Ein stattlicher, älterer Zwerg mit hellsilbernem Haar und ebensolchem Bart, trat aus der Menge. Er trug eine braune Tunika und dazu braune Hosen. Über seinen Schultern lag ein roter Mantel und auch seine Mütze war rot, mit einem schwarzen, samtenen Band verziert. Ein Medaillon mit einem goldbraunen Stein, dem sogenannten Erdmutter- Stein, baumelte über seine breite Brust herab. Er wurde noch von einem anderen, etwas jüngeren Zwerg begleitet, dessen Haar schokoladenbraun war.
„Sturmius, Sebius!“ riefen die Geschwister voller Freude. „Wie schön euch wiederzutreffen!“
„Pia, Benjamin!“ freute sich Sebius „ihr seid das! Wie erwachsen ihr doch geworden seid!“
„Dafür habt ihr euch kaum verändert,“ grinste Benjamin.
„Die samtbraunen Augen von Sebius, funkelten verschmitzt. „Nun ja, wir sind eben eine langlebiges und langsam alterndes Volk.“ „Das merkt man! Ihr seht immer noch grossartig aus!“
„Setzt euch doch und esst etwas!“ forderte sie der Häuptling und Seher auf, „dann können wir uns über alles unterhalten. Ich hatte übrigens, vor nicht allzu langer Zeit, eine Vision von euch und nun seid ihr tatsächlich zurückgekehrt!“
Alle setzten sich um das Lagerfeuer, das in der Mitte des Dorfes brannte und es wurde etwas Brot, getrocknetes Wildfleisch und dazu Holundersirup gereicht. „Leider kann ich euch diesmal nicht in mein Haus einladen,“ meinte Sebius „es wäre nun viel zu eng für euch. Immerhin wart ihr bei eurem ersten Besuch noch Kinder.“
„Das ist kein Problem für uns. Wir sind gerne draussen an der frischen Luft.“
„Es tut mir leid, dass ihr Anfangs so unfreundlich empfangen wurdet. Aber es sind gerade wieder schwierige Zeiten.“
„Was ist denn geschehen?“ frage Benjamin. „Nun… mein Volk hungert und nirgendwo finden wir wirkliche Ruhe.“
„Das klingt nicht gut, erzählt!“ forderte Pia die Zwerge auf.
Sebius schaute nachdenklich in die Flammen. Man merkte, dass es ihm schwerfiel darüber zu sprechen. So ergriff Sturmius schliesslich das Wort: „Ihr erinnert euch sicher noch an die Riesen, die damals hier ihr Unwesen trieben?“
„Aber natürlich! Wir haben die beiden doch unschädlich gemacht,“
„Genau! Nun… lange hatten wir danach unseren Frieden. Auch wenn, kurz darauf, noch mehr Riesen einwanderten.“
„Es kamen noch mehr? Aber das sind gar keine guten Neuigkeiten!“
Sebius erzählte nun weiter: „Es war nicht mal so schlimm. Mit den Riesen, die später kamen, konnten wir sogar ein Art Bündnis schliessen. Wir führten eine Menge Verhandlungen mit ihnen. Das wäre damals mit Zyklopus und seiner Frau, niemals möglich gewesen. Mit den anderen, die nach ihnen kamen jedoch, konnten wir aushandeln, dass wir ihnen zumindest 40 % unseres Reiches überlassen, wo sie dann ihre eigenen Existenzen aufbauen konnten. Sie unterzeichneten sogar einen Vertrag, in dem sie uns zusicherten, dass sie ihre eigenes Vieh züchten und in ihren Gebieten bleiben würden.
Eine Weile ging das tatsächlich gut, bis schliesslich diese seltsamen Phänomene am Himmel erschienen. Es handelte sich dabei um geheimnisvolle Himmelskörper, die schliesslich auf die Erde hinabfielen. Ich spürte als Seher sogleich, dass dies kein gutes Omen war.
Seit diesen Vorfällen, spielten die Riesen auf einmal wieder verrückt. Sie begannen uns erneut zu terrorisieren, und uns unser Land und unser Vieh zu stehlen. Viele meiner Brüder verloren bei diesem, neu entfachten Krieg, ihr Leben. Denn wir Zwerge konnten kaum etwas gegen diese mächtigen Kreaturen ausrichten. Seither ist das Verhältnis zwischen uns und den Riesen, empfindlich gestört und wir müssen jeden Moment darauf gefasst sein, dass sie unser Dorf angreifen. Unsere Tiere haben sie uns schon gestohlen und unsere Vorräte zum grossen Teil auch. Sie verwehren uns den Zugang zu den Flüssen und Teichen. Die einzige Quelle, die sie noch nicht eingenommen haben, ist jene mit der freundlichen Nixe, die damals diesen Koch… wie hiess er nochmals…,“
„Du meinst Humbold?“
„Ja genau! Die Nixe die Humbold damals, eine Zeit lang, bei sich aufgenommen hatte. Sie konnte ihre Quelle irgendwie vor den Riesen verhüllen. Das war unsere Rettung. So hatten wir wenigstens noch Zugang zu Wasser. Aber viele unserer anderen Zwergen Brüder, in den anderen Dörfern, starben an Hunger und auch an Durst.“
„Das ist ja schrecklich!“ entsetzte sich Pia.
„Ja, es war wahrlich schrecklich. Wir taten lange was wir konnten, um unseren Brüdern zu helfen, doch nun haben wir selbst kaum noch etwas.“
„Aber dann hättet ihr uns doch kein so reiches Mahl auftischen müssen!“ rief Benjamin erschrocken.
„Oh doch, für die Grossen Führer, nur das Beste.“
„Aber das wollen wir nicht. Esst eure Vorräte selbst!“
Ben schob seinen Teller mit dem Trockenfleisch und dem Brot von sich.
„Wenn ihr wollt, könnte ich euch einige Nahrungsmittel herbeizaubern!“ anerbot sich Malek.
Die Zwerge schauten den Magier ehrfürchtig und mit grossen, hoffnungsvollen Augen an. „Das könntest du wirklich tun?“
„Ja natürlich! Ich kann jederzeit etwas aus der Speisekammer meines Schlosses herbeizaubern. Noch ist sie reichlich gefüllt!“
„Aber… das wäre ja wunderbar!“ rief Sebius.
„Also gut!“ Malek sprach eine Zauberformel und bewegte seine Hände schwungvoll hin und her. Kurz darauf lagen eine Menge Esswaren und sogar ein paar Fässchen Met, um das Feuer herum.
„Bedient euch!“ rief Malek. „Das Mahl geht heute auf mich!“
Jubelschreie erklangen und alle Zwerge scharten sich um den Magier und die Geschwister. „Achtet darauf, dass für alle genug übrigbleibt!“ befahl Sebius und griff dann selbst nach einer Hähnchenkeule. Herzhaft biss er hinein und verdrehte, voller Begeisterung, die Augen. „Das ist mit Abstand die beste Hähnchenkeule, die ich jemals gegessen habe!“ rief er.
Als alle sich satt gegessen hatten und noch einige Becher mit Met die Runde machten, nahm Benjamin das Gespräch wieder auf: „Ihr sagt also, die Riesen seien erst nach diesen seltsam Phänomenen am Himmel, wieder aggressiv geworden?“
„So ist es. Noch wissen wir nicht genau, was es damit auf sich hat. Ich hatte jedoch vor ungefähr einem Mond, eine Vision in der mir offenbart wurde, dass diese Ereignisse alles Vorzeichen eines einschneidenden Wandels im Omniversum sind und Pia und du jene sind, die uns durch diese Zeiten helfen werden. Es ist darum wahrlich ein göttliches Geschick, dass ihr gerade jetzt zurückgekommen seid.“
„Eigentlich hatten wir das gar nicht so wirklich geplant…“ sprach Benjamin verlegen. „Wir sind eigentlich wegen etwas anderem hergekommen.“ „Wegen etwas anderem?“ Sebius Augen blickten sie etwas verwirrt an.
„Ja, eigentlich suchen wir ein ganz besonderes Geschöpf.“
„Was denn für ein Geschöpf?“
„Es handelt sich dabei um ein Mischwesen, halb Adler, halb Löwe. „Einen Greifen?“ fragte Sebius erstaunt.
„Ja. Ich wisst von diesen Wesen?“
„Ja, es gibt einige Legenden über sie. Allerdings habe ich selbst noch nie einen gesehen.“
„Aber ich habe schon einen gesehen!“ Ein hagerer, uralter Zwerg, der sich bisher im Hintergrund gehalten hatte, trat vor. Er trug eine bescheidene, braune Kutte und sein Gesicht war bartlos, was für seine Rasse eher ungewöhnlich war. „Das ist Appolonius!“ erklärte Sturmius. „Es ist unser Priester.“
„Ihr habt einen Priester?“
„Ja, seit einiger Zeit. Er ist für die verschiedenen Rituale und die spirituelle Reinigung unserer heiligen Stätten zuständig. Eines Tages stand er einfach vor mir und meinte, er wäre gerne unser Priester.
Andere Clans haben auch ihre Priester, warum also wir nicht. Zudem haben die Priester einen besonders guten Draht zu den höheren Geistwesen.“ Appolonius nickte bescheiden und trat dann vor die Geschwister. „Ich bin schon ziemlich lange auf der Welt und ich sah in meinem Leben schon zweimal eins dieser besonderen Mischwesen, von denen ihr sprecht. Eines hält sich tatsächlich gerade im Zwergenreich auf. Er hat seine momentane Heimstätte, hoch oben, in den Bergen.“