Erschrocken lauschten sie nun den Worten, die der Mann beim Altar, zu den Riesen in dem grossen Saal sprach: „Die Zeit wird bald kommen, da unser Meister die Herrschaft über diese Welt an sich bringen wird. Wir Riesen sind sein auserwähltes Volk. Xandrax hat es mir durch eine Vision persönlich offenbart! Durch ihn wird die Welt ganz neu werden. Das Paradies liegt vor uns Brüder und Schwestern! Eine ganz neue Ära beginnt!“ Vorher jedoch müssen wir die Ungläubigen aus diesem Lande vertreiben! Das Zwergenvolk ist das Ungeziefer, das uns daran hindert, uns hier in dieser, uns eigens geschenkten Welt, wahrhaft zu entfalten und so zu leben, wie wir es eigentlich verdient hätten. 40% nur 40% haben sie uns davon zugesprochen! Ein wahrhaft lächerlicher Anteil für eine mächtige, auserwählte Rasse wie uns! Wie konnten wir uns überhaupt jemals darauf einlassen? Warum sind wir so schwach geworden und haben uns von diesen kleinen, unbedeutenden Kreaturen, solche Einschränkungen auferlegen lassen? Es wird Zeit, dass wir ihnen zeigen, dass sie uns weit unterlegen sind. Sie stehen tief unter uns!“
Zustimmende Rufe erhoben sich aus den Reihen der versammelten Riesen. „Xandrax der Riesen- Gott, will dass wir wieder zu unserer wahren Grösse zurückfinden! Das Einzige was er dafür von uns verlangt ist, dass wir ihm alle hingebungsvoll und ohne Wenn und Aber dienen…!“
Wieder erhoben sich Rufe aus der Menge: „Ehre sei Xandrax! Wir wollen ihm dienen! Nieder mit dem Zwergenvolk!“ Der Redner hielt inne und schien sich dabei richtiggehend in der, ihm zufliessenden Energie, zu sonnen. Dann fuhr er fort: „Der grosse Xandrax ist die einzige Wahrheit! Der einzig wahre Gott. Er schuf die Welt, auf dass wir- sein auserwähltes Volk, darin glücklich und zufrieden leben mögen! Niemand hat das Recht uns dieses Erbe streitig zu machen! Vergesst alles, was ihr bisher über einen Schöpfer oder einen grossen Geist gehört habt! Es sind Lügen! Xandrax allein ist der allmächtige Gott und niemand ist ihm gleich! Niemand ist uns gleich! Das vergesst nie!“
Begeisterte Zustimmungsrufe schwollen nun zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen an. Es war so laut, dass die Freunde ihre Ohren zuhalten mussten. Wieder wartete der Sprecher und suhlte sich in der Aufmerksamkeit der anderen Riesen. Nach einiger Zeit hob er jedoch die Arme, um dem Geschrei wieder Einhalt zu gebieten. „Ich weiss, meine lieben Brüder und Schwestern, dass man euch bisher nur Unwahrheiten erzählt hat. Doch glaubt mir, dass unser Riesen- Gott die Welt wahrhaftig erschaffen hat und schon bald, wird sein Zorn jene treffen, die sich von ihm abgewandt haben! Wir jedoch, die wir an diesem heiligen Ort versammelt sind, werden von ihm gerettet und seiner Herrlichkeit teilhaftig werden! Die Zwerge jedoch…!“ Seine Stimme schwoll nun noch mehr an und liess den Tempel richtiggehend erzittern. „Sie sind schon lange abgefallen vom wahren Glauben! Sie beten noch immer ihre… Erdmutter an! Zwar behaupten sie, nur den Schöpfer anzubeten. Alles dreiste Lügen!! Denn sie kennen den wahren Schöpfer gar nicht! Sie geben Xandrax nicht jene Ehre, die ihm gebührt. Denn sonst würden sie uns dieses Land schon lange überlassen. Eindringlinge sind sie! Ungläubige und verdorben bis ins Mark!
Entsetzen spiegelte sich bei diesen Worten in den Gesichtern der Zwerge und Pia und Benjamin legten ihnen tröstend die Hände auf die Schulter. „Ich glaube, wir haben genug gehört,“ flüsterte der blonde Mann. „Lasst uns von hier verschwinden!“ Die anderen nickten erleichtert und leise verliessen sie den schrecklichen Tempel wieder.
Draussen angekommen sprach Sebius erschüttert: „Ich kann einfach nicht glauben, dass dieser… Priester, so einen Unsinn erzählt. Das Ganze ist einfach nur schrecklich! Kein Wunder drehen die Riesen immer mehr durch, wenn er sie auf diese Weise gegen uns aufhetzt. Warum nur, tut er das? Ich kann das einfach nicht verstehen!“ „Das Ganze ist wirklich schwer zu verstehen,“ stimmte Ben ihm zu. „Er muss damit irgendein Ziel verfolgen.“
„Das Ziel, das er verfolgt, scheint mir ziemlich klar zu sein,“ meinte Sturmius mit Bitternis in der Stimme. „Er will uns alle ausrotten. Dieser Kult ist noch viel schlimmer, als wir bisher befürchtet haben. Der boshafte Kapuzenmann, strebt zweifellos einen Genozid an uns Zwergen an. Was nur können wir gegen so einen übermächtigen Feind ausrichten?“ Seine Stimme klang auf einmal verzweifelt.
„Das alles tut mir so schrecklich leid,“ sprach Zyklopus zerknirscht. „Ich schäme mich richtiggehend für mein Volk. Wie nur können sie diese Lügen glauben? Was dieser Priester predigt, ist nichts ausser Hass und Zorn. Xandrax ist ein erfundener Gott. Ein Götze ohne wirkliches Leben. Das wahrhaftig Göttliche ist real, voller Liebe und Barmherzigkeit. Es wäre nie so grausam.“
„Und dennoch, scheint dieser Kult den meisten des Riesenvolkes grossen Eindruck zu machen,“ gab Ben zu bedenken. „Was nur hat es damit auf sich? Ob wohl die bösen Ritter wieder dahinterstecken?“
„Das müssen wir erst einmal herausfinden,“ sprach Malek.
„Aber wie sollen wir das anstellen und vor allem, wie können wir das Zwergenvolk vor diesem Wahnsinn beschützen?“ fragte Pia. Malek erwiderte: „Wir müssen noch mehr über diesen Xandrax und den dunklen Priester in Erfahrung bringen.“
Er wandte sich an Zyklopus. „Meinst du, du könntest ein wenig für uns spionieren, indem du dich in diese groteske Gemeinschaft einschleust?“
Der Riese nickte: „Ja, das könnte ich schon tun. Allerdings befürchte ich, dass mich einige der anderen Riesen wiedererkennen könnten. Immerhin haben ich und meine Frau Amelie, uns die letzten Jahre sehr aktiv für den Frieden und die Eintracht zwischen Riesen und Zwergen eingesetzt. Ich bin also kein unbekanntes Gesicht.“ „Ich könnte vielleicht einen Täuschungszauber über dich legen,“ anerbot sich der Magier, „dann wird dich niemand erkennen.“
„Oh das wäre grossartig!“ rief Zyklopus beeindruckt. „Könntest du das wirklich tun?“
„Ja. So ein Täuschungszauber ist ein Kinderspiel.“
„Also gut. Dann bin ich dabei!“
„Auch wir werden indes nicht untätig bleiben,“ fuhr Benjamin fort. „Fraglos werden wir Hilfe brauchen, um gegen diesen gefährlichen Riesen- Kult zu bestehen. Ich schlage also vor, dass wir anderen uns auf die Suche nach dem Greif machen, der hier in der Gegend gesehen wurde. Greife sind sehr mächtige Wesen und so eine Kreatur könnte uns bestimmt eine grosse Hilfe sein, um gegen diesen wahnsinnigen Priester und seine fanatischen Anhänger vorzugehen.“
„Vielleicht wurden die Riesen ja verhext, wie damals die abtrünnigen Waldelfen,“ warf Pia ein.
„Das glaube ich eher weniger,“ meinte Benjamin ernst. „Es macht mehr den Anschein, als ob diese Riesen felsenfest von diesem Xandrax Kult überzeugt wären und sich wirklich als dessen auserwähltes Volk sehen. Riesen sind ja sowieso nicht gerade für ihre Klugheit bekannt… Anwesende natürlich ausgeschlossen!“ fügte er mit einem Blick auf Zyklopus, schnell hinzu.
Zyklopus grinste schief und sprach: „Nun ja… vermutlich liegst du damit nicht einmal so falsch. Mein Volk ist wirklich sehr beeinflussbar und hinterfragt oftmals zu wenig. Wenn jemand ihrem Ego schmeichelt, dann lassen sie sich nur allzu schnell einwickeln. Eigentlich sind sie sehr eitel und dieser kuttentragende Priester, nutzt das schamlos aus. In solchen Momenten wünschte ich mir, ich wäre niemals als Riese geboren.“
„So darfst du nun auch wieder nicht denken,“ sagte Sebius tadelnd. „All das hat einen tieferen Sinn. Du kannst ein Licht sein für deine Brüder und Schwestern, ein Licht für diese Welt.“ Zyklopus wurde verlegen und fragte, während seine breiten Wangen einen rosigen Schimmer annahmen: „Meinst du wirklich?“
„Natürlich! Du hast schliesslich erkannt, was wirklich zählt, hast in den letzten Jahren viel an Weisheit gewonnen und lebst auch wirklich danach. Ich finde das bemerkenswert und zolle dir dafür meinen grössten Respekt.“
Die Augen des Riesen strahlten vor Freude und er meinte: „Vielen Dank!“
Spontan packte er den Zwerg und drückte ihn bewegt an sich. Sebius lachte: „Heh! heh! Nicht so stürmisch! Du erdrückst mich ja noch!“
„Oh entschuldige!“ sprach Zyklopus und liess den Zwerg wieder los. Besorgt zupfte er diesem seine Kleider zurecht. „Manchmal vergesse ich, wie stark ich bin.“ „Nun… es ist immer gut einen starken Freund an der Seite zu haben,“ sprach Sebius. „Du siehst mich also… als deinen Freund?“ Die Augen des Giganten füllten sich auf einmal mit Tränen der Rührung.
„Klar! Wir sind doch alles Freunde hier. Nicht wahr?“ Sebius schaute in die Runde, um auch die Zustimmung der anderen zu erhalten. Alle nickten sogleich zustimmend, nur Sturmius wirkte noch etwas unsicher. Schliesslich nickte er jedoch ebenfalls. „Klar… wir sind alles gute Freunde hier,“ murmelte er. Der vielseitige Zuspruch spornte den Riesen sichtlich an und er sprach enthusiastisch: „Dann werde ich mich also mal unter diese… Gläubigen da drin mischen und schauen, ob ich etwas in Erfahrung bringen kann.“
Malek nickte: „Tu das! Ich lege jetzt den Täuschungszauber über dich. Er sollte auf jeden Fall bis Morgen zur selben Zeit halten.“
Der Riese nickte und presste etwas ängstlich die Augen zusammen, als würde er irgendwelche Schmerzen erwarten. Kurz darauf sprach Malek: „Alles klar! Es ist getan!“
„Aber… ich habe gar nichts gemerkt!“ meinte Zyklopus erstaunt. „Bei einem Täuschungszauber merkt man auch nichts. Würde ich dich jetzt in irgendein anderes Wesen verwandeln, dann würdest du es auf jeden Fall merken.“
„Aber… funktioniert das auch wirklich?“ Der Riese wirkte auf einmal wieder unsicher. „100%!“ versicherte ihm Malek. „Es ist schliesslich nicht mein erster Täuschungszauber.“
„Ich hoffe nur dieser… seltsame Priester durchschaut den Zauber nicht,“ gab Benjamin zu bedenken. „Nein, das glaube ich nicht. Dieser Kerl sieht vermutlich nur, was er sehen will und wenn es Aussicht auf ein weiteres Schäfchen für seine Sekte gibt, wird er dies vermutlich nicht gross hinterfragen.“
„Nun, dann hoffen wir einfach mal das Beste,“ sprach der Riese und man merkte, dass ihm nicht ganz wohl bei der Sache war. Dennoch wirkte er sehr entschlossen, als er sich auf den Weg zum Tempel zurück machte. Die anderen schauten ihm etwas besorgt hinterher. Wenn nur alles gut ging!