Die Lehren des Erden- Greifs
Am nächsten Morgen, ganz in der Früh, stand dann tatsächlich ein weiterer, eindrucksvoller Mann, der Manuel noch unbekannt war, an seinem Bett. Er war etwas muskulöser, als der rotgewandete Greifen- Mann und sein schulterlanges Haar war braun, ebenso wie seine von dichten Brauen überschatteten Augen. Er trug einen gut gestutzten Vollbart, seine Kinnpartie war markant und sein Wams und seine Hosen, bestanden aus goldbraunem Leder. Das musste der Erden- Greif sein!
Manuel blinzelte und rieb sich die verschlafenen Augen, dann meinte er: „Äh, guten Morgen. Bist du womöglich der Erden Greif?“
„Der bin ich!“ erwiderte der Mann mit einem leicht spöttischen Lächeln auf seinem ebenmässigen Gesicht. „Es wird Zeit, dass du mal etwas in die Puschen kommst. Eigentlich hätte ich ein wenig mehr Disziplin von dir erwartet, weil du ja wusstest, dass ich komme.“
„Tut mir leid, ich dachte… du wirst dich dann schon bei mir melden. Ich wusste ja nicht, wann du kommst.“
„Also gut, dann habe ich hier gleich die erste Lektion für dich: „Der frühe Vogel fängt den Wurm. Ab heute, wirst du jeweils um halb sieben Uhr morgens für das Training mit mir bereit stehen.“
„Das ist aber ziemlich früh, beim Feuer- Greif durfte ich immer etwas später beginnen. Ausserdem muss ich noch frühstücken.“
Der Greifen Mann runzelte verärgert seine Stirn. „Du scheinst ja ziemlich verwöhnt zu sein. Kein Wunder hat unser roter Bruder mich hergeschickt.“ Manuel spürte nun ebenfalls Ärger in sich aufsteigen. „Du könntest ruhig etwas freundlicher sein. Immerhin wollt ihr mich ja unbedingt zum Fürsten der neuen Welt ausbilden. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich einfach im Kristallschloss geblieben und hätte mich dort um Dinge gekümmert, die mir wirklich Spass machen, statt hier in dieser Einöde irgendwelche Trainings zu absolvieren.“
„Ich sehe schon, es besteht noch einiges an Lernbedarf bei dir. Los steh jetzt auf! In fünf Minuten musst du bereit sein. Dann zeige ich dir erst einmal, wie man ein richtiges Frühstück zubereitet, welches den Magen vor einem harten, körperlichen Training nicht zu sehr beschwert und dir doch genug Energie liefert, um das alles durchzustehen.“
„Um das alles durchzustehen?“ dachte Manuel bei sich, während er begann sich anzukleiden „das klingt ja ziemlich heftig. Ich mache mich wohl am besten auf das Schlimmste gefasst.“
Während der Junge sich für den Tag bereitmachte, packte der Greifen Mann einige Esswaren, die er mitgebracht hatte, aus. Manuel linste neugierig zu ihm herüber. Das alles sah tatsächlich sehr lecker aus. Es gab einige frische Beeren, Bananen, Milch, Quark, Hanfsamen und Haferflocken. Sogar etwas Kakaopulver war dabei.
Die Aussicht auf diese doch recht leckeren Dinge, gab dem 20- jährigen neuen Auftrieb und er schaffte es tatsächlich in genau fünf Minuten bereit zu stehen.
„Wir werden mit diesen Zutaten nun ein nahrhaftes, energiespendendes Müsli herstellen,“ erklärte ihm der Greifen- Mann.
„Das alles sieht wirklich sehr ansprechend aus,“ freute sich der Junge. „Eigentlich habe ich in letzter Zeit nur wenig abwechslungsreiche Nahrung zu mir genommen.“
„Eine gute Ernährung ist eine wichtige Basis, für ein erfolgreiches Training. Du kannst mir gleich beim Zubereiten des Frühstücks helfen. Fang schon mal an die Bananen zu schneiden…“
Und so kam es, dass Manuel und sein neuer Lehrmeister den Tag mit einem gehaltvollen und erstaunlich leckeren Müsli begingen.
Während der Zubereitung lernten sich die zwei etwas besser kennen und zwischen ihnen brach langsam das erste Eis.
Nach dem Frühstück meinte der Lehrmeister: „Dann fangen wir jetzt also an. Komm vors Haus!“
„Aber es ist noch dunkel und ausserdem extrem kalt.“
„Dir wird schon sehr bald wieder warm werden. Na los!“
Zuerst machten die beiden einige Stretching und Aufwärmübungen, dann meinte der Greifen Mann: „Als nächstes werden wir mit etwas Lauftraining beginnen.“
Da über Nacht jedoch frischer Neuschnee gefallen war, erwiderte Manuel erschrocken: „Aber bei dem Schnee, kann man doch nicht richtig laufen!“ „Dennoch wirst du es tun. Du scheinst ja ein ziemliches Faultier zu sein.“ Wieder stieg Ärger in dem Jungen hoch und er sprach unwirsch: „Ist ja gut. Ich werde es versuchen!“
„Tu das, ich warte hier auf dich. Du kannst jenen Hügel zu dem kleinen Wäldchen hochlaufen und wieder zurück.“
„Du läufst nicht mit?“
„Nein, ich brauche ja schliesslich kein Training. Wir Greifen sind von Natur aus sehr kräftig und fit.“
Der Ärger in Manuel steigerte sich immer mehr zu einem ausgewachsenen Zorn, doch er riss sich zusammen. Immerhin waren die Greife hochstehende Wesen, die bestimmt wussten, was es brauchte, um gegen gefährliche Feinde anzutreten. So begann er, wenn auch widerwillig, mit dem Laufen und kam sich dabei vor wie die Hauptfigur in einem Rocky Film. (https://de.wikipedia.org/wiki/Rocky_(Filmreihe))
Das Laufen durch den Schnee, war wie vermutet, eine unglaublich anstrengende Angelegenheit. Teilweise sank der Junge bis zu den Hüften in der weissen Pracht ein, denn er trug ja nicht, wie üblicherweise, Schneeschuhe oder Skier. So erschien ihm der Weg zu den kleinen Wäldchen diesmal unendlich lange. Schweiss lief ihm über die Stirn und er schnaufte wie eine Lokomotive. Bereits jetzt tat ihm alles weh und die Kälte des Schnees, der überall in seine Schuhe und Kleidung drang, machte das Ganze nicht unbedingt erträglicher. Teilweise musste er innerhalten, um nicht zusammenzubrechen und die Wut auf seinen neuen Lehrmeister wuchs zusehends.
Nach einer endlos scheinender Zeit kehrte Manuel dann wieder zur Hütte zurück. Doch der Greifen- Mann hatte bereits die nächsten Aufgaben für ihn. Manuel musste nun Holz im Akkord spalten und mit einem Baumstamm Gewichtheben üben.
Als es Mittag wurde, war Manuel schon so erschöpft, dass er sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Wenigstens hatte sein Lehrmeister ihm während der ganzen Plackerei eine weitere Mahlzeit zubereitet. Es war ein Schinken- Käse Omelett mit etwas Salat dazu. Der junge Mann stürzte sich hungrig darauf und murmelte zwischen zwei Bissen ein: „Danke!“
Der Greifen Mann ass diesmal nicht mit, doch er musterte seinen Schüler eingehend und wortlos. Es war, als würde er dadurch herausfinden wollen, wie es diesem gerade ging.
Manuel war die ganze Situation etwas unangenehm und er fragte: „Isst du denn nicht mit?“
„Nein, ich denke du brauchst das Essen mehr als ich.“
„Das stimmt allerdings. Dieser Morgen war unglaublich anstrengend.“
„So soll es ja auch sein. Mit der Zeit wird dir jedoch alles leichter fallen.“ „Ich weiss nicht so recht. Ich fand das Ganze ziemlich übertrieben. Besonders das Laufen durch den Schnee.“
„Oh nein, es ist nicht übertrieben. Warum, das hat dir mein roter Bruder bestimmt schon erklärt.“
„Nun ja, ich muss scheinbar gegen einige sehr üble Gesellen antreten, die von den drei bösen Rittern unterstützt werden.“
„So ist es. Wenn du das aber weisst, warum haderst du noch immer so damit, richtig hart zu trainieren?“
„Weil ich nicht glaube, dass ich so viel Fitness dazu brauche. Ich habe schliesslich meine Waffen und hoffentlich später auch wieder magische Fähigkeiten.“
„Das reicht nicht. Um die Waffen gut zu führen, ist eine gute Fitness unerlässlich und die Magie wirst du nur meistern, wenn du auch deinen Körper meisterst.“
„Also gut,“ Manuel seufzte „was also soll ich als Nächstes tun?“
„Zuerst machst du jetzt mal eine Stunde Pause, um zu verdauen. Danach sehen wir weiter.“
„Ich darf tatsächlich eine Pause machen?“
„Ja, aber wie gesagt, nur eine Stunde.“
„Das ist grossartig!“ Manuel warf sich auf sein Bett und gleich darauf war er eingeschlafen.
Genau eine Stunde später, wurde er jedoch erneut von seinem Lehrmeister aus dem Schlaf gerissen. „Es geht weiter!“ rief dieser mit zackigem Tonfall in der Stimme.
Manuel stöhnte. Er hatte so tief geschlafen, dass er kaum wieder wach wurde. Doch der Erden Greif war gnadenlos.
Den Rest des Tages ging es weiter mit dem intensiven Training. Noch einmal musste Manuel hinauf in den kleinen Wald laufen und dort, in Rekordzeit, mit dem Beil einen dicken Baum fällen. Diesen Baum schleppte er dann wieder zurück zur Hütte. Dabei half ihm der Greifen Mann wenigstens ein Bisschen.
Bei der Hütte angekommen musste er den Stamm des Baumes entasten und mit einer Handsäge in kleinere Stücke schneiden. Diese Arbeit war ihm zwar bereits vertraut, aber die Schnelligkeit, mit der er diese verrichten musste, zerrte doch sehr an seinen Kräften.
Auch Schneeschaufeln stand noch auf dem Programm und das ebenfalls in Rekordzeit. Manuels Rücken schmerzte mittlerweile schrecklich und er konnte kaum mehr gehen.
Endlich wurde es wieder Abend und der junge Mann schleppte sich zurück ins Haus, wo er seinem Lehrmeister auch noch beim Kochen helfen musste. Das ärgerte den Jungen erneut ziemlich, denn er fand, dass er nach so einer Plackerei nicht auch noch hätte kochen müssen.
Wenigstens war das Mahl jedoch sehr lecker und gehaltvoll, denn der Greifen Mann hatte wirklich einige sehr gute Lebensmittel mitgebracht. Am Ende musste Manuel noch den Abwasch machen und erst dann, durfte er sich auf dem Sofa niederlassen. Sogleich schlief er dort erneut ein.
Die sanfte Berührung einer Hand weckte ihn eine Weile später wieder. Neben ihm sass der Greifen Mann. In seiner Hand hielt er eine Tasse mit heissem Tee. „Willst du?“ fragte er freundlich.
Manuel blickte seinen neuen Lehrmeister etwas distanziert an.
„Du bist verärgert, habe ich recht?“ fragte der Erdengreif.
Der Junge war etwas erstaunt über diese Frage, antwortete jedoch ehrlich: „Naja, ein Bisschen schon. Ich finde, zu hast mir heute viel zu viel abverlangt. Ich bin mich das alles noch gar nicht gewöhnt. Warum können wir es nicht etwas langsamer angehen?“
Der Greifen Mann übergab Manuel die Teetasse und erwiderte nachdenklich: „Unter normalen Umständen, würde ich das ja auch so machen. Aber leider drängt die Zeit. Slavzow, Al Aziz und Meszaros werden immer gefährlicher und nun da der amerikanische Präsident Davis so unvernünftig war und als Erster mit seinen Bomben angegriffen hat, spitzt sich die Lage zu.
Die bösen Ritter werden nicht eher ruhen, bis sie die Erde und auch alle sie umgebenden Welten, vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Mutter Erde..., sie leidet schreckliche Qualen und wenn jemand die ersten Atombomben zündet, dann wird alles noch schlimmer. Die Erdkruste wird aufplatzen und schreckliche Katastrophen und Plagen, werden über die Welt hereinbrechen. Die Hohen Geister und viele andere, arbeiten auf Hochtouren, um den Schaden einzugrenzen und du musst deshalb unbedingt diese Staatsmänner aufhalten. Du weisst, wir Greife sehen durch alle Zeiten, sehen alle Möglichkeiten, all ihre Varianten und kennen die daraus resultierenden Folgen. Darum vertraue uns, vertraue… mir. Ich tu das alles nicht, um dich zu quälen. Ich tu es, weil es nicht anders geht. Es ist von grosser Wichtigkeit, dass du deine Kräfte mehr und mehr entfaltest. Im Kampf gegen diesen grausamen Feind, ist Ausdauer sehr wichtig. Dein Körper muss gestählt werden, damit du lange genug ihren Angriffen standhalten kannst. Auch Magie braucht übrigens Energie. Dein Körper, welcher vollends im Einklang mit Geist und Seele sein muss, ist mit einem Art Reaktor zu vergleichen. Du sammelst in ihm all die nötigen Energien, um diese dann zur richtigen Zeit und in der richtigen Dosis wieder abzugeben. Sobald du gelernt hast, diese Kräfte richtig zu nutzen, wirst du zu Unglaublichem fähig sein. Das setzt jedoch ein hartes Training voraus. Verstehst du das?“
Manuel schaute nachdenklich in seine Teetasse, dann erwiderte er: „Ja, ich verstehe. Tut mir leid, dass ich mich so verhalten habe.“
„Das ist schon in Ordnung. Ich kann dich wirklich verstehen. Dennoch… es geht nicht anders.
„Ja, ist klar. Ich werde mich in Zukunft etwas mehr anstrengen.“
Der Greifen Mann lächelte nun und legte Manuel die Hand auf die Schulter. Es wird jetzt täglich leichter werden, glaub mir.“
Und Manuel hoffte, das dies wirklich so sein würde.