Alwiana - Amazone der Meere
Als sie sich jedoch umblickten, erschraken sie. Nichts mehr, war hier wie früher. Der rosafarbene Sand auf dem Grund, war mit einer schleimig grünen Substanz überzogen. Das sonst kristallklare Wasser, war einiges trüber, als bei ihrem ersten Besuch und es gab auch viel weniger Fische.
Ehe sich die drei jedoch von ihrem Schrecken erholt hatten, waren sie auf einmal von einem ganzen Heer jungen Frauen mit blauer Haut umgeben, welche aus dem Nichts aufgetaucht waren! Sie trugen kurze Gewänder aus einem grünlichen Gewebe und darüber Brustpanzer aus Perlmutt. Ihre zu einem Pagenschnitt frisierten, kurzen Haare, trugen jedoch keinen Schmuck. Die Frauen hatten alle Waffen in den Händen und umringten die Freunde mit finsteren Mienen. Benjamin und Pia erkannten die Undinen. Doch diese hatte nicht mehr das Geringste mit den anmutigen Geschöpfen gemein, die sie bei ihrem ersten Besuch im Zuckermeerreich das erste Mal angetroffen hatten.
Auf einmal jedoch spürten sie Wassertropfen auf ihrem Gesicht. Erschrocken fuhren sie hoch. In diesem Augenblick sahen sie eine Menge junge Mädchen, welche kicherten und auseinanderstoben. Sie waren zart und wunderschön. Ihre Haut hatte einen bläulichen Schimmer. Die Augen leuchteten in intensivem grün- blau und ihre langen Haare waren türkisfarben, oder hellblau, geschmückt mit herrlichen Muscheln und See Sternen. Ihre Gewänder sahen aus wie Schleier, waren jedoch undurchsichtig und glänzten wie Perlmutt.
Erneut konnten Benjamin und Pia nur staunen, über so viel Anmut und Schönheit. „Wer seid ihr?“ fragte Pia. Die Mädchen kamen wieder näher und eines von ihnen erwiderte: „Wir sind Undinen und gehören zu den Wassergeistern. Wir kommen manchmal an Land, um zu spielen. Wir wurden auf euren Besuch vorbereitet.“
Damals hatten die Undinen lachend am Strand gespielt und ihre Gesichter hatten Ruhe und Zufriedenheit ausgestrahlt. Nun jedoch waren sie voller Bitternis und Misstrauen. Es gab den Geschwistern einen tiefen Stich ins Herz, diese einst so liebevollen Wesen, so aggressiv zu erleben und auch Malek war sehr erschrocken, über den wilden Haufen. Er hätte seine Magie einsetzen können, um sich gegen sie zu wehren, doch er tat es nicht, denn er und die Geschwister, wollten ihre friedlichen Absichten unter Beweis stellen. Ausserdem mussten sie an Alwiana, die Anführerin der kriegerischen Undinen herankommen.
„Wer seid ihr?“ fragte eine der Meerwesen, welche die Truppe vermutlich anführte. Sie hatte dunkelblaues Haar und ebensolche Augen, die sie argwöhnisch musterten. „Wir kommen aus der Menschen- Welt,“ erwiderte Benjamin.
„Aus der Menschen- Welt? Aber das ist nicht möglich!“
„Doch ist es,“ gab Malek etwas ungehalten zurück. „Erkennst du die beiden hier etwa nicht? Es sind die grossen Führer, die eine sehr wichtige Rolle für das ganze Omniversum spielen. In allen alten Schriften wird über sie berichtet. Sie waren schon einmal vor vielen Jahren hier und haben dem Wasservolk geholfen, gegen einen Höhlendrachen zu kämpfen, welcher eure Nachbarn im Silbermeerreicht, damals terrorisiert hat.“
Ihr Blick war gebannt auf die Finsternis vor ihnen gerichtet. Irgendwo musste sich das Monster doch versteckt haben! Vorsichtig gingen sie weiter, ihre Nerven, waren zum Zerreissen gespannt. Schliesslich erweiterte sich der Gang wieder ein wenig. Sich stets an Felsen und in Nischen drückend, setzten sie ihren Weg fort… Und dann, auf einmal sahen sie vor sich einen fürchterlichen Kopf mit mehreren funkelnden Augen! Nur knapp entgingen sie den scharfen Zähnen, die nach ihnen schnappen! Das Ungeheuer gab einen eigenartigen zischenden Laut von sich. Im Bruchteil einer Sekunde, sahen sie den langen Schwanz, mit den spitzigen Stacheln, auf sich zu schnellen und duckten sich gerade noch rechtzeitig! Das Untier zischte erneut voller Wut und seinen Kopf wandte sich, auf dem langen schlangenartigen Hals, erneut den Geschwistern zu. Böse funkelten die acht Augen sie an. Kalte Schauder flossen den Kindern über den Rücken. „Verschwinden wir hier!" rief Benjamin! In diesem Augenblick wollte das Ungeheuer erneut zuschlagen. Benjamin jedoch reagierte blitzschnell und schleuderte ihm den Dreizack entgegen. Voller Schmerz bäumte sich das Monster auf, als er sich in einen Teil seiner Augen bohrte. Diesen Moment nutzte Benjamin und schwamm mit Pia blitzschnell nach draussen. Während das Monster versuchte sich des Dreizacks zu entledigen, gewannen er und seine Schwester nun einen beachtlichen Vorsprung. Das war auch nötig denn das halb geblendete Ungeheuer nahm nun, noch rasender vor Wut, die Verfolgung auf!
„Das stimmt,“ sprach Benjamin „Ihr wart uns damals doch gut gesinnt und habt uns sehr geholfen.“
„Daran erinnere ich mich nicht,“ meinte die Undine, mit den dunkelblauen Haaren.
„Dafür können wir nichts. Obwohl uns das ziemlich erstaunt. Aber wie auch immer! Das was wir über euren Konflikt mit den anderen Meerwesen gehört haben, hat uns sehr zu denken gegeben, darum möchten wir gerne eure Anführerin Alwiana sprechen.“
„Ich glaube nicht, dass Alwiana euch sehen will,“ gab die Undine arrogant zur Antwort. „Denn was hier im Meeresreich vor sich geht, hat euch nicht zu interessieren.“
„Oh doch!“ rief Pia nun wütend „das hat uns sehr wohl zu interessieren! Immerhin bedroht euer Konflikt alle Welten und Geschöpfe gleichermassen. Also führt uns jetzt bitte zu Alwiana!“
Die Undine musterte sie erneut mit einem missbilligenden Blick, dann sprach sie jedoch: „Also gut! Alwiana soll entscheiden, wie mit euch weiter verfahren werden soll.“ Die drei Freunde neigten zustimmend das Haupt. Dann wurden ihnen die Hände gefesselt und von den Wassergeistern abgeführt.
Der Weg, den sie schwammen, kam ihnen irgendwie bekannt vor und schliesslich stellten sie voller Schrecken fest, dass die Undinen sie zum Schloss des Meereskönigs Nikso brachten. Die Ein- und Ausgänge des Schlosses waren allesamt streng von Undinen- Kriegerinnen bewacht, die Rüstungen, aus einem sehr beweglichen, anliegenden Material trugen, das wie gehärtete Fischschuppen aussah.
Erschüttert liessen sich die Geschwister, von den Undinen, durch die nun ausgestorbenen Säle und Gänge des goldenen Palastes führen. Alles sah noch aus wie damals und doch wirkte es so trostlos.
Pia und Benjamin mussten unvermittelt an Nikso denken, einen eindrucksvollen Wassermann mit buschigem, weissen Bart, rotem Fischschwanz und gütigen Augen. Auch an seine wunderschöne Gattin Nimora, mit den graublauen, langen Haaren und deren Tochter Niri, die an Schönheit und Anmut die meisten Nixen und Meerjungfrauen übertraf. Als damals die Königin Ismala von Malek in einen Fisch verwandelt und hier ins Zuckermeerreich verbannt worden war, hatte sich Niri ihrer liebevoll angenommen und sie waren beste Freundinnen geworden.
Was nur war geschehen? Warum nur hassten die Undinen die Königsfamilie auf einmal so? Sie war doch so voller Güte und Liebe gewesen. Einst hatte Nikso selbst gesagt: „Wir sind auch nicht mehr als ein Teil der Schöpfung. Mögen wir hier heute auch Könige sein, in einer anderen Existenz, können wir eben so gut zu Bettlern werden. Niemand ist wertvoller als der andere. Unsere Stellung bringt auch eine grosse Verantwortung mit sich.“
Die Geschwister konnten sich beim besten Willen nicht vostellen, dass sich der Meereskönig so sehr verändert hatte, dass dieser Aufstand der Undinen gerechtfertigt war.
Sie konnten jedoch nicht mehr länger darüber nachdenken, denn sie kamen nun in den mächtigen Thronsaal.
Auf dem mittleren Thron, auf dem Nikso eins gesessen hatte, sass lässig eine hochgewachsene, schlanke Undine. Sie sah aus wie die meisten ihrer Art. Ihre Haut besass einen bläulichen Schimmer, ihr blaues, langes Haar, war zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihre grünblauen Augen, wurden von langen Wimpern überschattet. Sie trug eine Korsage und einen kurzen Rock aus demselben Material, wie die Wächterinnen bei den Eingängen des Schlosses. Doch ihre Korsage, bestand aus blauen Schuppen und bedeckte wirklich nur das Allernötigste. An einem Gürtel, um ihre Hüfen baumelten zwei Dolche. Man hätte Alwiana als schön bezeichnen können, wenn da nicht dieser verkniffene Ausdruck in ihren Gesicht gewesen wäre. Rechts neben ihr, auf dem einstigen Thron von Nimora, der Meereskönigin, sass noch eine andere Undine. Auch ihre Haut schimmerte bläulich. Doch ihr Haar war erstaunlicherweise flammendrot. Das gab es sonst unter den Undinen kaum. Ihr Blick ruhte kalt auf den Neuankömmlingen und jagte den Geschwistern seltsame Schauder über den Rücken.
Alwiana ergriff nun das Wort: „Wer seid ihr?“ sprach sie überheblich und was wollt ihr hier?“