dank lieber Eichengeist! Das bedeutet mir sehr viel." Dann drehe ich mich um und verlasse das Innere des Baumes wieder.