Gleich darauf erklang ein lautes Gepolter und die Decke der Höhle stürzte urplötzlich ein. „Zurück!“ rief Malek, der zum Glück ein Stück hinter Lumniuz und den Geschwistern ging, weil er gerade einige Worte mit Morcheluz gewechselt hatte. „Alles stürzt ein!“
Einige der Gnomen, darunter auch Morcheluz, waren jedoch schon zu weit in die Höhle vorgedrungen, für sie gab es kein Zurück mehr. Sie schrien, hoben instinktiv ihre Arme über ihre Köpfe und warteten jeden Augenblick darauf, von den Felsen erschlagen zu werden. Doch es passierte nichts. Morcheluz wagte es als Erster, seine Augen wieder zu öffnen und nach oben zu sehen. Malek hatte seine Hände gen Himmel gereckt und eine leuchtende Schutzglocke über sich selbst und die Gnomen gebreitet. Schweiss stand auf seiner Stirn. „Schnell zurück in den letzten Gang!“ schrie er noch einmal. „Ich… kann das nicht mehr lange halten. Die Felsen… sie sind zu schwer!“ Die Gnomen reagierten sofort und stolperten in den Gang zurück, aus dem sie gekommen waren. Malek folgte ihnen so schnell er konnte und löste dann seinen Zauber. Laut polternd fielen die Felsblöcke herab und einem Moment lang wurde es stockdunkel. Er Durchgang ins Nordreich, war versperrt.
Nach und Nach entzündeten alle ihre Fackeln, denn auch die Sonnenfee, welche bisher allen den Weg erleuchtet hatte, war verschwunden.
„Phu!“ rief Morcheluz „das war echt knapp! Vielen Dank Malek! Wenn du nicht gewesen wärst, hätten wir das nicht überlebt.“ „Es war eine hinterhältige Falle,“ sprach der Magier. „Wenn nur Lumniuz, Pia und Benjamin nichts passiert ist.“ „Ich vermute, die Nordoks wollten sie als Geiseln nehmen, sonst hätten sie sie doch nicht durch den vielen Rauch von uns abgetrennt. Damit haben sie mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Uns ist der Zugang ins Nordreich versperrt und unser neuer Gnomen Anführer, inklusive der Grossen Führer, sind in ihrer Gewalt. Wir müssen unbedingt einen Weg finden, sie zu retten.“
„Ja, auf jeden Fall. Nun müssen wir aber erst zurück und neue Pläne schmieden. Kommt!“
Bruder Tag und Bruder Nacht- Die Propheten
Benjamin erwachte mit brummendem Schädel. Auch er war, so wie Lumniuz und seine Schwester, von irgendeinem harten Gegenstand niedergeschlagen worden. Vorsichtig öffnete er die Augen. Diese brannten noch von dem dichten Rauch, der ihn und die anderen vorhin eingenebelt hatte. Was um alles in der Welt war geschehen? Er schaute sich um und stellte fest, dass er an Händen und Füssen mit Ketten gefesselt war. In diese Ketten waren seltsame Symbole, so etwas wie Runen, eingeprägt. Was es damit genau auf sich hatte, wusste Ben nicht. Gleich neben ihm lagen Pia und Lumniuz, noch immer bewusstlos. Auch sie trugen solche Ketten. Die Fussketten der drei, waren wiederum miteinander durch eine dickere Kette verbunden, die an der rauen Wand einer Höhle befestigt worden war. Es gab also keine Chance zu entkommen.
So blickte sich der blonde Mann erst einmal weiter um, um die Lage so gut als möglich einzuschätzen. Er stellte fest, dass die Höhle, in der sie sich befanden, wohl eine Art Aussenhöhle war, denn er konnte etwas weiter vorne, ein Stück des nächtlichen Sternenhimmels erblicken. Viele Gnome gingen hier ein und aus. Sie trugen jedoch alle schwarze Kapuzenmäntel, darunter gleichfarbige Lederwämse und Hosen. Ihre Gesichter konnte Ben nicht erkennen, denn sie trugen dunkle Tücher vor Mund und Nase. „Sie sehen irgendwie wie Ninjas aus,“ ging es Benjamin sogleich durch den Kopf. „Aber Gnomen Ninjas? Das ist schon sehr seltsam. Es würde jedoch zu ihrer Herangehensweise und Aufmachung passen. Die Rauchbomben oder was immer sie da auch geworfen haben, hat viel mit der Tradition der Ninjas zu tun. Auch der Anschlag damals auf Mungoluz könnte gut von solchen Kämpfern verübt worden sein. Sie tragen ja auch lange Dolche und Schwerter bei sich. Was um alles in der Welt geht hier vor?“
Er vernahm ein leises Stöhnen an seiner Seite. Pia war nun ebenfalls aus ihrer Ohnmacht erwacht. „Autsch mein Kopf!“ klagte sie und hob nun, unter sichtlicher Anstrengung, ihre Augenlider.
„Pia, du bist aufgewacht. Gottseidank!“ sprach Benjamin.
Die Frau blickte sich um. „Wo sind wir?“
„Ich weiss es auch nicht. Aber… da drüben hat es einen Ausgang. Wir befinden uns also in einer Aussenhöhle.“
„Nun, wenigstens ein kleiner Trost,“ erwiderte Pia und versuchte sich die Schläfen zu reiben, doch da merkte sie, dass ihre Hände in Ketten lagen. „Verdammt! Wir sind direkt in eine Falle getappt. Langsam reicht es mir, immer von irgendwelchen üblen Subjekten gefangen genommen zu werden.“
„Sie haben auch Lumniuz gefangen genommen, was mit den anderen ist… ich weiss es nicht.“
Die Frau beugte sich besorgt zu ihrem Gnomen-Freund herüber und testete, so gut es ging, seine Vitalfunktionen. „Es scheint ihm einigermassen gut zu gehen, aber wahrscheinlich hat er auch einen Schlag gegen den Kopf bekommen, so wie wir. Atmen tut er jedenfalls regelmässig und ich sehe auch nirgends Blut oder sowas.“
„Ja, ich hoffe er erwacht bald. Obwohl… eine Ohnmacht kann auch ein Segen sein, denn wir befinden uns gerade in einer ziemlich ausweglosen Situation. Die Gesellen, die hier herumlungern, machen auf jeden Fall einen ziemlich finsteren Eindruck.“
„Du meinst diese… seltsamen… Ninja Freaks?“
„Genau. Es erstaunt mich schon sehr, dass es so etwas hier im Märchenreich gibt. Wer sie wohl anführt?“
„Das werden wir bestimmt bald erfahren. Vorsicht! Einer kommt gerade zu uns herüber!“
Einer der schwarzgekleideten Gnome kam nun tatsächlich mit einem Eimer voller Wasser auf sie zu. Er füllte eine Schöpf- Kelle mit dem kühlen Nass und erst jetzt merkten die Geschwister wie trocken ihre Kehlen eigentlich waren.
„Trinkt etwas!“ befahl der Gnomen-Ninja und hielt zuerst Pia, dann Benjamin die Kelle an den Mund. Die beiden nahmen gierig einige Schlucke. Der Blick des Schwarzgekleideten fiel jetzt auf Lumniuz, der noch immer nicht zu sich gekommen war und kurzerhand schüttete er diesem den restlichen Inhalt des Eimers übers Gesicht.
Prustend und sich schüttelnd kam ihr Gnomen- Freund wieder zu sich. Zuerst wusste er gar nicht wie ihm geschah. Der Ninja Typ lachte hämisch und sprach: „Wird Zeit, dass du dein Schläfchen beendest, Grosser… Wissender!“ Die letzten beiden Worte betonte er besonders abschätzig.
„Unser Anführer gewährt dir und deinen Freunden nämlich eine Audienz in seinem Domizil.“
Lumniuz hatte sich nun wieder gefasst und sprach wütend: „Was soll das alles? Wir kamen doch her, um mit euch zu verhandeln und ihr… habt uns schändlich hintergangen und auch noch gefangengenommen. Wie könnt ihr es wagen so abschätzig mit mir zu sprechen?“
Der Ninja-Gnom lachte erneut auf. „Ihr wolltet mit uns verhandeln? Es sah aber eher so aus, als würdet ihr eine Invasion ins Nordreich planen. Warum sonst hättet ihr so viele Männer mitbringen und unsere Grenzwachen angreifen sollen?“
„Tut doch nicht so scheinheilig!“ rief Lumniuz aus. „Ihr habt die anderen Viertel immer wieder angegriffen und Mungoluz unseren ehrenwerten Ältesten beinahe ermordet.“
„Mungoluz? Wir würden unserem Ältesten niemals so etwas antun.“ „Tatsächlich? Dennoch tragt ihr diese Dolche bei euch. Unser Ältester hat von mehreren Messerstichen berichtet, die ihn so schwer verletzten, dass er beinahe sein Leben ausgehaucht hätte. Sein Angreifer trug so einen Kapuzenmantel wie ihr. Auch wenn ihr es vielleicht nicht selbst wart, der das getan hat, jemand aus euren Kreisen muss es gewesen sein. Denn es passierte, kurz nachdem Mungoluz das Nordreich betreten hatte.
Hätten ihm die Westeks nicht geholfen, würde er jetzt nicht mehr unter uns weilen.“
„Pah die Westeks! Es könnte genauso jemand aus ihren Kreisen gewesen sein.“
„Wohl kaum. Ihr Nordoks seid es, die ihre wirkliche Aufgabe als Erdgeister vergessen habt. Ihr habt angefangen Unfrieden zu stiften und eure anderen Brüder und Schwestern beraubt und tyrannisiert. Schande über euch!“ „Schande über euch und die anderen Viertel!“ erwiderte der Schwarzgewandete nun ebenfalls zornig. „Ihr habt uns einfach im Stich gelassen. Wir waren in allen Bereichen benachteiligt und niemand des Zentralviertel hat sich um uns gekümmert. Während ihr andern in Saus und Braus lebten, litten wir Hunger und lebten in Armut.“
„Ihr hättet ja um Hilfe bitten können. Doch ihr habt euch schon seit jeher von den anderen eures Volkes abgegrenzt und wart kaum interessiert an einer Zusammenarbeit. Im Gegenteil! Also stellt euch nicht als Opfer dar! Ihr seid genauso Täter! Warum sonst würdet ihr uns hier auf so schändliche Weise gefangen halten.“
„Das ist der einzige Weg, uns endlich Gehör zu verschaffen,“ erwiderte der Ninja-Gnom finster. „Unser neuer Anführer hat das erkannt. Jetzt kommt mit und versucht keine Mätzchen. Die Runen auf den Ketten, verhindern jegliche Art von Magie oder Sphärenwanderung!“
Bei diesen Worten zuckten die Freunde zusammen. Das hatte es also mit diesen Runen auf sich! Wer auch immer hinter ihrer Entführung stecken mochte, er hatte wirklich an alles gedacht.