Tee- Zeit bei einem Eichengeist
Benjamin wurde immer nervöser, weil er es einfach nicht schaffte, tiefer in die Meditation einzusinken. Immer und immer wieder huschte das Gesicht von Sara durch seinen Geist. Er wollte hier doch eigentlich gar nicht fort, doch… er musste. Er durfte seine Aufgabe als Grosser Führer nicht so sträflich vernachlässigen.
Nach einigen weiteren, erfolglosen Versuchen, die nötige Geistestiefe zu erlangen, wurde ihm klar, dass er Hilfe benötigte. Er würde wohl die Eichenfrau aufsuchen müssen und eine ihrer Pforten benutzen, wenn… es dort überhaupt eine Pforte ins Kristallreich gab. Nun, er musste es zumindest versuchen. Er schaute sich kurz um, um sich zu orientieren und machte sich schliesslich auf den Weg zu dem weisen Baum.
Schon bald erreichte er die knorrige, alte Eiche. Ihre angenehme, stille Präsenz, tat ihm sehr gut und er rief laut: „Liebe Eylana, du weiser Geist der Eiche, hier ist Benjamin Turner. Ich brauche dringend deine Hilfe! Du sagtest doch, dass wir dich jederzeit aufsuchen können, wenn wir eins deiner Portale benutzen wollen. Es wäre wieder einmal so weit. Bitte zeige dich mir!“
Eine ganze Weile geschah nichts und Benjamin rief noch einige weitere Male nach dem Eichengeist. Auf einmal begannen die Blätter des mächtigen Baumes leise zu rascheln und im oberen Teil des Stammes, tauchte das furchige Gesicht von Eylana auf. Ihre grünen Augen musterten ihn einen Moment lang prüfend. Dann fragte sie: „Bist du nicht der Bruder von Pia, der ich einst meine drei Wundereicheln geschenkt habe?“
„Ja genau,“ erwiderte Ben erleichtert.
„Was ist diesmal dein Begehr?“
„Ich würde… gerne eins deiner Portale benutzen,“ sprach der blonde Mann und neigte dabei ehrfürchtig sein Haupt.
Der Eichengeist schaute sich suchend um. „Sind Pia und dieser Magier diesmal nicht bei dir?“
„Nein leider nicht und das ist eben das Problem.“
Benjamin berichtete dem Eichengeist nun von seiner Not und dieser nickte verständnisvoll. „Das ist natürlich eine verzwickte Angelegenheit. Leider jedoch… gibt es in meinem Baum kein Portal ins Kristallreich.“
„Beim Grossen Schöpfer, das darf doch nicht wahr sein! Aber… was soll ich denn jetzt machen? Pia und Malek machen sich bestimmt schon grosse Sorgen, weil ich ihnen nicht wie üblich gefolgt bin. Solche Schwierigkeiten hatte ich noch nie mit der Sphärenwanderung.“
„Du warst vermutlich auch noch nie so verliebt,“ meinte der Eichengeist und ein leichtes Schmunzeln erschien auf seinem weisen Gesicht.
„Ja, das stimmt allerdings. Dennoch müsste ich da doch drüber stehen.“
„Das ist oft einfacher gesagt als getan. Eigentlich zeigt es ja nur, wie eng du und Sara wirklich verbunden seid.“
„Aber… meine Gefühle zu ihr, dürfen doch meine Mission nicht auf solche Weise gefährden!“
Eylana wiegte ihren Kopf in ruhiger Gelassenheit hin und her und sprach: „Mach dir keine zu grossen Sorgen. Manchmal brauchen Dinge einfach ihre Zeit.“
„Aber, ich habe keine Zeit. Ich muss zu Pia und Malek und dann mit ihnen zusammen ins Erdreich.“
„Ach ihr Zweibeiner, immer seid ihr auf Achse. Dabei liegt in der Ruhe oft die Kraft.“
„Das hilft mir jetzt nicht wirklich weiter,“ gab Benjamin etwas ungeduldig zur Antwort.
„Ach was! Komm erst einmal herein und trink einen Tee mit mir, dann wird sich alles schon fügen.“
In diesem Moment öffnete sich, wie schon einmal, eine kleine Pforte im knorrigen Stamm der Eiche und Eylana forderte Ben mit einer einladenden Geste dazu auf, einzutreten.
Auch wenn das dem blonden Mann gerade überhaupt nicht passte, wollte er doch nicht unhöflich sein und deshalb trat er, nach einigem Zögern, hinein in die angenehme, schattige Kühle der Eichenwelt.
Die Eichefrau führte ihn zu ihrer mit Blumen umgebenen Pergola, die von den sieben Pforten erhellt wurde und bat ihn Platz zu nehmen. Mit einer eleganten Handbewegung zauberte sie einen Teeservice herbei, dessen Krug mit heissem Tee gefüllt war. Sie goss dem blonden Mann eine Tasse davon ein und reichte ihm diese mit einem freundlichen Lächeln. „Trink, dann wird es dir bald besser gehen!“ forderte sie ihn auf.
Ben roch etwas misstrauisch an dem dampfenden Gebräu. „Was ist da drin?“ fragte er.
„Ach unterschiedliche Kräuter, Blumen und einige weitere, magische Zutaten.“
„Der Tee riecht eigentlich ganz gut.“
„Ja, und er schmeckt auch.“ Mit diesen Worten nahm die Eichenfrau selbst einen Schluck aus ihrer Tasse.
Benjamin tat es ihr nun nach, denn bisher hatte es Eylana schliesslich stets gut mir ihm und den anderen gemeint.
Als er einige Schlucke getrunken hatte, kehrte auf einmal eine wundervolle Ruhe in seinen unruhigen Geist ein und eine tiefe Entspannung breitete sich in seinem Körper aus. Die Farben um ihn herum, wurden immer intensiver und die verschiedenen Lichtquellen, die ihn umgaben, bekamen einen goldenen, magischen Schein.
„Was… passiert da mit mir?“ fragte er die Eichefrau und liess seine Hand mit der Teetasse sinken. „Waren da etwa irgendwelche Drogen drin?“
„Oh nein, keine Drogen. Aber einige Zutaten, die dir dabei helfen werden, dich besser zu fokussieren. So wird es dir leichter fallen, eine weitere Sphärenwanderung zu unternehmen.“
Benjamin erhob sich leicht schwankend und nahm einen der Blumenkelche in seine Hand. „Unglaublich! Ihre Farben sind viel intensiver und ich sehe sogar die leuchtenden Lebensfunken in ihr und den anderen Pflanzen hier!“
Er ging nun zu einem der Sphären Tore. Es war jenes, welches ins Luft- Reich führte. „Hinter dem Tor scheint auch alles von einem goldenen Leuchten durchwebt.“
„So ist es. Der Tee erweitert nämlich auch dein Wahrnehmungen.“
„Aber… was ist das?!“ Ben hielt innen und ging noch näher an die Pforte heran. „Da oben… ist eine Stadt. Im Himmel! Siehst du sie auch? Ist das… die Heimstatt der Alten Windfrau?“
Eylana trat ebenfalls näher heran. „Du hast Recht! Da ist tatsächlich eine Stadt! Sie muss eben erst aufgetaucht sein. Allerdings weiss ich ehrlich gesagt nicht, ob es sich dabei tatsächlich um die Heimstatt der Alten Windfrau handelt… Du jedoch, müsstest es eigentlich wissen, denn du warst ja schon mal dort.“
„Woher weisst du, dass ich schon mal dort war?“ fragte Benjamin erstaunt. „Hat Pia dir davon erzählt?“
„Nein, es war der Wind.“
„Der Wind?“
„Ja, ich spreche oft mit dem Wind und seinen Geschöpfen. Sie lieben es in meinen Zweigen und Blättern zu spielen. Besonders wenn es stürmt, haben sie einen Heidenspass. Ab und zu muss ich sie dann darum bitten, sich nicht allzu wild zu gebärden, weil sonst meine alten Äste gerne abbrechen. In solchen Momenten erzählen wir einander dann gegenseitig die neuesten Geschichten. Darum weiss ich, dass du und auch Pia schon im Schloss der alten Windfrau eingeladen wart und du müsstest dieses eigentlich erkennen.“ Noch einmal musterte Ben die Stadt, die jenseits des Tores aufgetaucht war, eingehend.
„Ich weiss nicht… diese Stadt sieht irgendwie anders aus als das Schloss der Windfrau. Erstens mal handelt es sich bei dieser Erscheinung hier um eine wirkliche Stadt, sie ist viel grösser als das Schloss. Ausserdem wirkt sie etwas fester als das Wolkenschloss. Und da führt eine Treppe nach oben. Diese sieht wiederum wie eine Wolkentreppe aus und sie geht oberhalb der Stadt noch weiter. Was um alles in der Welt ist das?“
„Ich kann es dir nicht sagen. Aber schau mal, da ist jemand auf der Treppe!“ Ben kniff angestrengt die Augen zusammen und tatsächlich… auf der Treppe waren nun drei winzig kleine Personen erschienen.
„Du hast Recht. Wenn ich nur näher herankäme, damit ich mehr erkennen könnte.“
„Der Vorteil meines Tees ist, dass du auch gewisse Einzelheiten besser fokussieren kannst,“ meinte Eylana lächelnd. „Versuch es doch einfach mal! Richte deine ganze Aufmerksamkeit auf die Leute auf der Wolkentreppe und du wirst schon sehen!“ Benjamin tat wie ihm geheissen, auch wenn er noch so seine Zweifel hatte und tatsächlich…! Auf einmal war ihm, als würde er durch ein Objektiv blicken, das einen unglaublich starken Zoom besass. Die Szenerie auf der Treppe rückte näher und näher und dann erkannte er die Personen auf der Treppe. „Das sind meine Eltern!“ rief er begeistert. „Es sind tatsächlich meine Eltern! Und bei ihnen ist die Alte Windfrau! Was um alles in der Welt bedeutet das?“